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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Collected Essays on Literature 1884-1902
GA 32

Automated Translation

24. “Russian Journey” by Hermann Bahr

E. Piersons Verlag, Dresden 1891

Hermann Bahr's books are always interesting. Lively experience, outlandish views, observations gathered from all over the world are grotesquely shaped into literary creations that chase the reader through all kinds of contradictory feelings and thoughts. Nevertheless, one comes home from this chase completely unscathed. For Hermann Bahr's writings have none of the seriousness that makes reading many a German book such hard work. I prefer to read them when I'm longing for cozy peace and quiet, lying on the sofa, smoking cigarettes. Then I think I see Hermann Bahr's feelings and thoughts embodied in the rising clouds of smoke. Just as a mass of smoke forms, quickly dissolves and is replaced by another, so those forms appear before my mental horizon, disappear, and others can quickly take their place. This is probably also due to the fact that Hermann Bahr rarely takes anything completely seriously. He even plays with idealism, an area in which the German otherwise knows no jokes. In the present book, for example, he constructs the idea of a highly refined sensuality that no longer finds pleasure in the satisfaction of ordinary sensual passions, but experiences the highest lust already in the dark sensation of the sensual relationship. This relationship itself is not even sought. Immediately afterwards, Bahr asks himself: yes, but is that something other than high school love? In this way, the mood of the previous moment is always immediately overcome. This is why Bahr calls himself an "acrobat of moods". He describes his life as "nervous gymnastics". This character soon becomes bored with every environment; his addiction to making quite fantastic emotional contortions always needs new situations in life; his nerves cannot tolerate one and the same impression for long, they always need new food. That is why Hermann Bahr travels a lot. And his travelogues differ from others in that he primarily describes the impressions of the places he visits on his nerves, that he shows us the hitherto unknown nuances of feeling that have enriched his life. But this makes the places that Bahr describes come alive for the reader. And rarely has the wretchedness of Russian life, the slavish attitude of the majority of the people, the emptiness of thought, the sensuality of Russian women and the like stood so clearly before my mind as while reading this "Russian Journey". There was little to be gained for Bahr's emotional tightrope walking in Russia, as he himself admits. However, this was not only due to the country and its people - who seem more likely to lead to despair over their spiritual barrenness than to a variety of impressions - but also to the fact that Bahr fell in love with a "little lady", a member of an acting company, on the outward journey, against all the rules of his manly nature, and idealistically wasted many an hour. The description of this "little lady" is so exquisite that it even becomes dangerous for the reader, because one wants to fall in love with this charming creature. We wish the book, to which we ourselves owe much clever and much crazy pleasure, many readers, even apart from Bahr's benevolent friends, of whom he says at the end: "There are many a good soul among them, and they cannot help their stupidity." The interwoven characterization of the Italian actress Duse, who was a guest in St. Petersburg during Bahr's presence, is masterly in form - I cannot judge the content because I have never seen Duse.

24. «Russische Reise» von Hermann Bahr

E. Piersons Verlag, Dresden 1891

Hermann Bahrs Bücher sind immer interessant. Lebemännische Erfahrung, absonderliche Ansichten, aus aller Herren Länder zusammengetragene Beobachtungen sind in grotesker Weise zu schriftstellerischen Gebilden geformt, die den Leser durch alle möglichen widerspruchsvollen Empfindungen und Gedanken jagen. Dennoch kommt man ganz ungeschädigt heim von dieser Jagd. Denn nichts von jenem schweren Ernste, der das Lesen so manchen deutschen Buches zu einer harten Arbeit macht, ist Hermann Bahrs Schriften eigen. Ich lese sie am liebsten dann, wenn ich mich nach behaglicher Ruhe sehne, auf dem Sofa liegend, Zigaretten rauchend. Dann glaube ich in den aufsteigenden Rauchwolken die Gefühls- und Gedankenformen Hermann Bahrs verkörpert zu sehen. Wie eine Rauchmasse sich bildet, schnell sich auflöst und von einer andern abgelöst wird, so treten jene Formen vor meinem geistigen Horizonte auf, zerstieben, und schnell können wieder andere an ihre Stelle treten. Das kommt wohl auch davon, dass Hermann Bahr selten etwas völlig ernst nimmt. Selbst mit dem Idealismus, in dem der Deutsche sonst keinen Spaß versteht, spielt er nur. In dem vorliegenden Buche konstruiert er sich z.B. die Idee einer höchst verfeinerten Sinnlichkeit heraus, die an der Befriedigung der gewöhnlichen sinnlichen Leidenschaften keinen Gefallen mehr findet, sondern die höchste Wollust schon bei der dunklen Empfindung von der sinnlichen Beziehung erlebt. Diese Beziehung selbst wird gar nicht gesucht. Gleich im Augenblicke darauf fragt sich Bahr: ja, aber ist das doch etwas anderes als Gymnasiastenliebe. So wird immer in einem Momente die Stimmung des vorigen sogleich überwunden. Deshalb nennt sich Bahr einen «Stimmungsakrobaten». Sein Leben bezeichnet er als «nervöse Gymnastik». Diesem Charakter wird bald jede Umgebung langweilig; seine Sucht, recht tolle Gefühlsverrenkungen zu machen, braucht immer neue Lebenslagen; die Nerven können nicht lange einen und denselben Eindruck vertragen, sie brauchen immer neues Futter. Deshalb reist Hermann Bahr viel. Und seine Reisebeschreibungen unterscheiden sich von anderen dadurch, dass er uns vor allen Dingen die Eindrücke der von ihm besuchten Stätten auf seine Nerven schildert, dass er uns darstellt, durch welche ihm bisher unbekannte Empfindungsnuancen sein Leben bereichert wurde. Aber dadurch werden vor dem Leser die Gegenden, die uns Bahr beschreibt, erst recht lebendig. Und vor meinem Geiste stand selten so klar die Jämmerlichkeit des russischen Lebens, die sklavische Gesinnung der Hauptmasse des Volkes, die Gedankenleerheit, die Sinnlichkeit der russischen Weiber u. dgl., als während des Lesens dieser «russischen Reise». Zu gewinnen war für Bahrs Gefühls-Seiltänzerei in Russland wenig, wie er selbst zugibt. Daran waren aber nicht allein Land und Leute schuld die allerdings eher zur Verzweiflung über ihre geistige Öde als zu einer Mannigfaltigkeit von Eindrücken führen zu können scheinen -, sondern der Umstand, dass Bahr sich schon auf der Hinreise in ein «kleines Fräulein», Mitglied einer Schauspielergesellschaft, gegen alle Regeln seines lebemännischen Wesens verliebte und in idealistischer Weise manche Stunde verschwärmte. Die Schilderung dieses «kleinen Fräuleins» ist so vortrefflich, dass sie sogar für den Leser gefährlich wird, denn man möchte sich verlieben in das reizende Wesen. Wir wünschen dem Buch, dem wir selbst viel gescheiten und viel verrückten Genuss verdanken, zahlreiche Leser, auch außer den wohlwollenden Freunden Bahrs, von denen er am Schluss sagt: «Es ist manche gute Seele unter ihnen, und für ihre Dummheit können sie nicht.» Die eingeflochtene Charakteristik der italienischen, in Petersburg während Bahrs Anwesenheit gastierenden Schauspielerin Duse ist formell - den Inhalt kann ich nicht beurteilen, weil ich die Duse nie gesehen habe - meisterhaft.