Collected Essays on Literature 1884-1902
GA 32
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96. A Free Council Evening
[The] Workers' Education School Berlin organized a Freiligrath evening at the trade union building on Sunday, 17 February 1901, which was attended by over 1000 people. Dr. Steiner gave the introductory lecture; he had a masterful way of describing the poet's development. Under the impression of the world trade in Amsterdam, where Freiligrath was to train for the merchant class, he first became a poetic writer of exotic subjects, comparable in the intensity of his coloration to Böcklin. Despite the fact that he then took the view that the poet “must stand on a higher vantage point than on the battlements of the party”, over the years he became a fervent poet of freedom for the socially oppressed. He rejected the royal pension that he had received for several years and in 1844, with the contemporary poems Ein Glaubensbekenntnis (A Confession of Faith), he opened the series of his social poems. Although he was acquitted by the jury in 1848 for his involvement in the revolution, he was forced to flee to London when the reactionaries won. There he had to work as a bookkeeper to earn a living for himself and his family, because the publication of his poems and the masterful translation of foreign poetry did not earn him enough. It was only through the amnesty in 1867 that the poet was able to return to Germany. The speaker concluded his lecture by saying that the best way to characterize the greatest poets of the 19th century was to describe Lenau as the poet of melancholy, Heine as the poet of exuberance and Freiligrath as the poet of heroism. Even though Freiligrath said at the end of his life that his social poems no longer had any agitational effect, he was mistaken. His revolutionary songs of freedom still inspire freedom fighters today. And when the great day of liberation dawns, the name of Ferdinand Freiligrath will shine among the poets of freedom in golden letters. The enthusiastic words of the speaker were met with rich applause.
The following numbers of the excellent program also offered great enjoyment. Exact chamber music, recitations of Freiligrath's poems, performed in an excellent, atmospheric way by Mr. Friedrich Moest, and singing performances by Mr. Friedrichs were well-deserved applause from the numerous listeners. The evening was one of the most enjoyable among those organized by the school so far.
96. Ein Freiligrath-Abend
[Die] Arbeiter-Bildungsschule Berlin veranstaltete am Sonntag, den 17. Febr. 1901, im Gewerkschaftshaus einen Freiligrath-Abend, welcher von über 1000 Personen besucht war. Herr Dr. Steiner hielt den einleitenden Vortrag; er verstand es meisterhaft, den Entwickelungsgang des Dichters zu schildern. Unter dem Eindruck des Welthandels in Amsterdam, wo sich Freiligrath für den Kaufmannsstand ausbilden sollte, wurde er erst der poetische Schilderer exotischer Stoffe, vergleichbar in der Glut der Farbenbildung mit Böcklin. Trotzdem er dann den Standpunkt vertrat, dass der Dichter «auf einer höheren Warte stehen müsse, als auf den Zinnen der Partei», wurde er doch im Laufe der Jahre glühender Freiheitsdichter der sozial Geknechteten. Er wies die königliche Pension, welche er etliche Jahre erhalten hatte, zurück und eröffnete im Jahre 1844 mit den Zeitgedichten: Ein Glaubensbekenntnis, die Reihe seiner sozialen Gedichte. Obgleich er im Jahre 1848 vom Schwurgericht wegen seiner Anteilnahme an der Revolution freigesprochen wurde, musste er dennoch, als die Reaktion siegte, nach London entfliehen. Dort musste er als Buchhalter für sich und die Seinen das zum Leben Notwendige erwerben, weil ihm die Herausgabe seiner Gedichte und die meisterhafte Übersetzung fremder Dichtungen nicht genügend einbrachte. Erst durch die Amnestie im Jahre 1867 wurde es dem Dichter möglich, nach Deutschland zurückzukehren. Man könne nun, so schloss der Referent seinen Vortrag, die größten Lyriker des 19. Jahrhunderts am besten charakterisieren, wenn man Lenau als den Dichter der Schwermut, Heine als den Dichter des Übermuts und Freiligrath als den Dichter des Heldenmuts bezeichne. Wenn Freiligrath auch am Ende seines Lebens gesagt hat, dass seine sozialen Gedichte keine spätere agitatorische Wirkung mehr besäßen, so ist das ein Irrtum von ihm gewesen, seine revolutionären Freiheitsgesänge begeistern auch heute noch die Kämpfer für Freiheit und Recht. Und wenn einst der große Tag der Befreiung heraufsteigt, wird auch in goldenen Lettern unter den Freiheitsdichtern der Name Ferdinand Freiligrath glänzen. Reicher Beifall wurde den begeisterten Worten des Vortragenden gezollt.
Reichen Genuss boten auch die folgenden Nummern des ausgezeichneten Programms. Exakt ausgeführte Kammermusik, Rezitationen Freiligrath’scher Gedichte, in ausgezeichneter, stimmungsvoller Weise von Herrn Friedrich Moest vorgetragen, Gesangsaufführungen von Herrn Friedrichs fanden den wohlverdienten Beifall der zahlreich erschienenen Hörer. Der Abend war einer der genussreichsten unter den bisher von der Schule veranstalteten.