Collected Essays on Literature 1884-1902
GA 32
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6. Wolfgang Menzel
On his hundredth birthday
June 21 [1898] was Wolfgang Menzel's hundredth birthday. He is a forgotten man today, even though he wrote seventy volumes in his lifetime and for a long time was a literary critic who was listened to in Germany. The "Literaturblatt", which he edited and which appeared in Cotta's publishing house, was an authoritative critical organ for decades. It is strange that so little is currently said about Menzel. For quite a few of our contemporaries are filled with his spirit. This spirit is that of a narrow-minded, narrow-minded, moralizing criticism that measures everything great with the yardstick of philistinism and dismisses genius with a philistine mind. Higher artistic sensibilities and an aesthetic world view were alien to Menzel. He fought against Goethe, Heine and "Young Germany". He did not understand the artistic intentions of those he fought against. He had formed certain views of what was morally good and evil, views that only a philistine could have. And because Goethe, Heine and "Young Germany" created works that were not tailored to philistine morals, he fought against them. Even today we find critics and writers who write in his spirit. We have a literary history of König. We also have literary historians who scold Heine, just as Menzel once scolded him. We've got rid of Menzel, but Menzel has remained. Menzel's rant against Goethe is particularly repugnant. He hated Goethe because he did not allow himself to be kept from admiring Napoleon's personality by a narrow-minded national sense; he hated him because he portrayed human nature from all sides and did not want to force it into stereotyped, moralistic forms; he hated him because he took life as it was to be taken and did not fight like a bull against what had become natural. Menzel fought against the healthy sensuality that "Young Germany" strove to portray because he found it "immoral". He was a man of narrow-minded nationalism, so much so that his comments make us think of the anti-Semites and German nationalists of today. However, he surpassed them in terms of the force and accuracy of his expression and the art of his presentation.
Menzel is not at all suited to an objective historical approach, an unbiased view of historical phenomena. This is why his main work, "German History", became a miserable work of art.It is easy to doubt the sincerity of his judgments. In his youth, he paid homage to revolutionary principles and was a fervent fraternity member. Later, he was an accomplice to reaction and anti-progressive efforts. His denunciatory writings were important documents for the governments that wanted to suppress liberal aspirations. Heine is of the opinion that he was only fibbing about his inclinations for freedom and revolution. Whether this is the case is difficult to decide today. There is no doubt, however, that Menzel is one of those literary figures who, because of their narrow-mindedness, come to impudent judgments expressed with vain confidence. They talk with the air of the know-it-all about things they don't know the first thing about. There is hardly anything more worthless in German literature than the seventy volumes of Menzel's works.
6. Wolfgang Menzel
Zu seinem hundertsten Geburtstag
Am 21. Juni [1898] war Wolfgang Menzels hundertster Geburtstag. Er ist heute ein vergessener Mann, trotzdem er siebenzig Bände in seinem Leben geschrieben hat und lange Zeit in Deutschland ein Beurteiler literarischer Erscheinungen war, auf den man hörte. Das von ihm redigierte «Literaturblatt», das in Cottas Verlag erschien, war durch Jahrzehnte ein maßgebendes kritisches Organ. Es ist merkwürdig, dass gegenwärtig so wenig von Menzel gesprochen wird. Denn von seinem Geiste erfüllt sind nicht wenige unserer Zeitgenossen. Dieser Geist ist der einer engherzigen, bornierten, moralisierenden Kritik, die alles Große mit dem Maßstabe der Philisterei misst und die das Genialische mit spießbürgerlichem Verstande abkanzelt. Höhere künstlerische Empfindungen, eine ästhetische Weltanschauung waren Menzel fremd. Er bekämpfte Goethe, Heine und das «Junge Deutschland». Die künstlerischen Absichten derer, die er bekämpfte, verstand er nicht. Er hatte sich gewisse Ansichten zurechtgelegt von dem, was moralisch gut und bös ist, Ansichten, die nur ein Philister haben kann. Und weil Goethe, Heine und das «Junge Deutschland» Werke schufen, die nicht nach der Philistermoral zugeschnitten waren, bekämpfte er sie. Auch heute finden wir Kritiker und Literaten, die in seinem Sinne schreiben. Wir haben ja eine Literaturgeschichte von König. Wir haben auch Literaturhistoriker, die auf Heine schimpfen, wie einst Menzel geschimpft hat. Den Menzel sind wir los, die Menzel sind geblieben. Besonders widerwärtig ist Menzels Gebelfer gegen Goethe. Er hasste Goethe, weil dieser sich nicht durch engherzig nationalen Sinn von der Bewunderung der Persönlichkeit Napoleons abhalten ließ; er hasste ihn, weil er die menschliche Natur nach allen Seiten darstellte und sie nicht in schablonenhafte, moralische Formen zwingen wollte; er hasste ihn, weil er das Leben nahm, wie es zu nehmen ist, und nicht wie ein Stier gegen das Natürlich-Gewordene ankämpfte. Die gesunde Sinnlichkeit, nach deren Darstellung das «Junge Deutschland» trachtete, bekämpfte Menzel, weil er sie «unmoralisch» fand. Engherzigster Nationalismus war ihm eigen, sodass man bei seinen Ausführungen an die Antisemiten und Deutschnationalen von heute denken muss. Sie überragt er allerdings an Wucht und Treffsicherheit des Ausdruckes und Kunst der Darstellung.
Einer objektiven historischen Anschauungsweise, einer unbefangenen Betrachtung der geschichtlichen Erscheinungen ist Menzel ganz und gar nicht gewachsen. Deshalb ist sein Hauptwerk, die «Deutsche Geschichte», ein klägliches Machwerk geworden.
An der Aufrichtigkeit seiner Urteile kann man leicht zweifeln. Er hat in seiner Jugend revolutionären Grundsätzen gehuldigt und war eifriger Burschenschafter. Später hat er der Reaktion und den fortschrittfeindlichen Bestrebungen Handlangerdienste geleistet. Seine denunziatorischen Schriften waren wichtige Dokumente für die Regierungen, welche die freiheitlichen Bestrebungen unterdrücken wollten. Heine ist der Meinung, dass er mit seinen Neigungen für Freiheit und Revolution nur geflunkert habe. Ob das der Fall ist, wird sich heute schwer entscheiden lassen. Zweifellos ist aber, dass Menzel zu denjenigen Literaten gehört, die wegen ihrer Borniertheit zu frechen und mit eitler Zuversicht ausgesprochenen Urteilen kommen. Sie reden mit der Miene des Alleswissenden über Dinge, von denen sie nicht das Geringste verstehen. Wertloseres als die siebzig Bände der Menzel’schen Werke gibt es kaum in der deutschen Literatur.