Collected Essays on Literature 1884-1902
GA 32
Automated Translation
82. Memorial Service for Theodor Fontane
The memorial service for Theodor Fontane, which was organized by the Berlin association “Freie Bühne” on October 16 [1898], included an interesting commemorative speech by Otto Brahms, director of the Deutsches Theater. Brahm was one of the first to put his critical talent at the service of the new literary movements that were emerging in Germany in the 1880s, and Theodor Fontane, although he was already one of the “old guard” at the time, warmly welcomed the “young” and showed them an understanding as if he had become young again with them. The critic Brahm had personal connections with Theodor Fontane, and in his speech he was able to share memories and passages from letters that shed a beautiful light on the poet's personality. After the establishment of the “Freie Bühne”, Fontane immediately pointed out Gerhart Hauptmann as the artist of the future and followed every further step of the same with heartfelt interest. He expressed this interest in his letters in a way that testifies to the high artistic sense as well as the fine humor of the poet. Fontane found significant and also witty words for what Sudermann, Georg Hirschfeld and other younger poets have achieved. Otto Brahm shed light on the relationship between the “Poet of the Mark” and the “Nordic liberator” Henrik Ibsen in a somewhat dry but nonetheless subtle manner. He showed how close the two poets were to each other in their understanding of human relationships and mental processes, and how they touched on social criticism in their works. Otto Brahm has excellently brought out the artistic and human physiognomy of Fontane. He counts the poet among the naturalists because he never believed in a legislative aesthetic in his whole life, but left himself to the free rule of his nature. Nobody can be more convinced than Fontane was that the ethical and artistic standards of people are constantly changing. He never asked how a work of art related to general rules, but always based his judgment on the individual impression it made on him. Even when the “young” behaved somewhat boisterously, Fontane did not confront them with the aesthetic rules in a blustering manner, as other “old” people did. He understood them even in their excesses, for he knew that many futile attempts must be made if something fruitful and future-proof is to develop in the end. For him, even the rejection of the younger generation by his contemporaries was incomprehensible. He could not really understand why the old trees did not want to tolerate the young offspring that had grown from the seeds they themselves had ripened.
82. Gedächtnisfeier für Theodor Fontane
Die Gedächtnisfeier für Theodor Fontane, welche am 16. Oktober [1898] der Berliner Verein «Freie Bühne» veranstaltete, brachte eine interessante Gedächtnisrede Otto Brahms, des Direktors des Deutschen Theaters. Brahm war einer der ersten, die ihre kritische Begabung in den Dienst der in den achtziger Jahren in Deutschland auflebenden neuen Literaturströmungen stellten, und Theodor Fontane, obwohl er damals bereits zu den «Alten» gehörte, begrüßte die «Jungen» in herzlichster Weise und brachte ihnen ein Verständnis entgegen, wie wenn er mit ihnen selbst wieder jung geworden wäre. Der Kritiker Brahm hatte persönliche Beziehungen zu Theodor Fontane, und er konnte in seiner Rede Erinnerungen und Briefstellen mitteilen, die ein schönes Licht auf die Persönlichkeit des Dichters werfen. Fontane hat nach Errichtung der «Freien Bühne» sogleich auf Gerhart Hauptmann als den kommenden Künstler hingewiesen und jeden weiteren Schritt desselben mit innigem Anteil verfolgt. Er hat diesen Anteil in seinen Briefen in einer Weise ausgesprochen, die von dem hohen künstlerischen Sinn ebenso wie von dem feinen Humor des Dichters Zeugnis geben. Für das, was Sudermann, was Georg Hirschfeld und andere jüngere Dichter geleistet haben, fand Fontane bedeutungsvolle und auch launige Worte. Das Verhältnis des «Dichters der Mark» zu dem «nordischen Befreier» Henrik Ibsen beleuchtete Otto Brahm in etwas trockener, aber doch feiner Weise. Er zeigte, wie nahe die beiden Dichter einander in der Auffassung menschlicher Verhältnisse und Seelenvorgänge stehen, wie sie sich in Bezug auf die Gesellschaftskritik berühren, die in ihren Werken gegeben ist. Die künstlerische und auch die menschliche Physiognomie Fontanes hat Otto Brahm trefflich herausgearbeitet. Er rechnet den Dichter zu den Naturalisten, weil dieser in seinem ganzen Leben nie etwas von einer gesetzgebenden Ästhetik gehalten, sondern sich dem freien Walten seiner Natur überlassen hat. Niemand kann stärker davon überzeugt sein, als Fontane es war, dass sich die ethischen und die künstlerischen Maßstäbe der Menschen fortwährend wandeln. Niemals hat er gefragt, wie sich ein Kunstwerk zu allgemeinen Regeln verhält, sondern stets hat er sich in seinem Urteile nach dem individuellen Eindrucke gerichtet, den es auf ihn gemacht hat. Wenn die «Jungen» auch etwas stürmisch sich gebärdeten: Fontane trat ihnen nicht wie andere «Alte» polternd und mit dem ästhetischen Regelmaße entgegen. Er verstand sie auch in ihren Ausschweifungen, denn er wusste, dass viele vergebliche Ansätze gemacht werden müssen, wenn zuletzt etwas Fruchtbares, Zukunftsicheres sich entwickeln soll. Für ihn hatte sogar die Ablehnung der jungen Generation von Seiten seiner Altersgenossen etwas Unverständliches. Er konnte nicht recht begreifen, warum die alten Bäume den jungen Nachwuchs nicht dulden wollten, der doch aus den Samen entstand, die sie selbst gereift.