Collected Essays on Literature 1884-1902
GA 32
Automated Translation
7. Wilhelm Jordan
On the occasion of his eightieth birthday
A magazine that wants to serve the world view of the present above all other things must record a feast day on February 8 [1899]. On this day, Wilhelm Jordan will be eighty years old. Those who follow the cult of "pure art" will find much to criticize about Jordan. The artistic composition of his works, and in particular the revival of the stave rhyme, cause some aesthetes to shrug their shoulders in a highly "noble" manner. We know these aesthetes who could not forgive him for singing that he wanted to "fill vessels again with a rushing stream of speech to the edge of antiquity and rejuvenate the wonderful, ancient way of German poetry after a thousand years". - But anyone who sees art as a link in the general development of culture must count Wilhelm Jordan among the best minds of the past century. He is one of those whose writings cannot be exhausted by contemporary man, because they always bring him something new. There is nothing within the intellectual interests of the present that Wilhelm Jordan did not regard as his personal affair. A great poet may be content to be at home in one part of the cultural life of the present. A leading spirit cannot. And Wilhelm Jordan is a leading spirit. But only for those who feel the magic that lies in the power of his ideas.
Few artists have been able to combine the perspective of the future with that of the past in such a generous way. Jordan was able to clothe the wisdom that will live on into the distant future in the guise of the ancient German heroic saga. The spirit of the modern scientific world view animates the figures of the old saga in his powerful poem "Nibelunge".
As a truly modern spirit, Wilhelm Jordan knew one thing: that the imagination of modern man cannot invent poetic fables on a grand scale. Our imagination works differently than that of our ancestors. The superhuman, which man conceives as that which lies beyond him, is today a shapeless idea, which is felt in the deepest depths with all the fervor with which our ancestors felt about their gods and heroes, but which can never again take on a plastic form. The artist of great style must therefore borrow the figures for modern ideas from the ancestors. But he can breathe the modern soul into these figures. And that is what Wilhelm Jordan did. He turned the old heroes into ideals of modern man. We can no longer feel the meaning that our ancestors gave them. But the figure is also vivid for us. Hagen, Siegfried, Kriemhild and Brunhild are human characters who as such are immortal. Only the spirit that their creators have given them within the world's gears has become alien to our imagination. But the things of this world cannot be exhausted. And all the meaning that we associate with them is only a part of the great spirit that they contain. It is possible to extract a new meaning from them from time to time.
Wilhelm Jordan did this with regard to the figures of the German heroic saga. Through him, they have been given a soul without the perspective of the Germanic world of gods. They have become representatives of the modern spirit.Because Wilhelm Jordan himself is a bearer of the modern spirit. Hardly anyone could have expressed the modern consciousness better than he did with the words he spoke - with regard to Darwin:
He has made it clearer than anyone
Traced out and shown,
How and which thousand paths
Up which life soars,
I only all paths direction
From the poet's bird's eye view
Overlooks, he senses in them
Aim and plan in world-building.
How - that is his question
Strengthen, increase hunger, death?
Mine: - what further redeems
God in us from envy and need?
This is the modern belief: that it is not a God who made the world and created man, but that an image of God dwells in man's breast, capable of creating God himself. And Nietzsche's Übermensch is only the God who dwells within us and is to come to light.
He is ours: we would like to say of Wilhelm Jordan. We who do not believe in the God of the past, but who work for the God we want to create, just as the animal created man from itself.
And we, who are of one unbelief with him, bring him greetings on his birthday.
7. Wilhelm Jordan
Zu seinem achtzigsten Geburtstage
Eine Zeitschrift, die vor allen anderen Dingen der Weltanschauung der Gegenwart dienen will, muss am 8. Februar [1899] einen Festtag verzeichnen. An diesem Tage wird Wilhelm Jordan achtzig Jahre alt. Wer den Kultus der «reinen Kunst» treibt, wird an Jordan manches auszusetzen haben. Die künstlerische Komposition seiner Werke, namentlich aber die Wiedererneuerung des Stabreimes bringen bei manchem Ästhetiker ein höchst «vornehmes» Achselzucken hervor. Man kennt sie, diese Ästhetiker, die es ihm nicht verzeihen konnten, dass er sang, er wolle «mit rauschendem Redestrom bis zum Rande der Vorzeit Gefäße wieder füllen und neu verjüngen nach tausend Jahren die wundergewaltige, uralte Weise der deutschen Dichtkunst». - Wer aber in der Kunst ein Glied innerhalb der allgemeinen Kulturentwickelung sieht, der muss Wilhelm Jordan zu den besten Geistern des ablaufenden Jahrhunderts zählen. Er gehört zu denen, deren Schriften der Mensch der Gegenwart nicht erschöpfen kann, weil sie ihm immer wieder Neues bringen. Es gibt nichts innerhalb der geistigen Interessen der Gegenwart, was Wilhelm Jordan nicht als seine persönliche Angelegenheit betrachtet hätte. Ein großer Dichter mag sich damit begnügen, in einem Teile des Kulturlebens der Gegenwart zu Hause zu sein. Ein führender Geist kann das nicht. Und Wilhelm Jordan ist ein führender Geist. Allerdings nur für diejenigen, die den Zauber empfinden, der in der Kraft seiner Ideen liegt.
Wenige Künstler haben in so großzügiger Weise die Perspektive der Zukunft mit derjenigen der Vergangenheit zu verbinden gewusst. In das Gewand der uralten deutschen Heldensage hat Jordan die Weisheit zu kleiden gewusst, die fortleben wird bis in die fernste Zukunft. Der Geist der modernen naturwissenschaftlichen Weltanschauung belebt die Gestalten der alten Sage in seiner gewaltigen Dichtung «Nibelunge».
Wilhelm Jordan hat als echt moderner Geist eines gewusst: dass die Phantasie des heutigen Menschen nicht dichterische Fabeln im großen Stile erfinden kann. Unsere Phantasie wirkt anders als die der Vorfahren. Das Übermenschliche, das der Mensch als das über ihn Hinausliegende ersinnt, ist heute ein gestaltloses Ideengebilde, das man im tiefsten Innern mit all der Inbrunst empfindet, mit der die Vorfahren über ihre Götter und Heroen empfanden, das aber nimmermehr plastische Gestalt annehmen kann. Der Künstler großen Stiles muss daher die Gestalten zu den modernen Ideen von den Ahnen entlehnen. Aber er kann diesen Gestalten die moderne Seele einhauchen. Und das hat Wilhelm Jordan getan. Er hat die alten Helden zu Idealen des modernen Menschen gemacht. Den Sinn, den ihnen die Vorfahren gegeben haben, können wir nicht mehr empfinden. Aber die Gestalt ist auch für uns anschaulich. Hagen, Siegfried, Kriemhild, Brunhild sind menschliche Charakterfiguren, die als solche unvergänglich sind. Nur der Geist, den ihnen ihre Schöpfer innerhalb des Weltgetriebes gegeben haben, ist unserem Vorstellen fremd geworden. Die Dinge dieser Welt sind aber nicht auszuschöpfen. Und aller Sinn, den wir mit ihnen verbinden, ist nur ein Teil des großen Geistes, den sie enthalten. Es ist möglich, von Zeit zu Zeit einen neuen Sinn aus ihnen zu holen.
Dies hat Wilhelm Jordan in Bezug auf die Gestalten der deutschen Heldensage geleistet. Sie haben durch ihn eine Seele ohne den Ausblick auf die germanische Götterwelt bekommen. Sie sind Repräsentanten des modernen Geistes geworden.
enn Wilhelm Jordan ist selbst ein Träger des modernen Geistes. Es wird wohl kaum jemand das moderne Bewusstsein besser zum Ausdruck bringen können, als er es mit den Worten getan hat, die er - im Hinblick auf Darwin - sprach:
Er hat’s greiflich klar wie niemand
Ausgespürt und aufgezeigt,
Wie und welche tausend Pfade
Sacht empor das Leben steigt,
Ich nur aller Pfade Richtung
Aus des Dichters Vogelschau
Überblickt, er ahnt in ihnen
Ziel und Plan im Weltenbau.
Wie - so lautet seine Frage
Stärken, steigern Hunger, Tod?
Meine: - was erlöset weiter
Gott in uns aus Neid und Not?
Das ist der moderne Glaube: dass nicht ein Gott die Welt gemacht und den Menschen geschaffen, sondern dass in des Menschen Brust ein Gottesbild wohnt, geeignet, den Gott selbst zu schaffen. Und Nietzsches Übermensch ist nur der Gott, der in uns wohnt und zum Vorschein kommen soll.
Er ist unser: möchten wir von Wilhelm Jordan sagen. Wir, die nicht an den Gott der Vergangenheit glauben, die aber arbeiten für den Gott, den wir schaffen wollen, wie das Tier aus sich den Menschen geschaffen hat.
Und wir, die mit ihm eines Unglaubens sind, bringen ihm die Grüße zum Geburtstage.