Collected Essays on Literature 1884-1902
GA 32
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38. Goethe's World View and the Present
Presentation of a lecture held on December 19, 1897 in the "Literary Society" in Leipzig
Dr. Rudolf Steiner spoke about "Goethe's world view and the present" at the "Literary Society". The topic is not new. Numerous philosophers and literary historians have dealt with it. But you can see how inexhaustible Goethe is, because there are always new sides to this topic, and Dr. Steiner's lecture in the large hall of the "Hötel de Pologne" offered an interesting picture of the intellectual life of the Weimar prince of poets. The speaker referred to Goethe's position on the dispute between the conservative Cuvier and the revolutionary Geoffroy de St.-Hilaire. Goethe suspected that this dispute would result in a whole revolution in people's views. The old way of thinking, according to which man was a being dependent on God and nature, fell, and he became the master of creation, who was alone with everything that lives and weaves around him. Goethe had already adopted this world view early on, but only a few people understood it. Our world view goes back to Parmenides. He was followed by Plato, whose doctrine of this world and the hereafter was further developed by Christianity. This doctrine still dominates contemporary philosophy, even revolutionary minds such as Baco of Verulam, Descartes and Kant, who are convinced of the necessity of faith. Goethe stands alone against them all. He emphasizes the unity of the spiritual and the sensual world. The path of nature leads from the plant through the animal world to man. Man is not gifted with anything supernatural, he is only the most highly organized product of nature. He is indeed the master of creation. In old age, however, Goethe returned to the old world view, as Part II of "Faust" shows us. Goethe's view, however, was taken up and expanded. Ludwig Feuerbach, who destroyed everything that had been valid until then, was followed by Max Stirner. It was then the great natural scientists of the modern age, namely Darwin, who rebuilt something new from the ruins and created the world view of the present. In his magnificent lecture, Redner followed on from a book he had published on the same subject.
38. Goethes Weltanschauung und die Gegenwart
Referat eines Vortrages, gehalten am 19. Dezember 1897 in der «Literarischen Gesellschaft» in Leipzig
Über «Goethes Weltanschauung und die Gegenwart» sprach Herr Dr. Rudolf Steiner in der «Literarischen Gesellschaft». Das Thema ist nicht neu. Zahlreiche Philosophen und Literarhistoriker haben sich mit ihm beschäftigt. Aber man sieht, wie unerschöpflich Goethe ist, denn immer neue Seiten lassen sich auch diesem Thema abgewinnen, und der Vortrag Dr. Steiners im großen Saale des «Hötel de Pologne» bot ein interessantes Bild des geistigen Lebens des Weimarer Dichterfürsten. Redner knüpfte an die Stellung Goethes zu dem Streit zwischen dem konservativen Cuvier und dem revolutionären Geoffroy de St.-Hilaire an. Goethe ahnte, dass sich aus diesem Streit eine ganze Umwälzung der Anschauungen der Menschen ergeben werde. Die alte Denkweise, nach welcher der Mensch ein von Gott und der Natur abhängiges Wesen war, fiel, und er wurde der Herr der Schöpfung, der alleins war mit allem, was um ihn lebt und webt. Diese Weltanschauung hatte Goethe schon in früher Zeit sich angeeignet, aber nur von wenigen wurde er verstanden. Unsere Weltanschauung reicht zurück bis auf Parmenides. Ihm folgte Plato, dessen Lehre vom Diesseits und Jenseits das Christentum weiter ausbildete. Diese Lehre beherrscht auch die Philosophie der Gegenwart noch, selbst revolutionäre Geister wir Baco von Verulam, Descartes und Kant, die von der Notwendigkeit des Glaubens überzeugt sind. Ihnen allen gegenüber steht Goethe auf einsamer Höhe. Er betont die Einheit der geistigen und der sinnlichen Welt. Von der Pflanze durch die Tierwelt geht der Weg der Natur zum Menschen. Der Mensch ist mit nichts Überirdischem begabt, er ist nur das höchstorganisierte Naturprodukt. Er ist tatsächlich der Herr der Schöpfung. Im Alter freilich kehrte Goethe zu der alten Weltanschauung zurück, wie uns der II. Teil des «Faust» zeigt. Die Goethe’sche Anschauung wurde aber aufgenommen und ausgebaut. Ludwig Feuerbach, der alles zerstörte, was bislang gegolten hatte, dem dann Max Stirner folgte. Die großen Naturforscher der Neuzeit, namentlich Darwin, waren es dann, die aus den Trümmern wieder etwas Neues aufbauten und die Weltanschauung der Gegenwart schufen. Redner schloss sich in seinem prachtvollen Vortrag an ein von ihm herausgegebenes Buch an, das den gleichen Stoff behandelt.