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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Collected Essays on Cultural and Contemporary History 1887–1901
GA 31

Automated Translation

43. Adolf Gerecke “The Futility of Moralism”

The author seeks to prove the insignificance, even harmfulness, of moral commandments or norms for human action. He sees the establishment of such norms as a consequence of the dualistic world view more or less consciously advocated by philosophers and religious founders. According to the latter, the laws of morality are supposed to be implanted in the soul, thereby overcoming sensuality and ennobling the merely physical existence into a moral one. Gerecke now attempts to show that there is no special spiritual being apart from the physical being of man. For him, human sensations are only the result of an external impulse to our organism; he lets knowledge arise through the mechanical play of new impulses with the continuing effects of older ones in the organism; affects and desires are for him the reaction of the organic correlation of forces to such impressions. If an effect on an organism is such that its metabolism is stimulated, pleasure arises; if it is inhibited, displeasure. We sympathize with a person if the effects of his presence on our organism are such that the latter finds itself stimulated in its activity; otherwise the presence of the person triggers antipathy. Since man has absolutely no power to arrange the external world in such a way that it acts upon him in a manner he desires, he is also unable to arrange his actions, which are dependent upon it, according to norms which are entirely alien to this external world and which originate solely from within himself. Our affects and desires, our passions and sympathies are, in Gerecke's sense, the result of the mechanical process of the world; but the influence of moral legislation on them is meaningless. They cannot change the necessary course of our physical life, they can only act in the same way as the material agents, i.e. in the roundabout way that they generate desires and affects. According to Gerecke's conviction, this usually happens in a harmful way. Every moral teacher or statesman "who, in the interest of his social system, strives to control the antipathetic and sympathetic affects, who, more correctly, makes the foolish and criminal attempt to force people - by the force of law and the arts of persuasion - to suppress the effects resulting from these affects, I call an educator of criminals" ($. 183). Gerecke believes that through the process of suppressing desires, other more unusual and refined ones arise. "The endeavor to control or even eradicate desires is tantamount to educating them to extremes" (p. 190).

I must confess that rarely has a book caused me such bitter feelings as this one. I am convinced that the author is well placed to serve science in the way it must be done today if we are to overcome the often unsatisfied views of the past. The path that leads to a prosperous future does indeed lie in overcoming dualism and in establishing monism, which rejects the assumption of two worlds. The future will see the ethical life of man emerging from the same source from which natural events spring. Moral laws will only be valid as special cases of natural laws. That is why they will no longer be sought in abstract norms, but in concrete individual life. The author of this book suspects this, or rather: a kind of unconscious conviction of it haunts him. But his imaginative life is contaminated by the banal views of materialism. This world view knows no difference between man and a machine. At least not a qualitative one. What makes man different from a watch, for example, is only the complexity of the substances and forces that compose him. There can be nothing more harmful in the spiritual field than this world view. It wreaks tremendous havoc in human minds because it is shallow and superficial and shallow and shallow views are always the best fodder for the great masses. The fact that in Gerecke we are dealing with a writer who would have had a lot of work to do on his education before he took up the pen is proven by his incredibly clumsy style. It is a pity that the man did not work on himself a little more; a better style would probably have produced more thorough thoughts. The book before us, however, is of no use to anyone.

43. Adolf Gerecke «Die Aussichtslosigkeit Des Moralismus»

Der Verfasser sucht die Bedeutungslosigkeit, ja Schädlichkeit von moralischen Geboten oder Normen für das menschliche Handeln nachzuweisen. Die Aufstellung solcher Normen sieht er als Konsequenz der von den Philosophen und Religionsstiftern mehr oder weniger bewußt vertretenen dualistischen Weltanschauung an. Nach der letzteren sollen die Gesetze der Sittlichkeit der Seele eingepflanzt sein, wodurch sie die Sinnlichkeit behertscht und das bloß physische Dasein zu einem moralischen veredelt. Gerecke versucht nun zu zeigen, daß es eine besondere geistige neben der physischen Wesenheit des Menschen nicht gibt. Ihm sind die menschlichen Empfindungen nur das Ergebnis eines äußeren Anstoßes auf unseren Organismus; Erkenntnis läßt er durch das mechanische Spiel der neuen Anstöße mit den im Organismus fortdauernden Wirkungen älterer entstehen; Affekte und Begierden sind ihm die Reaktion des organischen Kräftezusammenhanges auf solche Eindrücke. Ist eine Einwirkung auf einen Organismus eine solche, daß der Stoffwechsel desselben gefördert wird, so entsteht Lust, wenn er gehemmt wird, Unlust. Einer Person bringen wir Sympathie entgegen, wenn die Wirkungen ihrer Gegenwart auf unsern Organismus solche sind, daß der letztere sich in seiner Tätigkeit gefördert findet, im andern Falle löst die Anwesenheit der Person Antipathie aus. Da es der Mensch durchaus nicht in seiner Gewalt hat, die Außenwelt so einzurichten, daß sie in einer von ihm gewünschten Weise auf ihn einwirkt, so ist er auch außerstande, sein von derselben abhängiges Handeln nach Normen einzurichten, die dieser Außenwelt ganz fremd sind, und die allein aus seinem Innern stammen. Unsere Affekte und Begierden, unsere Leidenschaften und Sympathien sind im Sinne Gereckes das Resultat des mechanischen Weltprozesses; Einwirkungen moralischer Gesetzgebung auf dieselben sind aber sinnlos. Sie können den notwendigen Gang unseres physischen Lebens nicht ändern, sie können nur auf dieselbe Weise wirken, wie die materiellen Agentien, d.h. auf dem Umwege, daß sie Begierden und Affekte erzeugen. Nach Gereckes Überzeugung geschieht dies zumeist in schädlicher Weise. Jeden Sittenlehrer oder Staatsmann, «der im Interesse seines Gesellschaftssystems die Beherrschung der antipathischen und sympathischen Affekte erstrebt, der, richtiger gesagt, den törichten und verbrecherischen Versuch macht, die Menschen zu zwingen — durch die Gewalt des Gesetzes und der Überzeugungskünste — die Wirkungen infolge dieser Affekte zu unterdrücken, nenne ich einen Erzieher von Verbrechern» ($. 183). Gerecke glaubt nämlich, daß durch den Prozeß, der die Begierden unterdrücken soll, andere ungewöhnlichere, raffiniertere entstehen. «Das Bestreben nach Beherrschung oder gar Ausrottung der Begierden ist gleichbedeutend mit der Erziehung derselben zum Extrem» (S. 190).

Ich muß gestehen, daß mir selten ein Buch gleich bittere Empfindungen verursacht hat wie dieses. Der Verfasser hat, nach meiner Überzeugung, gute Anlagen dazu, der Wissenschaft in dem Sinne zu dienen, wie es gegenwärtig geschehen muß, wenn wir die vielfach unbefriedigten Anschauungen der Vergangenheit überwinden wollen. Der Weg, der zu einer gedeihlichen Zukunft führt, liegt tatsächlich in der Überwindung des Dualismus und in der Begründung des Monismus, der die Annahme zweier Welten ablehnt. Die Zukunft wird das ethische Leben des Menschen aus derselben Quelle hervorgehen sehen, aus der das natürliche Geschehen entspringt. Sittengesetze werden nur als Spezialfälle von Naturgesetzen gelten können. Deshalb werden sie auch nicht mehr in abstrakten Normen, sondern im konkreten Individualleben gesucht werden. Der Verfasser dieses Buches ahnt das, vielmehr: eine Art unbewußter Überzeugung davon spukt in ihm. Aber sein Vorstellungsleben ist verpestet von den banalen Anschauungen des Materialismus. Diese Weltanschauung kennt einmal keinen Unterschied zwischen dem Menschen und einer Maschine. Wenigstens keinen qualitativen. Was in ihrem Sinne der Mensch anders hat als zum Beispiel die Uhr, das ist nur die Kompliziertheit der ihn zusammensetzenden Stoffe und Kräfte. Es kann auf geistigem Gebiete nichts Schädlicheres geben als diese Weltanschauung. Sie richtet deswegen ungeheure Verheerungen in den menschlichen Köpfen an, weil sie seicht und oberflächlich ist und die seichten und flachen Anschauungen für die großen Massen immer das beste Futter sind. Daß wir es in Gerecke mit einem Schriftsteller zu tun haben, der an seiner Ausbildung noch manches zu tun gehabt hätte, bevor er zur Feder gegriffen, das beweist sein ganz unglaublich ungeschickter Stil. Schade, daß der Mann nicht noch ein wenig an sich gearbeitet hat, mit einem besseren Stil wären vermutlich auch gründlichere Gedanken gekommen. Das uns vorliegende Buch ist allerdings für keinen Menschen zu gebrauchen.