Dramatizations I
small>Plays by Edouard Schuré
GA 42
1907
Translated by Steiner Online Library
Die SEELENHÜTERIN
Edouard Schure
Sprachlich eingerichtet durch Rudolf Steiner
Schauspiel in vier Akten
nach Übersetzungen von
Marie von Sivers und Cecile Conrad-Valnor Personen
MAurICE von KERNOET
Lucizg, seine Schwester
FuLGENCE von FREMEUSE
Sainr-Riveun
Die Murter AnGeLika, Äbtissin der Ursulinerinnen Die Herzocin
Eine GRÄFIN
Eine BARONIN
K£rauio, Maricnv, Offiziere des Königs Vorney, Bürger von Rennes
ERVoANIK, ein alter Hirte
Gaip, seine Tochter
Urriac, ein Matrose
Ein BEDIENTER
Die ERSCHEINUNG DER (QUELLE
Kinper
BRETONISCHE BAUERN
Zwei DUDELSACKSPIELER
DAMEN UND EDELLEUTE vom Hofe Ludwigs XVI.
Die Handlung spielt in der Bretagne und in Paris, im Jahre 1789 I. Akt
[Im Park und Schloss von Kernoöt, in der Bretagne]
Erste Szene
[Saint-Riveul und Fulgence]
FULGENCE [(von der Höhe der Freitreppe)]: Schönsten Guten Morgen. SAINT-RivEuL [(hebt seinen Kopf)]: Schönsten Guten Morgen, Comtesse. FULGENGCE [(steigt die Stufen hinab und tritt näher)]: Woher denn so bedächtig? SAINT-RIVEUL [(einen Elzevir aus der Tasche ziehend)]: Ich ließ mich eben von Voltaire beraten, wie man am besten die Langeweile tötet. - Doch wohin Ihr, so siegesgewiss? FULGENCE [(einen ganz gleichen Elzevir aus der Tasche ziehend)]: Mich gelüster’s von Rousseau über das Wesen der Einsamkeit belehrt zu werden.
[gegenseitige Verbeugung)]
SainT-RivEUL: Zwei echte Philosophen. Doch anderes ist mir lieber. Für jetzt verlangt es mich Ihrem vielsagenden Antlitz und Ihren rätselvollen Augen die Beichte abzunehmen. FULGENCE: Gut, forschen Sie; aber ich will Gleiches mit Gleichem vergolten haben.
Saint-RivEurL: Wie dem Einen so dem Andern. Dann beginnen wir damit, dass Sie mir das Rätsel lösen, warum Sie schon einen Monat lang dieses düstre Schloss anziehend zum Aufenthalt finden? Was führte Sie denn in dieses Eulennest - Sie die junge, geistreiche Witwe, die Herzöge zu Ihren Füßen knien sah, die dasselbe auch von einem Könige haben könnte, lebten wir nicht im Jahre des Heils 1789, in dem Ludwig des XV. Einfalt über uns herrscht.
FULGENCE: Um meine Freundin, Lucile von Kernoet wiederzusehen, bin ich da. Wir wurden zusammen erzogen im Kloster der Ursulinerinnen. Wir verließen es zur selben Zeit. Sie ging hierher, zu ihrem Vater, ich verheiratete mich. Wir hörten lange nichts voneinander. Da starb eines Tages der alte Graf von Kernoät, und bald darauf auch der Graf von Fr&meuse. Lucile lud mich zu sich ein. Ich zögerte erst zu kommen, dann entschloss ich mich doch. Und, ich hab’ es wirklich nicht bereut, denn unsere alte Freundschaft erneute sich hier nicht nur: Wir kamen uns viel näher.
SAinT-RivEuL: Fiel denn nicht Ihre Ankunft gerade in die Zeit, als auch Luciles Bruder aus Amerika heimkam?
FULGENCE: Davon hatte ich nicht die geringste Ahnung. Und als ich es bei meinem Eintritte entdeckte, wollte ich mich am liebsten nach drei Tagen wieder davonmachen. Geschwister, die sich nach so langer Zeit wiederhatten, wollte ich nicht stören. Dass ich noch da bin, hat Lucile erzwungen. Was ist sie doch für ein sonderbares Wesen, diese Lucile. Man könnte glauben, sie lebte in einer fremden Welt. Was um sie vorgeht, sieht sie kaum, und Fernliegendes ahnt sie oft ganz wunderbar. Ich glaube ihre Seele kann man nicht erforschen; sie wird von einem dreifach verschlossenen Herzen behütet. Ich kann sie wirklich nicht verstehn, doch muss ich sie bewundern und lieben.
Sainr-Riveur: Das wäre alles, was Sie hier hält?
FULGENCE: Ja, das ist das Geheimnis, das Sie ergründen wollten.
Sarnt-Riveur: Nein, nein, Comtesse, das ist gewiss nicht alles. - Wie steht es denn mit Luciles Bruder? Den erkennt man in der letzten Zeit nicht wieder. Ist das noch derselbe, der kühne Reisen gemacht, den amerikanischen Krieg gekämpft, in Kanada als Pionier gewirkt hat? Er ist weit finstrer und verschlossener, als er vorher war. Wo sind die alten Gespräche über die wilden Wälder; kaum bei den Mahlzeiten sieht man ihn; er schreitet mit schweren Schritten im Ritter-Zimmer auf und ab oder geht ganz allein auf die Jagd. Heute hat er sich überhaupt noch nicht blicken lassen Eingeschlossen hat er sich oben im "Turm mit seinen Landkarten und Büchern. O, Gräfin, wo sollte man den Grund suchen dieser auffälligen Melancholie, wenn Sie nicht Ihre geschickte Hand und Ihren klugen Kopf im Spiele hätten? Ob Sie ihm nicht doch im Kopfe wirbeln, dem unglückseligen Maurice. Ich kenne das bei ihm, er wird schweigsam, wenn er liebt - doch diesmal wird es bedenklich werden.
FULGENCE [(lächelt, indem sie leise ihren Fächer bewegt)]: Ob Sie nicht selber träumen. Ich habe das alles nicht gemerkt, jedenfalls habe ich nichts damit zu tun.
SainTt-Riveur: Ihre Beichte ist nicht offenherzig; ich kann Sie nicht absolvieren. Wäre es nicht das Beste, Sie heirateten Maurice? Seine Schwester braucht ihn nicht; sie hat ihre reiche Mutter beerbt. Der Graf von Kernoöt hat einen klangvollen Name und ist ein tüchtiger Mann. Was könnte aus ihm werden, wenn Sie den Wilden in einen Hofmann verwandelten?
FULGENCE: Brechen wir ab; Fulgence von Frömeuse hat vom Leben gelernt die Freiheit zu schätzen. Sie könnte auf diese nur verzichten, wenn sie ihren Gebieter fände. Fulgence hat ihn noch nicht gefunden. Nun, mein Herr, Hofmann, Spieler und Nichtstuer der für die Soupers der Regence oder die Vorzimmer der Pompadour besser taugte als für die Zeit, in welcher Mirabeaus Worte gegen Adel und Königtum donnern, welch’ eine verborgene und bedeutsame Absicht hält Sie in dieser Wildheit fest?
SAinT-RivEuL: Ich kann es kurz machen. Ich brauche nur zwei Worte zu sagen: Ich bin da, um Lucile zu heiraten.
FULGENCE: Und das wäre nicht die reine Torheit! Sie scherzen wohl. Man wird zwischen ihr und Ihnen wohl nicht mehr Verwandtes finden als zwischen einer Karmeliterin und dem Herzog von Richelieu.
SAinr-Riveur: Ich bin ein verlorner Mensch. Ludwigs des XV. alberne Tugendhaftigkeit erteilte mir den Befehl: Herr von Saint-Riveul, bessern Sie sich, retten Sie Ihre Ehre, heiraten Sie eine reiche Erbin oder ich schicke Sie ins Exil. Nun ins Exil will ich doch nicht, so heirate ich Lucile.
FULGENCE: Sie wird Sie einfach auslachen ... Diese Träumerin ist eine stolze und unnahbare Seele.
SAINT-RivEUL [(zieht eine goldene Tabaksdose aus seiner Ta sche und nimmt eine Prise zwischen die Finger)]: Comtesse, kennen Sie denn so genau die Untergründe der Menschennatur?
FULGENCE: Ein wenig doch.
SAinr-Riveur: Dann dürfte Ihnen vielleicht eines doch nicht entgangen sein: [(Er schnupft langsam und mit Behagen.)] das Menschenwesen, ob Mann oder Frau, ist schlauer als die anderen Tiere; dafür aber verrückter. Es hat Leidenschaften, hat seine Stelle, an der man ihm beikommen kann. Setzen Sie sich auf die Lauer und warten Sie, bis Sie diese Stelle bemerken - und Sie haben das Geschöpf - ob Mann, ob Frau, Sie erobern es.
FULGENCE: Lucile werden Sie niemals erobern. SAINT-RivEUL: Nun, warten wir ab. Vielleicht nicht länger als bis morgen, um zu sehen, wie Sie den Grafen lieben und Lucile sich mit mir verlobt.
FULGENCE: Sie haben wohl Ihre Sinne nicht beisammen, SaintRiveul.
SAINT-RIVEUL [(auf den Cupido zeigend)]: Sagt nicht Voltaire: Trägst du den Kopf auch noch so hoch, du wirst ihn beugen vor deinem Herrn, der es war, oder es ist, oder es sein wird.
[(Fulgence nimmt lachend den Arm Saint-Riveuls, sie gehen rechts ab.)]
Zweite Szene
[Lucile, die Mutter Angelika, bald danach Ervoanik, Gaid und Ulliac]
Die MUTTER ANGELIKA: Altwürdigem Gebrauche nach hab’ ich dem Schlosse meinen Segen erteilt am Ehrentage der Schlossherrin, gedenkend der großen Ahnin, welche das Kloster der Ursulinerinnen gegründet. Und jetzt, meine Tochter, werde ich in die Kapelle gehen zum Gebet. Doch erst noch will ich ein heilig Vermächtnis deinem Schutze anvertrauen.
Lucie: Es sei mir wie eine Gabe des Himmels. Sie begleitet voll Ehrfurcht die Äbtissin bis zum Tor der Kapelle; zurückkehrend setzt sie sich in den geschnitzten gotischen Lehnstuhl neben dem eichenen Tisch. Alsbald läuft ein Trupp Kinder herbei mit Sträußen von Ginster und Feldblumen und umgibt sie mit Freudenrufen.)]
Die KinDer: Des Schlosses Herrin lebe hoch.
[(kinter den Kindern schreitet der in Lumpen gehüllte Hirte Ervoanik. Er ist sehr alt, von rauer, fast wilder Majestät. Mit der rechten Hand stützt er sich auf einen langen Hirtenstab, mit der Linken auf die Schulter seiner Tochter Gaid. Hinter ihm, in einer gewissen Entfernung, schreitet der Matrose Ulliag, als ex-voto ein Schiffsmodell tragend.)]
Lucie [(ernst, und wie im Traume redend)]: Ich grüße euch, ihr Freunde. Ihr, meine Kinder der Heide und des Waldes, seid meines Schlosses Stolz; ihr seid auch die Hüter der verwaisten, vereinsamten Herrin. [(Sie stützt sich mit dem Ellbogen auf die Lehne des Sessels, dann sagt sie mit plötzlicher Lebendigkeit:)] Meine treuen Diener, welche Festesgaben bringt ihr mir.
ERVOANIK [(beugt die Knie zur Erde und reicht ihr eine
Garbe)]: Gott schenke dir langes Leben, du mein schützender Geist, meine holde Königin. Nimm diesen Strauß; Geißblatt, wilde Rose und Farnkraut ist darin. Doch blicke gütig auch auf die paar Halme grünen Korns, die ich noch dazugebe. Wenn du sie nimmst, wird der Segen Gottes auf dem Felde ruhen, dass du gnädig mir zugewiesen hast. LuciLE [(nimmt die Garbe)]: Hab’ Dank, Ervoanik, deine Saat wird zum goldnen Weizen werden.
ERvoaAnIK (erhebt sich)]: Was ich bin, bin ich durch dich, meine Herrin. War ich doch nur ein armer, hungriger Hirte, der von alten Zeiten träumte, und der mit seinem Hund in einem Felsenloch lebte. Da schenktest du mir ein schönes Rohrhäuschen und ein Stück Feld. [Die seien] für mich, hast du gesagt. Und jeizi bin ich kein armer Hirte mehr, ich darf für dich den Pflug durch die Heide ziehn; ... ja, noch etwas hast du gesagt, dass ich selbst einmal ein Feld -, ein recht großes Feld besitzen soll.
Lucire: Ervoanik, du wirst es eines Tages sicher haben.
ERVOANIK: Es erfreut das Auge, wenn man das Korn auf dem eignen Felde sieht und von der eignen Erde aus die Glocken klingen hört.
Lucie: Und du, Gaid, mein Mädchen mit den Augen, die blau und grün wie das wilde Meer sind - was bringst du mir.
GaiD [(kniet nieder und legt auf Luciles Knie gesponnenes
Gam)]: Diese Wolle hab’ ich selbst gesponnen. Gott gebe dir langes Leben und einen lieben Mann.
Lucie: Ich danke dir, mein Kind; du hast brav gearbeitet. Gain: Den ganzen Winter lang. Als die Herde im Stalle war, da hörte man nur immer Vaters alte Geschichten - da arbeitet man, weil es sonst langweilig ist.
ERVOANIK: Sie ist lieber bei der Herde und singt lustig Lieder; es gefällt ihr nicht recht, wenn der Vater sie zum Spinnen anhält.
Gain: Ja, und gnädiges Fräulein haben gesagt, wenn ich brav arbeite, bekomme ich von Ihnen einen schönen Hochzeitsschleier. Wissen Sie - den Sie selbst gestickt haben - ich hab’ ihn schon gesehn - ja, in Ihrem Schranke, da ist er.
ERVOANIK: Sie ist ein bisschen überspannt - red nicht so viel, Gaid.
Lucire [(belustigt)]: Den Schleier wirst du bekommen, wenn du einen Mann gefunden haben wirst.
Gain {nähert sich, mit leiser Stimme)]: Ich hab’ ihn schon - nur Vater will nicht.
Lucie: Lasse dir noch ein wenig Zeit. Vorerst arbeite fleißig und gehorche deinem Vater. [(Gaid erhebt sich schmollend.)] ... Und du, Ulliac, welch’ wunderbares Ding hältst du in der Hand? Und so ernst bist du, wie wenn du bei einer Prozession das Schiffsbanner trügest.
Urriac {nähert sich)]: Das ist unser Smaragd, gnädiges Fräulein, das Schiff, das der gnädige Herr Maurice hat bauen lassen und das mit uns die Reise nach Amerika gemacht hat und das sie nochmals mit uns machen wird. Der Smaragd, wie er leibt und lebt, gnädiges Fräulein. Schauen Sie, nicht einmal eine Kugelöffnung fehlt; jede Segelstange und jedes Segel ist da. Und wisst, wer den für Euch geschnitzt hat. Ich, der Ulliac, habe das gemacht. Findet Ihr ihn nicht zierlich, und geschickt gemacht. Nicht? Und nicht einmal schwer ist er, der Wicht, leicht wie ein Vogel.
Lucite [(gerührt)]: Und mir schenkst du das schöne Schiff, das auf jedes Meer segeln könnte?
Urriac: Ob ich es Euch schenke, frägt Ihr noch. Euch gehörte es schon immer; ich konnte den Tag nicht erwarten, an dem ich es Euch bringen darf. Als wir mit unserm Schiffe aus der Hudson Bay herausfuhren, rückte uns ein englischer Kreuzer bedenklich nahe. Es schien, als ob in einer Stunde es vorbei sein müsste mit unserer goldenen Freiheit. Da dacht ich an die Schwester meines Herrn, an Fräulein Lucile ... und ich gelobte, wenn wir gerettet werden, ein Schiff für unsere Frau von Kernoät zu bauen ... Da drehte sich der Wind der Smaragd mit ihm und wir waren frei. [(Er beugt ein Knie zur Erde.)] So müsst Ihr mir schon erlauben, gnädige Schlossfrau, mein Gelöbnis zu erfüllen.
Lucite [(erhebt sich feierlich, nimmt das Schiff aus Ulliacs
Händen, drückt es an ihr Herz. Dann reicht sie dem Matrosen
die Hand zum Kuss und lässt ihn aufstehen.)]: Da hasi mir das schönste Festgeschenk gebracht, Ulliac, nie werde ich das vergessen. Urriac /vertraulich)]: Wenn wir wieder nach Amerika reisen, kommt Ihr mit uns, nicht wahr, gnädige Schlossfrau?
Luciite [die immer noch das Schiff an sich drückt)]: Gewiss werde ich kommen ... (Beiseite) Mit ihm über das Meer!
GaiD (hat sich] zu Ulliac [geschlichen und flüstert ihm heim lich zu]): Heute Abend ... am Heiderand ... an der Schlucht!
Urriac [(desgleichen)]: Ich werde dort sein.
ErVOANIK [(der die ganze Szene mit eifersüchtigem und miss trauischem Auge beobachtet und gesehen hat, wie sich die Köp fe der Hirtin und des Matrosen nähern, fährt dazwischen)]: Zwischen euch darf es keine Heimlichkeiten geben. Was soll mein Kind mit einem meerfahrenden Habenichts machen. Gaid soll einen Mann haben, der Land besitzt.
Urriac: Halte deinen Dünger bei deiner Hütte fest - mir gehört das ganze Meer - und auch die Hirtin — sobald ich will.
ErvoanIK [(erhebt seinen Stab, um ihn zu schlagen)]: Diebskerl.
Lucie: Meine Diener müssen sich vertragen. Bleibe ruhig, Ervoanik. Bedenke Land und Meer brauchen einander. Bringt jetzt eure Gaben in die Kapelle. Herzlichen Dank euch allen. Gou segne euch. [(Sie gibt Ulliac das Schiff wieder.)] Nur dein Geschenk nehme ich unter meinen besondern Schutz. [(Sie setzt sich.)] [(Ervoanik nähert sich dem Tor der Kapelle, indem er sich auf Gaids Schulter stützt, diese wendet sich, um ein Zeichen dem Matrosen zu geben.)]
ULriac [(auf den Hirten zeigend)]: Erde will der haben. So einer ... [(Er geht in die Kapelle.)]
Dritte Szene Lucile. Mutter Angelika.
Die MUTTER ANGELIKA [(tritt aus der Kapelle, ein elfenbei nernes Kästchen in den Händen haltend. Sie stellt es auf den
Tisch vor Lucile und bleibt unbeweglich neben dieser stehen.)]: Gedenkst du deiner Mutter, Lucile?
Lucie sitzend)]: Ich habe sie nur ein einziges Mal gesehn: Sie lebte ihr einsames Leben im Kloster; ich wurde von einer mürrischen "Tante erzogen. Doch wenn ich sie auch nicht kannte, liebte ich meine Mutter. Bei ihrem Tode weinte ich.
Die MUTTER ANGELIKA: Sie starb in meinen Armen. Dieses Kästchen schließt ihr Bild und einen Brief für dich ein. Er enthält ihr letztes Wort an ihre geliebte Tochter. Sie nahm mir das Gelöbnis ab, das Kästchen dir zu geben, sobald du reif zur Heirat sein würdest. [(Lucile ergreift das Kästchen.)] Es enthält das Geheimnis deiner Mutter und vielleicht auch das deines Schicksals. Lucite: Meines Schicksals, sagt Ihr.
DiE MUTTER ANGELIKA: Lucile, du bist jetzt dem Leben und der Erwartung zugetan; doch ist deine Seele zu stürmisch und zu hoffnungsvoll, um Befriedigung im Irdischen zu finden; du wirst sie in Gott nur finden.
Lucie: Wie könnt Ihr glauben, dass ich meinen Bruder je verlassen werde?
DiE MUTTER ANGELIKA: Mein liebes Kind, diese Welt ist so geartet, dass uns verlässt, was wir nicht verlassen. An den Tag, an dem eine verhängnisvolle Leidenschaft dein warmes und einsames Herz erfassen sollte, kann ich nicht denken, ohne einen Abgrund des Leidens sich für dich eröffnen zu sehen. Suche das Glück, das dir begehrenswert scheint; aber vergiss nicht, dass es einen Ort gibt, wo du ein Heilmittel für alle Schmerzen [findest], eine Vergebung für alle Fehler, wohin du dich retten kannst nach allen Schiffbrüchen. Führt dich, meine Tochter, dein Weg nach diesem Ort, so werden diese Arme dich liebend empfangen.
Lucite [(wirft einen fast strengen Blick zu der Äbtissin, dann
neigt sie das Haupt und küsst ihr die Hand): O wie danke ich Euch, Mutter Angelica.
Die MUTTER ANGELIKA: Gott mit dir, lebe wohl. [(Sie geht ab.)]
K(Lucile setzt sich sinnend nieder und stützt das Haupt auf die Hand.)] Vierte Szene
Lucile. Maurice.
MAURICE [(scheint jemanden im Park zu suchen; dann
nähert er sich Lucile, die ihn nicht kommen sieht)]: Lucile, du bist heute so ernst!
Lucite [(hebt ruhig das Auge zu ihm empor)]: Du weißt Maurice, mein Geburtstag stimmt mich immer traurig.
MAURICE: Dein Geburtstag — heute? Wie konnt ich dies so ganz vergessen.
Luciite (beiseite): Es ist das erste Mal ...
MAURICE: Verzeihe mir, meine liebe Lucile; die Arbeit nahm mich ganz ein - meine Karten - die unbekannten Meere ... Doch ohne Säumen will ich Stechpalmen und Mistelzweige dir in dein Zimmer bringen.
Lucie: Tue es, lieber Maurice. Doch möchte ich dir vorher noch etwas Wichtiges sagen.
MAURICE: Etwas Wichtiges? Was ist es denn?
Lucie: Wahrhaftig Wichtiges. Diese Nacht versetzte mich ein Traum an den Quell des Lebens; wie in dem weiten Lichtmeere sah ich mich, wo das Bedeutungslose des Lebens aufhört, wo aber in Flammenschrift unser Schicksal sich offenbart. Was der Traum enthielt, ich weiß es nicht mehr, doch als ich erwachte, fühlte ich Kraft und Frieden in meiner Seele, und ich hatte klar vor mir - deine Zukunft.
MAURICE: Meine Zukunft? Ich weiß doch selbst nichts von ihr, wie solltest du sie gesehn haben?
Lucite:
Ich kann es; ich habe ein Recht dazu. Gedenke unserer Jugendzeit. Erriet ich deine Gedanken nicht, bevor sie gebildet waren, erinnere dich, wie wir die Heide durchstreiften und, wenn der Tag zu dämmern begann, davonstürmten, nur unsrem Herzensdurste folgend.
MAURICE [(traurig)]:
So war es. Suchten wir das Meer ...
Lucie:
Gedenke doch, wie uns Schauer erfasste, als wir von der Felsklippe herab zum ersten Male das grenzenlose, Länder umfassende Meer vor uns hatten. Unsere Jugendstürme begannen ... Ein einziger Traum erfüllte unsere durstigen Seelen.
MAURICE [(hingerissen)]:
Von Amerika träumten wir.
Lucie:
Wie wir einmal in den wilden Urwäldern freie und edle Menschen vereinen würden, mit kühnem Mut und freien Herzen. Weißt du es noch.
MAURICE:
Nicht mehr, Lucile, ich fühle mich durch diese Erinnerung wie betäubt.
Luciire: Doch will ich, dass du mich anhörst. War ich nicht auch im Geiste bei dir, als du freudig ohne mich hinausfuhrst in die Neue Welt, während ich meine Tage im Kloster der Ursulinerinnen verträumte. Du durftest an Washingtons, Rochambeaus, Lafayettes Seite leben, der Helden, die jenseits des Meeres für ein Reich der Freiheit wirkten. Ich konnte nur von der Terrasse des Klosters den Blick ins weite Meer senden.
MAURICE: Du hast recht. Ich fühlte dich an meiner Seite im Kampfgewühle; ich hörte den Gesang deiner Seele im Schweigen der Nächte.
LuciLe: Du gehst wieder hin - [(Sie ergreift seinen Arm in plötzlicher Bewegung.)] dann mit mir.
MAURICE: Ob ich gehe, ich weiß es noch nicht, Lucile.
Lucie: Das weißt du nicht? Vergisst du, was du dir vorgesetzt?
MAURICE: Im spätern Alter zerrinnen oft die Jugendträume.
Lucie: Den Schwächlingen zerrinnen sie. Die Tüchtigen führen sie aus. [(Sie zeigt auf das linke Wappenschild am Ein‚gangstor des Schlosses.)] Blick auf dieses Schild: ein Lorbeerbaum mit abgeschnittenen Zweigen auf blutrotem Felde; darauf der stolze Wahlspruch: «Durch meine Wunden werde ich stark.» So geziemt es denen, die zum Hause Kernoät gehören. [(Sie zeigt auf das rechte Waffenschild.)] Und das andre Schild, nicht weniger kühn: ein silberner Schwan auf himmelblauem Felde, die Schwingen zum Fluge breitend, von einem Pfeile durchbohrt, kündet er: «Sterbend lasse ich mein Lied ertönen.» Dies ist meiner Mutter Wappen — und das meinige. Sollte es jemals möglich sein, dass du diesen Wahlsprüchen untreu wirst? Spricht aus ihnen nicht der Heldenmut deiner Ahnen und die Sehnsucht meines Herzens; sprechen nicht unsere Hoffnungen aus ihnen zu unserer beiden zum gleichen Flug sich rüstenden Seelen? Ja, Maurice, du wirst in die Neue Welt wieder gehen und ich mit dir. Deine Lucile begehrt nicht nach einem Teile deines Ruhmes und deines Glückes; doch lasse sie deine Leiden und dein Werk mit dir teilen ... Und wenn dies vollbracht ist, will ich in Frieden unter einem Grashügel mit wilden Blumen im Dunkel eines Urwalds ruhen. Dann wirst du öfter dahin kommen und an Luciles Grab träumen.
MAURICE [(geängstigt)]: Du - vor mir sterben -, [(mit Entschiedenheit)] o gewiss, wenn ich abreise, dann kommst du mit.
Lucit£ [(ihm beide Hände auf die Schultern legend)]: Wie glücklich macht es mich, an Erfüllung unsres Traumes zu denken. Doch warum [bist du nicht] froh, Maurice.
MAURICE [(sich plötzlich abwendend)]: Das bedeutet nichts. Doch sage mir, was ist in dem Kästchen?
Lucire: Die Äbtissin bracht’ es mir. Es enthält meiner Mutter letzten Willen. MAURICE: Der Mutter, die mir so rätselhaft ist; sie starb im Kloster; warum durfte ich sie nie sehen?
LuciLe: So ist es, die Äbtissin sprach davon, dass dieses Kästchen vielleicht mein Schicksal in sich schließe.
MAURICE: Es ist alles so sonderbar zwischen uns, fast übernatürlich, Lucile. Wir haben nicht dieselbe Mutter. Dein schweigsamer Vater wollte dich nicht um sich haben. Ich war dein einziger Beschützer. Weißt du, dass ich mich oft fragen musste, ob du denn wirklich meine Schwester bist?
Lucie [(erschrocken)]: Wenn ich nicht deine Schwester wäre - wer wäre ich denn?
MAURICE: Wer soll es wissen — doch, wir wollen das Kästchen öffnen. [(Er legt die Hand auf das Kästchen.)]]
Lucite [(stößt ihn mit plötzlicher Bewegung zurück)]: Nein, nicht du, das Geheimnis meiner Mutter ist mein Eigentum. [(Sie zieht den Schlüssel aus dem Kästchen und macht einen Schritt zur Kapelle.)]
MAURICE: Was willst du?
Lucie: Es drängt mich, zu beten. [(Sie tritt in die Kapelle.)] Fünfte Szene
[Maurice setzt sich in den Lehnstuhl und stützt das Haupt auf den Ellbogen. Fulgence kommt leisen Schritts aus der Allee, bleibi beim Cupido stehen und beobachtet Maurice.]
FULGENCE [(die sich genähert hat)]: Graf von Kernoät, wie glücklich bin ich, Sie hier zu finden.
MAURICE [(aufstehend mit kühler Verbeugung)]: Verzeihen Sie, gnädige Frau, ich dachte nicht, dass Sie hier sind.
FULGENCE: Warum denn nur so verstimmt? Wirklich, wie verwandelt ist der Herr dieses Hauses. Wo bleiben unsre Spaziergänge unter den Ulmen? Unsere Reitausflüge in die Wälder, wo die heitern Abendunterhaltungen?
MAURICE: Ich bin durch einen neuen Reiseplan von allem andern abgezogen. Die Arbeit ist kein geringerer Tyrann als die Liebe.
FULGENCE: Sie lieben sie wohl sehr, Ihre amerikanischen Wildnisse?
MAURICE: Ich liebe sie; nur in ihnen kann man ein freier und glücklicher Mensch sein. Hier ist man unter allen Umständen ein Sklave und ein Unglücklicher.
FULGENCE: Ich finde sie so beglückend, diese Ruhe nach dem Sturm. Wie war es doch schön, wenn Sie von so viel Aufregendem sprachen im Schatten der Bäume. Ich war ganz Ohr und hoffte noch so viel zu hören und Sie wollen mich jetzt verlassen ... Graf von Kernoät, warum fliehen Sie vor mir? MAURICE [(mit plötzlicher Heftigkeit)]:
O, Sie wissen es gut, Sie feinsinnige und grausame Frau. Sie wissen, dass ich Sie liebe. Damals wars, als bei jenem wilden Ritt, wo aus Ihren Augen so viel von dem Feuer Ihres liebedurstigen Herzens sprach, wo Sie aus dem Sautel glitten, und in meine Arme fielen, da haben Sie mir meine Ruhe geraubt. Ich kenne mich selbst nicht mehr, ich mag nicht mehr an meine Pläne denken; nur an Sie muss ich denken. Ich sage mir ja oft, dass es Torheit ist, wenn ein derber Weltenwandrer, ein Kriegsmann der Neuen Welt, ein Schwärmer wie ich eine Frau wie Sie an sich fesseln will, die Überfluss und Schönheit liebt - und doch immer wieder sagt ein Etwas in mir: Du kannst ohne sie nicht leben. Wie oft ich mir auch vorhalte: dass Sie glücklich, bewundert, Witwe, schön seien, dass Sie schon früher die Liebe kannten; wie oft ich mir klarmache, dass ich auf Ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eifersüchtig bin —, mein Herz begehrt nach Ihnen, es drängt stürmisch nach der reizenden, launischen, iyrannischen Frau mit der Anmut einer Königin und Fee zugleich. Dies Herz spricht immer wieder: Mögen sie Andre flüchtig geliebt haben, die geistreicher, weltgewandter, höfisch gebildeter waren; eine freie Seele und ein ganzes Leben haben sie ihr nicht dargeboten. Die aber biete ich Ihnen. /{mit Angst erfüllter Stimme)] Sagen Sie mir, Fulgence, lieben Sie mich? FULGENCE [(neigt den Kopf über ihren Fächer)]: Graf von Kernoät, ich bin Ihnen zugetan und Ihre Liebe schätze ich, doch müssen Sie mir erlauben, dass ich sie erst prüfe.
MAURICE: Das mögen Sie tun. Diese Liebe kann Prüfungen wohl bestehen.
FULGENCE: Sie sind eine stolze und freie Seele; das bin ich auch. Können solche Seelen sich ineinander finden? Darf ich Sie lieben? Darf ich daran denken, Sie zu heiraten. Sie träumen von Ihren Reisen und Siegen in der Neuen Welt; ich liebe nur meine französische Heimat. Können Sie für mich auf Ihre amerikanischen Pläne verzichten?
MAURICE (zögernd): Ich will es.
FULGENCE: Sie sind Besitzer eines Stammgutes und lieben dies. Werden Sie für mich auf die bretagnische Heimat verzichten, und mit mir in Paris und am Hofe leben wollen?
MAURICE (sich überwindend): Auch dieses will ich.
FULGENCE: Sie haben eine sehr sonderbare und sehr edle Schwester. Ich kenne sie ein wenig; sie war meine Freundin im Kloster. Sie hat eine große Macht über Sie, und, wie es heißt, besitzt sie den Schlüssel zu Ihrer Seele. Ich bin sehr eifersüchtig. Wenn ich Sie heirate, so muss ich Sie ganz allein besitzen. Können Sie sich von Lucile zu meinen Gunsten trennen.
MAURICE [(bestürzt und verlegen)]: Von Lucile mich trennen? Sie ist doch ein Teil meiner selbst - unsre Seelen sind wie eine einzige. Als wir Kinder waren, war ich schon ihr Beschützer. Was würde aus ihr werden, wenn sie mich nicht hätte? Unmöglich.
FULGENCE: Graf von Kernoät, Ihre Liebe kann die Prüfung nicht bestehn.
MAURICE: Wie versteh’ ich das?
FULGENCE: Sie lieben Lucile mehr als mich.
MAURICE: Aber das sind doch ganz verschiedene Gefühle; die stören sich doch nicht.
FULGENCE: Mir genügt, dass Sie mir zeigten, welches das stärkere ist.
MAURICE: Sehen Sie denn nicht, wie ich Sie liebe? Doch, ich bitte Sie, denken Sie nicht daran, an meiner geschwisterlichen Liebe zu Lucile rütteln zu können - die ist fest wie der Felsen in den Meereswogen. Sie umbranden ihn; erschüttern können sie ihn aber nicht.
FULGENCE: Graf von Kernoät, die Prüfung ist beendet. Sie lieben mich nicht.
MAURICE: So hören Sie, ich flehe Sie an. FULGENCE: Bemühen Sie sich nicht weiter; ich liebe Sie nicht mehr. [Sie steigt die Stufen der Freitreppe hinauf und wendet sich noch einmal um.)] Wie er sich mir widersetzt hat. Ist mir so etwas schon jemals von einem Mann begegnet.
Sechste Szene Maurice, Lucile.
LuciL£ [(tritt aus der Kapelle und nähert sich ihrem Bruder,
der wie versteinert dasteht)]: Maurice, was ist mit dir?
MAURICE: Das unheilbare Leiden.
Lucize: Welches Leiden?
MAURICE: Ach, Morgane ist wieder da.
Lucie: Morgane? Morgane? Dieses Wort kommt aus den dunklen Tiefen meiner Seele herauf. Wie eine leuchtende Blume aus düsterm Wasser. An was erinnert es mich nur?
MAURICE: Denke doch daran, wie wir eines Tages eine Quelle besuchten, und wie du an derselben von einem seltsamen Schlafe befallen wurdest. Du erwachtest erst, als ich deine Augenlider mit meinen Lippen berührte. Der Hirte Ervoanik behauptet, auf der Quelle ruhe ein Fluch, sie sei von der Fee Morgane bewohnt, die so schön sei, dass sie den tötet, der sie sieht. Du glaubtest damals an die Märchen des Alten der Heide und wolltest niemals wieder dahin gehen.
Lucie: Ich habe die verzauberte Quelle wirklich nicht wieder gesehn.
MAURICE: Ich jedoch fühlte bei dem Namen Morgane mein junges, stürmisches Blut in Aufruhr. In meiner Phantasie lebte die Fee Morgane fort; ich sah in dem Bilde, das von ihr in mir entstand, alle zauberhaften Reize und die höchste Schönheit. Über allen Baumeswipfeln schwebte sie für mich; ich hörte sie im Donner rollen; im Blitze fühlte ich das Feuer ihrer Küsse. War das nicht Torheit? Wie oft rief ich wachend nach meiner berückenden Fee, wie viele Tränen weinte ich in Nächten um sie. Als ich dir von meiner Torheit sprach, da lachtest du erst, dann aber wurdest du auf Morgane eifersüchtig.
Lucie: Ja, wahrhaftig, so war es.
MAURICE: Dann kam die Zeit, wo mir Morgane aus dem Sinne kam. Die Soldatenzeit, das Meer, Amerika gaben mir andres zu denken. Und heute ist sie wieder da. Doch ist sie jetzt kein Hirngespinst, nein, sie hat die Gestalt einer lebenden Frau angenommen, die mich so an sich fesselt wie die andre und die mich tötet.
LuciLe: Eine Frau? Wer? MAURICE: Fulgence, deine Freundin.
Luciite [(entgeistert)]: Fulgence!
MAURICE: Sie ist es. Erst hasste ich sie fast. - Dann sah ich die Hingabe, die sich unter dem Stolz, die Zärtlichkeit, die sich unter dem Spott verbergen. Sie ist gefährlicher wahrlich als Morgane. Ich liebe sie. - Doch liebt sie mich nicht. Sie hat es mir eben gesagt. Meine liebe Lucile, du bist ihre Freundin, du wirkst Wunder wie eine Heilige, du kannst andre durch deinen starken Willen beeinflussen. Bewirke, dass Fulgence mich liebe. Wirke durch Überredung, durch Schmeichelei, durch Drohung, wie du magst - doch bewirke, dass sie die meine wird, ich muss sie besitzen. O tue es, ... ich werde sonst wahnsinnig oder sterbe. Willst du mit ihr reden?
Luciite [(die mit starren Augen ins Leere geblickt hat wie
fasziniert durch eine Feuersbrunst, wendet den Kopf zu ihrem
Bruder, reicht ihm die Hand und sagt mit sanfter Stimme)]: Ich will es.
Siebente Szene
[Lucile, bald danach Fulgence, dann Maurice.]
Luciite [(ist wie vernichtet in den Lehnstuhl gesunken)]: So musste es einmal kommen ... Fulgence oder eine andre ... Und für mich bleibt das Kloster. [(Fulgence kommt die Freitreppe herunter; sie erblickt Lucile
und wendet sich nach der andren Seite. - Ihr Gang ist fieber haft, ihre Bewegungen sind hastig; sie zerknittert ihren Fächer und setzt sich auf die marmorne Bank neben den Cupido.)]
Lucite [(zu ihr hintretend)]: Fulgence, glaubst du nicht, dass es schön wäre, in dem Frieden eines solchen Schlosses zu lieben?
FULGENCE: Wie kommst du darauf?
Lucie: Ladet denn hier nicht alles ein zur Liebe? Das Geheimnisvolle der Natur und auch der Vergangenheit! Man fühlte sich in dieser Einsamkeit wie in einem tiefen Walde, in dem die Liebe wie ein wunderbares Zauberwesen leben könnte. An dieses einsame Schloss wirst du zurückdenken in Paris! Was ist Versailles den Schatten dieses Schlosses gegenüber!
FULGENCE: Ich kann dieses Schloss nicht lieben, wie von Geistern der Vergangenheit ist man überall umgeben ... außerdem verfolgt mich dein Bruder.
Lucie:
Sage doch - er liebt dich. FULGENCE:
Daran glaub’ ich nicht. Lucie:
Es ist gewiss, Fulgence. FULGENCE (steht auf)]:
Es ist noch nicht lange her, dass er sich mir hochmütig widersetzte. Das hat mir wahrhaftig noch kein Mann geboten. Ich hasse ihn. Luciite: Also - liebst du ihn ja doch.
FULGENCE [(mit nervösem Lachen)]: So verspottest du mich! Nun gut, ich kann morgen abreisen. [(Lucile schlingt ihre Arme um Fulgence und blickt sie fest an.)] O deine Kälte, Lucile, wahrhaftig wie eine Statue.
Lucie: Du musst mich wirklich anhören, Fulgence, bedenke, dass das Leben meines Bruders in deiner Hand ist. Er liebt dich ohne Grenzen. Diese Liebe wird ihm den Tod bringen, wenn du nicht seine Frau wirst. Und ... ich will, dass du ihn liebst.
FULGENCE: Ach ... ich fühle sie wieder, die Sibylle im Kloster ... wie oft zwangen sie mich nieder, diese schwarzen, großen Augen ... mich, die sich für unbezwingbar hielt ... Jetzt aber wird es dir nicht gelingen. Ich bin stärker geworden.
Lucie: Erzwingen will ich nichts; nur aus deiner Seele holen, was schon in ihr ist. [(mit sanftem Necken)] Ich habe einstmals oft in deinen Augen gelesen. Lass es mich wieder ... Ja, wahrhaftig, ich lese Zorn, meine Gräfin, doch hinter dem finstern Nebel — was sehe ich, - den kleinen Gott, der lächelnd - schmollt. Sollte dies nicht doch etwas zu bedeute haben -!
FULGENCE [(sich frei machend)]: Wär’ es so, ich müsste dir böse sein. Soll ich zur Sklavin werden. Ich will mir meine Freiheit bewahren. Abreisen will ich. Lucie:
Fulgence, verstehst du denn nicht, was die Eine große Liebe bedeutet gegenüber den vielen kleinen. Ich will es dir sagen.
FULGENCE:
Du kennst sie also?
Lucie:
Es ist mir, als ob ich sie stets gekannt hätte und als ob mein Leben eins mit ihr wäre.
FULGENCE:
Was also ist sie?
Lucie:
Sich im Geliebten selbst verlieren.
FULGENCE:
Das ist - sich selbst vernichten?
LuciLe: O nein, das ist, sich erst wahrhaft selbst finden. Nur in sich leben, ist der Tod.
FULGENCE:
Bei mir müsste die Liebe etwas anderes sein. Der Andere müsste sich in mir verlieren, und meine Herrschaft über ihn ohne Grenzen sein.
Lucit! Wenn du Maurice liebst, wirst du über seine Seele gebieten, wenn er auch der Gebieter deines Lebens sein wird.
FULGENCE:
Würdest du nicht ängstlich, wenn ich Ernst machte, und ausführte, was du anstiften willst?
LuciLe:
O, nein.
FULGENCE:
Erinnere dich an dein Wort im Kloster. Du sagtest, ich besitze den Schlüssel zu seiner Seele, und ich werde für alle Zukunft darin die Gebieterin sein.
Lucie:
Das ist vorbei.
FULGENCE:
Lucile, ist das die - große Liebe?
Lucite [(blickt mit sanfter Feierlichkeit ihr in die Augen)]: Es ist die Liebe, mit welcher Schwestern lieben können.
FULGENCE [(küsst sie)]: Du bist recht aufgeregt. So wäre in der Statue eine Feuerseele?
Lucie: Da - Maurice.
[(Fulgence tritt verlegen von ihr weg und pflückt Rosen in der Hecke.)]
MAURICE [(zu Lucile)]: Hast du etwas erreicht? Lucie: Sie leugnet es noch - doch ich versichere dir, sie liebt dich. MAURICE: Lucile, wie danke ich dir, liebe Lucile. Lucie: Du gehörst jetzt ihr. MAURICE [(zu Fulgence)]: Kommen Sie nicht mit mir in den Garten, Gräfin? FULGENCE: Sehr gerne.
MAURICE [(auf die Rosen deutend, die sie in der Hand hali)]: Und diese Rosen, sind sie für mich?
FULGENCE: Wie Sie sich ihrer würdig zeigen werden.
Achte Szene Lucile, allein, dann Saint-Riveul.
Lucire [(allein, sie setzt sich)]; Es soll also so sein. Es bedeutet sein Glück ... das Kästchen ... [(Sie öffnet den auf dem Tische stehenden Schrein und zieht ein Miniaturbild daraus hervor.)] Ein Bild! Meine Mutter, ja, so war sie. Ein wehmütiger Zauber in dieser Seele. ... [(Sie zieht einen versiegelten Brief aus dem Schrein.)] Ein Brief, mit dem Siegel meiner Mutter. [(die Adresse lesend)] An Lucile «von Kernoei». ... Warum ängstige ich mich ... es ist mir, als ob ich das Siegel an meinem Schicksal löste. [(Sie öffnet und liest.)] «Meine angebetete Lucile! Vor mir liegen nur wenige Lebenstage noch und der letzie Gedanke meiner Erdenfahrt wirst du sein. Ich hatte gelobt, dir das Geheimnis deiner Geburt und der Schuld deiner Mutter niemals zu enthüllen; doch kann meine schwache Seele den Druck dieses Geheimnisses nicht ertragen; sie braucht deine Verzeihung, die mir deine reine Seele nach meinem Tode sicher gewähren wird. Du sollst wissen, dass deine Mutter eine große Sünde begangen hat. Du bist nicht die Tochter des Grafen von Kerno£t, sondern die eines Gastes unseres Hauses, der meinem Herzen verhängnisvoll geworden ist, des Herrn von Trevern. Du warst noch nicht geboren als der Graf mein Vergehen entdeckte. Er tötete Herrn von Trevern im Zweikampf, und mich schloss er mit Erlaubnis des Königs in das Kloster der Ursulinerinnen ein. Er rächte sich dadurch, dass er dich von mir trennte. Fünfzehn Jahre lang habe ich im Kloster Buße getan für mein Sünde. Ein einziges Mal, wie du wohl wissen wirst, durfte ich dich sehen, als du ein ganz kleines Mädchen warst. Der treue Hirte brachte dich zu mir. Ich sah deine himmlische Seele in deinen Augen. Sie blieb bei mir. Der Gedanke an deinen Blick und deine Umarmung war der Trost zehn einsamer Jahre. Du bist die Frucht meiner Sünde, aber auch der Engel meiner Buße. Vergib mir und bete für die Seele deiner Mutter, welche dich liebt und dich segnet.»
O diese Enthüllung. ... Maurice ist das Kind der ersten Ehe ... wir haben nicht dieselbe Mutter ... und auch sein Vater - ist nicht mein Vater. Er ist nicht — mein Bruder ... Ich bin - nicht seine Schwester. [(mit leiser Stimme)] Ein andres Blut ist in unsern Adern. Wir hätten uns dann ... anders lieben können. [(laut)] O, warum habe ich dieses Siegel erbrochen. Welche wirren Gedanken steigen mir auf!
[(Man hört in der Ferne eine leise und wehmütige Melodie.)]
... Der Hirte spielt Dudelsack auf der Heide ... Warum krampfen mir diese Töne das Herz zusammen? ... I(schmerzlich lächelnd)] O, dieselben wie damals, als Maurice und ich im Ginster lagen, im Mondenschein einer Sommernacht. Da jubelte sie, die unbegrenzte Zukunft vor unsere Seelen. Klagt sie jetzt über die verlorene Vergangenheit? ... Maurice und Fulgence sind wohl in der Nähe ... [(Sie nähert sich der Rosenhecke und blickt durch die Zweige.)] ja, da gehen sie, ganz nur sich hingegeben ... alles andere vergessend ... doch jetzt bleiben sie stehen ... sie neigt den Kopf nach ihm ... ihre Blicke verlieren sich ineinander ... [(Sie wendet sich jählings ab und kehrt erregt auf den Vordergrund der Bühne zurück.)] Was befällt mich; ich habe diese Liebe doch bewirkt. Habe ich ein solches Glück nicht verdient? Bin ich zur Einsamkeit bestimmt? [(Die Dämmerung bricht ein. SaintRiveul erscheint im Hintergrunde und schleicht in der Entfernung um Lucile herum. Diese ergreift das Bild ihrer Mutter und bedeckt esmit Küssen.)] Mutter, gib du mir Rat!
KSaint-Riveul, der sich allmählich von hinten genähert hat, ergreift die Hand Luciles und küsst sie.)]
Lucite [(stößt einen Schrei aus, verbirgt das Bild in den Fal ten ihres Spitzentuchs und blickt entsetzt auf Saint-Riveul)]: Warum sind Sie hier?
Saint-Riveur: Also Sie verachten mich, gnädiges Fräulein! Sie misstrauen mir wohl, Sie wollen mir Ihre Geheimnisse nicht anvertrauen? Glauben Sie, ich werde sie verraten, ich, Saint-Riveul, der Freund Ihres seligen Vaters? Sie beleidigen mich - Sie sind grausam. Sie besahen wohl das Bildchen eines Freundes? Hat er blonde Locken, ist er Gardeoffizier mit braunem Schnurrbart? Mir können Sie es ruhig sagen. Lucite [(hat mit gekreuzten Armen zugehört, wie um ihren
Schatz zu verbergen)]: Wessen unterfangen Sie sich. [(Sie nimmt mit einer Gebärde der Ungeduld das Bild aus den Falten ihres Spützentuchs und zeigt es ihm.)] Ich halte das Bild meiner Mutter in der Hand. Erröten Sie vor dieser Heiligen.
SAainr-Riveur: Wahrhaftig. Sehr ähnlich, gnädiges Fräulein. Sie war sehr schön und sehr verführerisch, diese - Frau von Trevern.
Lucite [(zusammenfahrend)]: Frau von Trövern. Was gibt Ihnen ein Recht, meine Mutter so zu nennen?
SAINT-RIVEUL [(tut, als ob er sich versehen hätte)]: O, bitte zu verzeihen, gnädiges Fräulein, es war ein Versehen - ich meine Frau von Kernoßt.
LuciLe: Sie wissen ...
SAinTr-Riveur: Ich weiß alles. Ihr Vater konnte nicht darüber hinwegkommen. Der bedauernswerte Mann.
Luciite: Er hat sich gerächt ... Mich und die Mutter hat er auseinandergerissen; sie ist tot und mein Herz ist verwundert.
SAINT-RiveEur: Wir können anderer Dinge gedenken, an die wir uns mit mehr Freude erinnern. Da fällt mir ein, wie ich vor Jahren zuerst in dieses Schloss kam. Der Graf von Kernoet wünschte, dass wir uns heiraten. Sie waren kaum fünfzehn Jahre alt; ich machte Ihnen den Hof.
Eines Tages trafen wir eine alte Zigeunerin, die uns weissagte, dass wir Mann und Frau werden. Als ich voll Freude Sie fragte: Wollen Sie, Lucile, stieg Ihnen die Zornröte ins Gesicht. Das gefiel mir. Aus dem schüchternen Mädchen war im Nu eine Dame geworden, die schön war in ihrem Zorn.
Lucize [(zerstreut)]; War es so? Ich habe das vergessen. [(Sie blickt wieder auf das Bild ihrer Mutter.)]
SainT-RivEuL: Umso öfter habe ich daran gedacht. Seit dieser Stunde liebe ich Sie, Lucile, und jetzt frage ich Sie wieder: Wollen Sie meine Frau werden?
Luciite [(zuckt die Achseln wie verloren in andre Gedanken)]: Ich liebe Sie doch nicht. Das wissen Sie doch wohl.
SAINT-RiivEuL: Lernen Sie mich erst kennen, dann werden Sie mich lieben. Doch, davon abgesehen; Sie können doch nicht allein bleiben; Maurice ist in Fulgence verliebt, er wird sie heiraten.
[(Lucile verbirgt hastig das Bild in ihrem Busen.)]
Was wollen Sie hier machen, in dieser grässlichen Einsamkeit? Wenn Sie mich haben, haben Sie ein glänzendes Leben, Paris, der Hof, die große Welt. Lucie:
Dieses Leben schätze ich gering und weise es weit von mir. Ich habe mir ein anderes erträumt, ein solches in Ernst und Frieden, an der Seite meines Bruders, hier im Hause unserer Vorfahren, oder ein solches der unbegrenzten Freiheit, drüben in Amerika. ... [(mit sanfter Exaltation)] Maurice war im Grunde meine Welt. Seine Seele wird immer mir zugehören, er wird sie mir nicht entreißen können ... [(mit plötzlicher und leidenschaftlicher Erregung)] Trotzdem entreißt sie mir Fulgence, ... und ich habe sie ihr selbst gegeben! Nun werde ich ihn nicht mehr behüten können! Sie ist ja eifersüchtig auf meine schwesterliche Liebe, und auf meine Macht. SAINT-RivEuL [(der Lucile beobachtet, mit Schadenfreude beiseite)]: Sie sind keine Blutsverwandten ... So liebt keine Blutsverwandte ... so leidenschaftlich ... Da fasse ich sie, da liegt die Stelle, wo ich an sie herankomme ... Lucite [(mit starrem Auge)]: Allein ... Es bleibt nur das Kloster. SAINT-RivEuL (sich an ihr Ohr neigend)]: Wenn Sie mich heiraten, werden wir mit Maurice überall zusammen sein, wo Sie wollen. Luciite [(mit freudigem Erbeben)]: Versprechen Sie es mir? Sarnt-RiivEur: Nicht das allein. Bedenken Sie, wenn Sie meine Frau sein werden, wird Fulgence auf Sie nicht mehr eifersüchtig sein. Sie werden für sie nicht Maurices Schwester, sondern Frau von Saint-Riveul und Weltdame sein. Sie wird in dem Gedanken leben, Sie gehörten mir oder einem Andern. Ich kenne nun Fulgence von Fr&meuse gut genug, um zu wissen, dass es ihren Ehrgeiz und ihre Herrschsucht aufstacheln wird, wenn sich ihr Maurice völlig ausliefert. Dann wird sie aus dem amerikanischen Krieger eine Salonfigur machen, Aber im Grunde ihres Wesens ist sie doch launisch und leidenschaftlich. Maurice kann sie beherrschen, wenn er es verstehen wird. Sie, die Sie ihn kennen, werden ihm mit Ihrem Rate dann beistehen können. Sonst wird er von Stufe zu Stufe tiefer sinken in die schmähliche Abhängigkeit der Liebe; er wird dieser Frau die Schlüssel seiner Seele ganz überliefern und zuletzt sein stolzes Haupt ihr zu Füßen legen.
Lucite [(erschrocken)]:
Wäre das möglich? Wenn, ich bedenke, dass er sich selbst doch nur in mir gefunden hat. Und wie war ich bemüht, ihm zum Selbstbewusstsein zu verhelfen!
SAinT-Riveur:
Wer wird ihm weiter dazu verhelfen?
LuciLe:
Niemand.
SAINT-RivEUL:
Sehen Sie nicht, dass Sie allein ihn retten können? Geben Sie mir Ihre Zusage.
Lucite [(wie zurückkehrend zum Gefühl der Wirklichkeit]: Nein. Ich kann nicht. [(Sie serzt sich und bedeckt einen Augenblick das Gesicht mit den Händen. Beiseite)] Wie schwer wird mir dies! Maurice verlassen ... oder mich diesem Menschen ausliefern.
Sainr-RivEuL [(der sie von nahe beobachtet)]:
Bedenken Sie, das Kloster nimmt Ihnen Maurice für immer, und ich gebe ihn Ihnen.
[(hat einige Schritte in den Hintergrund gemacht und kommt zurück)]
Da kommt das fröhliche Paar; die Liebe im Herzen, die Freude im Antlitz. Geben Sie mir Ihre Zusage? Lucite [(sich erhebend, mit dumpfer Stimme)]: Ich gebe sie. [(Sie gibt Saint-Riveul die Hand, der sie kraftvoll ergreift.)].
Neunte Szene
Dieselben. Fulgence, am Arme Maurices
FULGENCE [(strahlend)]: Lucile, du hattest recht; besser ist die Eine große Liebe als die vielen kleinen. Du hast mich erschüttert, dein Bruder hat mich bekehrt. Da steht mein Herr und Gebieter. Sieh mich an; eine andere bin ich. Und sieh ihn an; auch er ein andrer. Ist er nicht strahlend vor Freude?
I(Lucile steht stumm mit gesenktem Haupte.)]
SainT-Riveut /leise zu Lucile)]: Sie schweigen? Soll ich unsre Verlobung mitteilen?
Lucize [(regungslos)]: Ja.
Sarnt-Riveur: Graf von Kernoöt und Gräfin von Frömeuse, vom ganzen Herzen wünsche ich Ihnen Glück; ich we es umso mehr, als ich mit anderem Rechte als vorher Teilnehmer dieses Glückes sein darf. Wir haben den Tag der Überraschungen und der glücklichen Paare. Wir bilden ein Vierblatt. [(Er ergreift Luciles Hand, die ihn gewähren lässt, ohne das Haupt zu heben.)] Fräulein von Kernoßt hat soeben ihre Hand versprochen Herrn von Saint-Riveul, der sein Leben ihr zu Füßen legt. MAURICE [(bestürzt, lässt Fulgences Arm fahren und nähert sich einen Schritt)]: Wie? Verlobt, ohne mich zu fragen? Lucile, du schweigst. Ist das wahr? Lucit£ [(sieht ihm plötzlich streng ins Gesicht)]: Wahr. MAURICE /{nimmt ihre Hand und zieht sie beiseite, in die Nähe der Kapelle)]: Und du liebst diesen Mann? Lucie: Warum sollte ich nicht; liebst du denn nicht diese Frau? MAURICE: Doch dich, meine Lucile, dich hielt ich für unnahbar. Lucie: So möchtest du, dass ich ins Kloster gehe? MAURICE: Da sei Gott davor. Doch seh’ [ich] dich am Arme Saint-Riveuls, so fühle ich meine mir heilige Jugend und meinen göttlichen Traum zusammenstürzen. Lucire: Wahrhaftig. Er könnte doch auch in dir zusammengestürzt sein ... Doch an einem Ort wird er nicht ersterben, ... nicht in seinem Heiligtum. [(Sie legt ihre Hand aufs Herz.)] MAURICE: Gelobst du mir dies? LuciLe: Das gelob ich dir, Maurice. MAURICE: Engel des Himmels, doch welch’ dunkles Geheimnis verbirgst du mir? Lucite:
Lass es genug sein. Versuche es nicht zu erforschen. Ich kenne es selbst nicht. Ich weiß nur, dass dieses Geheimnis eine schreckliche und erhabene Macht ist, welche in unser Leben eingreifen wird.
MAURICE:
Du ängstigst mich. Du gleichst einer bekränzten Druidin, die mit der Sichel bewaffnet, erhobenen Hauptes zu einem blutigen Opfer geht. Wer denn bist du?
Lucie:
Die Hüterin deiner Seele.
Maurice [(der plötzlich wieder heiter wird)]:
Ja, die bist du. Hast du mir nicht Fulgence gegeben? So gebe ich dir Saint-Riveul, da du ihn liebst.
Lucite [(ergreift plötzlich den Arm Saint-Riveuls)]: Hierher, Kinder, Dudelsäcke vor! Die Freude soll leben. Wir wollen fröhlich sein. Die ganze Nacht soll an meinem [Geburtstag] getanzt werden.
[(Das Tor der Kapelle öffnet sich, das Innere erscheint erleuchtet durch brennende Kerzen. Eine Truppe von Kindern läuft aus ihr heraus, Ginsterzweige schwingend, sie umringen Saint-Riveul und Lucile mit Freudenrufen. - Ervoanik, Gaid und Ulliac knien nieder, Sträuße darbietend, der Dudelsack spielt eine frenetische Tanzweise und der Vorhang fällt beim
dröhnenden Ruf:)]
ERVOANIK, GAiD, ULLIAC, DIE KINDER: Die Schlossherrin lebe hoch.
(Vorhang) II. Akt
Ein Boudoir der Herzogin von Paris, im Faubourg St. Germain. Panneaus im weißen Stuck. Im Hintergrunde eine geöffnete Tür, links ein Fenster und eine geschlossene Tür, darüber ein mythologisches Gemälde. Schreibtisch, daneben ein Lehnstuhl. Rechts Kamin mit Spiegel und einer Pendeluhr in Form einer Lyra, auf welcher ein Amor die Stunde zeigt: daneben eine Chaiselongue.
Erste Szene
Fulgence: im Stadikleide, sitzt neben dem Schreibtisch; Lucile in einem hellblauen Kleide, eine Rose in der Taille, auf der Chaiselongue in nachlässiger Haltung; sie ist in ein Buch vertieft. Herr von Keralio und Herr von Marigny kommen aus dem Hintergrunde, mit der Gräfin und der Baronin am Arm; später Ulliac.
DIE GRÄFIN (am Arm Keralios): Wie heißt dieser Contretanz? K£raLio: Die zerbrochenen Räderachsen. GRÄFIN: Vorzüglich. DiE BARONIN (am Arm Marignys): Und der andere? MARIGNY: Die Feste von Paphos. BARONIN: Himmlisch. K£raLio: Und nun zur Schlacht. Doch bitten wir vorher die Damen, uns die weißen Kokarden anzustecken?
(Die Gräfin und die Baronin ziehen große weiße Kokarden aus ihren Beuteln und heften sie an die Hüte der Herren, die mit Federn geschmückt sind.)
K£rauio: Vielen Dank, schöne Frau. Damit werde ich die ränkevollen Patrioten in die Flucht schlagen.
MARIGNY: Und ich die großmäulige Sanscoulotten.
(Lärm auf der Straße)
Die BARoONIN (erschrocken): Was ist's?
ULLiac (im Matrosenanzug, aus dem Hintergrund): Ein Sergent vom Royal-Allemand ist da. Der Prinz von Lambesc lässt dem Herrn Grafen und dem Herrn Baron sagen, dass er Sie in der Kaserne erwarte. Die Truppen müssen ausrücken ... (Er reibt sich die Hände.) Das wird was werden!
MARIGNY: Wir werden kommen.
(Ulliac geht ab.)
(Lärm auf der Straße. Zur Bastille, zur Bastille! Die Baronin klammert sich angstvoll an die Gräfin).
Die GräÄrin: Fürchten Sie sich nicht! K£rauio: Fürchten, wenn Sie da sind? MARIGNY: Fürchten; wir verändern doch nur den Tanzplatz. Die BaroNIN (hört zu zittern auf und lacht laut): Sie sind entzückend! K£raLIO: Und jetzt die Bänder an die Degen. DiE GräÄrIn: Ja, die Bänder, die wir gestickt haben. (Sie zieht aus ihrem Beutel ein Band.) Das meine ist golden. Die BARONIN (macht das Gleiche): Das meine ist rot.
(K£ralio und Marigny reichen ihre Degen.)
K£RALIO (zur Gräfin): Wahrhafi glänzend wie Ihre Augenwimpern. MARIGNY (zur Baronin): Das meine rot wie Ihr Mund. Die GrärIN (befestigt das Band am Degen Keralios): Auf Wiedersehn, Sie Taugenichts. Die BaroONIN (nachdem sie das ihre am Degen Marignys befestigt hat): Leben Sie wohl und bleiben Sie nicht lange fort.
(K£ralio und Marigny gehen ab.)
Die BARONIN: Wie ich mich auch zusammennehmg, ich zittre wie Espenlaub. Könnte es nicht sein, dass sie zugrunde gehen? DiE GrÄFIN:
Denken Sie das nicht. Gott sorgt für die Sorglosen. Die Baronin:
Es sind traurige Zeiten. Lebt wohl, Liebesspiele! Die GrÄFIN:
Im Gegenteil, jetzt kommen sie erst. DiE BARoNIN:
Dann lebe die Revolution!
(Sie gehen lachend nach dem Hintergrund ab.)
Zweite Szene
Fulgence, Lucile, später Ulliac.
FULGENCE (steht in Ungeduld auf):
Begreifst du diese Toren? Sie tanzen auf einem Vul kane. Lucie:
Glücklich sind diejenigen, die eine Binde vor den Augen haben und den Sturm nicht herankommen sehen.
(Ulliac trütt ein.)
FULGENCE: Was bringt Ihr? Uriac:
Nichts Gutes, Frau Gräfin. Das Volk hat sich der Waffen des Invalidenhauses bemächtigt. Vierundzwanzigtausend Musketen erglänzen im Sonnenschein und rollen durch Paris wie ein Strom aus Eisen. Einen Schmied mit schwarzem Schurz sah ich Piken schmieden, dass die Funken nur so flogen und der Amboss fast entzweiging. Von jetzt an wird jeder sich selber den Donner schmieden. Die Sturmglocke wütet und die ganze Stadt schreit: Zu den Waffen!
FULGENCE: Was wollen sie!
Urriac: Gnädige Frau, Hunger haben sie, und die Freiheit wollen sie.
FULGENCE: Wo ist Herr von Saint-Riveul?
Urriac: In Versailles, um die Befehle der Königin entgegenzunehmen. Aber man kann nicht wissen, ob er zurückkommen kann. Alle Straßen sind voll von Soldaten und überall sind brennende Barrieren.
FULGENCE: Und der Graf von Kernoet?
UrLLiac: Der sagte, er wolle zur Bastille gehen und alles sich ansehen.
FULGENCE: Zur Bastille. Man wird ihn dort töten!
Lucie: Sei ruhig. Er hat einen Schutz. Ich fühle es. Man wird ihm kein Haar krümmen.
FULGENCE (zu Ulliac): Haben Sie ihn weggehen sehen?
Urriac: Ja, gnädige Frau, er ging mit der Herzogin. FULGENCE (für sich): Immer mit der Herzogin (zu Ulliac) Sehen Sie, wohin der Graf gegangen ist.
(Ulliac geht weg.) FULGENCE: Was sagst du dazu? Lucie:
Gar nichts. Es wird die Stimme des Schicksals bald furchtbar durch die Welt tönen. Ich will die Stimme Gottes abwarten, der im Innern der Menschen spricht. Vorher will ich schweigen.
FULGENCE (setzt sich neben sie): Lucile, ich habe weder deine Stärke noch deine Ruhe. Ich kann oft den Kopf verlieren oder außer mir sein, oder starr sein vor Angst. Frankreich fiebert, der Thron gerät ins Wanken; unser Leben ist in Gefahr. Doch glaube mir, das ist es nicht, was mich am meisten beunruhigt. In der Verwirrung, die entsteht, verändert sich alles, die nächsten Verwandten, die Freunde, sie verändern sich. Alles ist wie besessen von unbekannten Geistern. Weder Maurice noch Saint-Riveul habe ich früher so gesehen, und auch dich, - selbst dich nicht! Was muss ich alles beobachten? Manchmal glaube ich, in deinem Schweigen berge sich ein Blitz ... Lucile, was geht in dir vor?
Lucie: In mir? Ich bin immer die Gleiche und weiß nicht, was du meinst. FULGENCE: Vor einem Monat kam ich mit Maurice aus Kernoet zurück, um hier euch und die Herzogin zu treffen. Einen ganzen Monat leben wir zusammen, und nicht einen Augenblick hasi du gefunden, um mir dein Herz zu öffnen. Ich habe eine Freundin verlassen, und eine Fremde wiedergefunden. Es scheint, als ob du Maurice und mich vermeiden möchtest. Denkst du nicht mehr daran, dass er dein Bruder ist und ich deine beste Freundin bin?
Lucie: Ihr gehört ganz der Pracht von Versailles. Dahin kann ich dir nicht folgen. Das ist nicht nach meinem Geschmack.
FULGENCE: Leider, Maurice ist dort nicht beliebt, und zwar durch seine eigne Schuld. Doch scheinst du mir deinem Gatten noch mehr entfremdet als mir. Wie stehst du zu Saint-Riveul? Bitte, sage mir die Wahrheit.
Lucire: Ich werde dir sonderbar, vielleicht entartet erscheinen, doch fühle ich mich nur als das Werkzeug eines Schicksals, das ich mir nicht selbst bereitet habe, und dessen letzter Sinn mir unbekannt ist. Ich habe SaintRiveul niemals geliebt.
FULGENCE: Ja, warum hast du ihn dann geheiratet? Einer Andern könnte man dies zumuten, von dir ist es ungeheuerlich!
Lucie: Ich wusste, dass ich niemals einen Mann lieben werde. Mein Traum von Liebe ist zu weit und zu hoch für diese Welt. Ich dachte an das Kloster, um ihn zu verwirklichen; aber das Kloster erschien mir wie ein Grab. Ich wollte Welt und Leben kennenlernen; SaintRiveul bot sich mir an, und ich heiratete ihn. Am Tage unserer Verlobung versprachen wir uns gegenseitige und unbedingte Freiheit. Ich überließ ihm das ganze Vermögen, das von der Mutter herrührt; er entsagte allen Gattenrechten. Am Tage nach unserer Hochzeit verließen wir Kernoät und gingen nach Paris. Er führte einen ganzen Monat lang sein Leben in Paris, wie er es liebt; bald bei den Intrigen des Oeil de Baeuf, bald bei den Orgien des Palais-Royal. Doch bald bemerkte ich, dass er nicht nur in meinem Vermögen das Mittel haben wollte, um das ihm gefällige Leben zu suchen, sondern dass er aus mir ein Werkzeug seines Ehrgeizes machen wollte. Ich versagte es ihm, das erzürnte ihn, und meine Verachtung entflammte unbestimmte Leidenschaften in ihm; er wollte mich entehren, um mich in seine Gewalt zu bekommen. Als er wie ein wildes Tier gestern in mein Zimmer drang, - siehst du, da schützte mich mein kleiner Dolch, vor dem er entfloh. Fulgence, ich kenne jetzt die Welt ... aber er kennt mich auch ... [(Sie zieht einen kleinen Dolch hervor, der unter der Rose versteckt war.)] FULGENCE: Was hast du getan? Ich kenne Saint-Riveul. Dein Widerstand wird, was vielleicht Laune war, in wilde Leidenschaft verwandeln. Dann wird er zu allem fähig sein. Lucie:
Er hat nicht mehr Macht über mich als das Eisen über den Diamant. Der jungfräuliche Wille ist ebenso unzerbrechlich wie durchsichtig. Er ist aus kristallisieriem Feuer. FULGENCE: Dann halte dir den Tod stets vor Augen. Lucie: Den fürchte ich nicht; meine Hoffnungen sind ihm voraus gestorben. FULGENCE: Du bist furchtbar in deinem Hasse, Lucile; wie sanft würdest du sein, wo du wirklich liebtest! Lucite (steht rasch auf): Das ist nicht möglich. Gott hat es nicht gewollt. FULGENCE: Warum denn? Hasi du niemals jene Erregung verspürt, die den ganzen Menschen bis in die Tiefen des glühenden Herzens geht? LuciLE (unterbricht sie): Sprechen wir doch von Maurice, den du liebst! Hast du mir denn keine Geheimnisse zu sagen. Es gibt Gewitterwolken zwischen euch. Was ist geschehen. Vertrau es deiner Schwester.
(Sie setzen sich neben dem Schreibtisch.)
FULGENCE: Ein kurzes Paradies; dann die Hölle; und was mag noch kommen. (Das Weitere stolz, später triumphierend) Unser Honigmond in Kernoöt nach eurer Abreise, war ein Rausch des Glückes. Maurice ging ganz in mir auf, wie niemals ein Mann in einem Weibe. Ich war die wahre Königin seines Herzens. Wir ließen uns nicht aus den Augen kommen, wanderten des Morgens in Feldern und Wäldern umher, abends im Schatten des Parks. Wir gehörten uns ganz.
Lucie: Und jetzt?
FULGENCE (unruhig erregt): Seit wir in Paris sind, ist alles anders. Plötzlich ist es, als ob wir durch einen Schleier getrennt wären! Ich habe ihn der Königin vorgestellt und erwartete, dass er Hauptmann der Leibgarde werde. Was tat er? Vor Marie Antoinette rühmte er Mirabeau und die Nationalversammlung, sodass die gute Königin mit zurückgeworfenem Kopfe ihn fragte: Zählen Sie sich zu den Ständen oder zum Adel, Herr Graf von Kernoät? Maurice antwortete nichts; aber er hat seinen Fuß nie mehr in das Schloss von Versailles gesetzt, und er ist nur noch in Gesellschaft unserer Feinde. An die Karriere, die ich erträumt, ist nicht mehr zu denken. Seither ist Krieg zwischen uns.
Lucie: Und warum dies?
FULGENCE: Du ahnst es nicht? Die Herzogin!
Lucie: Wie?
FULGENCE: Ja, die Herzogin, die Freundin, welche Maurice in die Nähe der Königin bringen sollte, diese Herzogin, welche mir versprochen hatte, für unsern Ruhm und unser Glück zu sorgen, sie hat Maurice mir entrissen, sie hat mich verraten! Luciire: Maurice, dich verraten nach zwei Monaten der Ehe? Deine Leidenschaft betört dich. Euch bringt nicht eine Frau auseinander; das bewirken eure verschiednen Arten, das Leben anzusehn.
FULGENCE: Ich weiß wohl, was ich sage. Ich habe Augen, ich habe Ohren.
Lucie: Und wo ist ein Beweis?
FULGENCE: Am Tage der Vorstellung, in Versailles, bei einem Nachtfeste, spielten unsichtbare Musiker in der Orangerie ein Menuett (In diesem Augenblick spielen die Geigen das Menuett hinter der Szene — Fulgence erbebt.) - Dieses Menuett. - Die Königin war eben mit den Prinzessinnen vorbeigegangen, mit weißen Federn wie Paradiesvögel geschmückt. Da kam die Herzogin an Maurices Arm. Ich konnte aus dem Hintergrund einer Laube alles sehen. Sie gingen langsam in der Dunkelheit. Sie flüsterte ihm einige Worte ins Ohr. Es handelte sich um eine Flucht.
Luciire: Um die Flucht des Königs, zweifellos.
FULGENCE: Nein, um die ihre. Ich las es in ihrem Gesichte; ich hörte es aus ihrer bebenden Stimme heraus.
LuciLe: Du phantasierst, meine Liebe; ich kenne Maurice. Er liebt die Herzogin gewiss nicht.
(Das Violinspiel hört auf.) FULGENCE: Du glaubst? So höre weiter. Eines Abends, als ich von einem Besuche heimkehrte, sah ich in einer engen Gasse Maurice am Arme einer Frau. Der Schein einer Laterne machte sie mir sichtbar. Lucie (unruhig): Hast du richtig gesehn? FULGENCE: Sie war maskiert und trug [einen] schwarzen Domino. Lucit£ (erschreckt, für sich): Das war ich! FULGENCE: So pflegt sich die Herzogin zu verkleiden. Bist du jeizt überzeugt? Lucite (erschreckt): Ich weiß nicht ... du täuschest dich ... ich versichere dir.
(Es treten Maurice und die Herzogin ein.)
FULGENCE: Sieh nur, da sind sie in derselben Verkleidung! Wagsi du noch zu sagen, dass ich mich geirrt habe? Dritte Szene
Dieselben. Maurice, die Herzogin im schwarzen Domino. Sie trägt die Maske im Sinne der Zeit der Regentschaft; schwarzer Atlas mit weißem Munde.
Die HERZOGIN (legt hastig Maske und Domino ab, wirft
sie in einen Lehnstuhl; ist im weißen Atlaskleide mit weißen
Federn und Diamanten im Haar): Ich ersticke unter dieser Maske. Ich bin vor Schreck fast gestorben. Fulgence, was habe ich erlebt! Ich wollte die Aufträge der Königin zu Lambesc bringen. Doch ich hatte mit dieser wilden Horde nicht gerechnet ... Männer in Lumpen, mit gestohlenen Patronentaschen, seltsame Helme auf dem Kopf, versperrten mir den Weg. Säbel, Hämmer und Piken schwangen sie. Beschimpfungen. Ein Gebrüll wie von wilden Tieren. Frauen aus dem Volke, die wilden Weiber der Hallen: warfen sich auf mich, fassten mich mit ihren Händen an, die härter waren als eine Zange. Sie schrien: Seht die Spionin der Österreicherin! Ich wäre verloren gewesen, hätte Ihr Gemahl mir nicht das Leben gerettet.
FULGENCE [trocken und bitter)]: Sie sind mir unverständlich, Herzogin. Sie setzen sich Lebensgefahren ohne Nutzen aus und Sie führen die Aufträge der Königin schlecht aus. Wie können Sie in einer solchen Zeit im Faschingskostüm auf die Straße gehen? Das ist eine Torheit in dieser Zeit.
DiE HERZOGIN (mit Hoheit): Gräfin, ich sage Ihnen, ich bin in meinem ganz dem Dienste des Königs und der Königin gewidmeten Leben in dieser Verkleidung überall durchgekommen. In Klubs, Salons, im Palais Royal. Überall fand ich anständiges Entgegenkommen und höfliches Lächeln. Paris, das über alles spottet, hat vor dem maskierten Vergnügen Achtung. Das weiß ich, deshalb trete ich so auf. Aber Sie haben recht. Die Zeiten sind andere geworden. Was soll aus dem König werden, wenn die Bastille erobert wird?
MAURICE: Gnädige Frau, ein König ist mächtig, wenn er die Menschen zwingt, ihn zu lieben, weil er zu ihrem Wohle wirkt. Wenn der heilige Ludwig oder Heinrich IV. heute lebten, machten sie die Bastille dem Erdboden gleich. Dann errichtete das dankbare Volk auf dem Boden der Zwingburg Statuen. Das waren wirkliche Könige. Doch dieser Ludwig XVI. Er versteht weder zu kämpfen noch zurückzuweichen. Macht er einen Schritt drohend vorwärts, so folgt er sogleich mit einem nach rückwärts. Heute ist Mirabeau ein König. Er ist ein ganzer Mann, der den Herzschlag des Volkes fühlt. Seine Löwenstimme erschüttert mit ihrer Gewalt die Basuille.
Die HERZoGIN: Und die arme edle Königin. Nie werde ich ihren Blick beim Abschied vergessen. Stolz in der Angst noch. Mut, der aus Tränen strahlte. Gehen Sie nach Paris, sagte sie zu mir, Sie meine teure Freundin, aber schonen Sie Ihr Leben. Es ist an den Königinnen, das ihre zu opfern, wenn es gefordert wird! Ich fürchte, es ist alles verloren. (Sie drückt das Tuch vor die Augen, um die Tränen zu trocknen, und nimmt es dann schnell weg.) Herr von Kernoßt verlassen Sie uns nicht in der Not! MAURICE: Bleiben Sie ruhig, gnädige Frau, ich werde Sie bewachen.
Die HERZoGIN: Ich werde noch heute nach Versailles fahren.
(Sie klingelt, Ulliac tritt ein.)
FULGENCE [(nimmt Ulliac beiseite)]: Bereiten Sie alles, mein Lieber, wir reisen noch heute nach der Bretagne.
(Die Herzogin geht mit Lucile ab.)
ULLIaAc (für sich): Ich glaube wahrhaftig, die wissen nicht, wo sie den Kopf haben, der Sturm hat ihn [ihnen] umgedreht. Wären sie nur einmal auf dem Meer gewesen. (Er geht ab.)
Vierte Szene Fulgence, Maurice
FULGENCE (geht auf ihn zu): Maurice, liebst du mich noch? MAURICE: Was soll die Frage? Versteht sich dies nicht von selbst? FULGENCE: Nun gut, dann beweis es mir, indem du in einer Stunde mit mir nach der Bretagne abreisest. MAURICE: Was bedeutet das?
FULGENCE: Paris ist nicht mehr erträglich.
MAURICE: Und Versailles?
FULGENCE: Noch weniger.
MAURICE: Ich dachte, Sie liebten Versailles?
FULGENCE: Jetzt nicht.
MAURICE: Sie sind launisch wie das Meer, gnädige Frau; aber ich bin hartnäckig wie ein Bretagner.
FULGENCE: Überlegen Sie, Graf, was Sie tun; trotzen Sie diesmal Fulgence von Fr&meuse nicht. Werden Sie mit mir gehen?
MAURICE: Ich bedaure, gnädige Frau, reisen Sie ab, wenn es Ihnen beliebt; doch ich gehe von Paris vor dem Ende des Kampfes nicht fort.
FULGENCE: O, steht es so.
MAURICE: Ja, so steht es. Und Sie haben es selbst so gewollt. Hätte ich ohne Sie Kernoät verlassen? Meine Gedanken waren auf große Reisen, auf Kämpfe jenseits des Meeres im freien Lande nur gerichtet. Sie träumten von Auszeichnungen, vom Hofe, von glanzvollen Festlichkeiten. Sie haben mich nach Versailles geschleppt, und wollten mich in der Leibgarde sehn. Der König und die Königin haben mich nicht als einen der ihrigen anerkannt, und vielleicht haben sie recht gehabt. Doch Paris verlassen an dem Tage, wo das Schicksal des Volkes in einem harten Kampfe sich entscheiden soll ... Niemals! Es lag an Ihnen, mich nicht hierher zu führen; doch in der Stunde, wo die Minute Mutter der Jahrhunderte ist, werden Sie mich nicht verhindern, diese Minute mitzuerleben, und zu handeln, wie es mein Gewissen mir auferlegt. Sie haben mich in den Sturm geworfen, ich bleibe darin.
FULGENCE (sieht ihm in die Augen): Maurice, ich bitte dich, bringe meiner Liebe dieses Opfer.
MAURICE: Die wahre Liebe knechtet nicht, sie befreit.
FULGENCE [(beobachtend)]: Ah, nun kenne ich Sie. Ihren König, Ihre Ehre, Ihre Frau verraten! Sie sprechen von Volk, von Gewissen, von Freiheit? Sie lieben die Herzogin; ihretwillen wollen Sie hier sein.
MAURICE (erstaunt): Die Herzogin! Können Sie diese Torheit wirklich glauben?
FULGENCE: Ich weiß alles. Es war von euch verabredet, euch zu treffen in einer Art, die harmlos scheint. Es war Ihnen genehm, innerhalb der Menge die Geliebte in die Arme zu nehmen, um sie zu verteidigen. (Sie deutet auf den Domino der Herzogin.) O diese Verkleidung. - Jetzt weiß ich ... Ihre Worte bedeuteten, dass Sie beide diese Nacht entfliehen. Ist es so?
MAURICE:
Fulgence, Ihre Ungerechtigkeit empört mich. Versuchen Sie es, sich zu beruhigen und die Wahrheit einzusehn.
Fur, Nein, mich kann nichts beruhigen. Alles, was ich sehe, alles, was Sie sagen, bestärkt mich in meiner Überzeugung. Noch ist es Zeit, Maurice, ... Es handelt sich um unser Schicksal, um mein Leben, um Ihr Leben ... kommen Sie mit mir?
MAURICE (sieht sie an und zuckt mit den Achseln):
Ich glaube wahrlich, Sie haben recht. Es wäre meiner mehr würdig, die Herzogin zu lieben. Sie hat mich gelehrt, mutig zu sein, indem sie für die Königin ihr Leben wagte; doch Sie, Sie predigen mir die Flucht.
FULGENCE:
Es ist genug. Mich so zu beleidigen, ist niedrig. Niemals werde ich Ihnen dies verzeihn. Weh Ihnen, dass Sie an meine Liebe nicht geglaubt haben; mögen Sie bewahrt bleiben vor dem Hasse Ihrer Fulgence ... Leben Sie wohl.
(Sie geht durch die Türe links ab. Maurice setzt sich nachdenklich nieder.) Fünfte Szene
Maurice, Lucile, diese kommt aus dem Hintergrund, setzt sich auf die Chaiselongue und nimmt ihre Lektüre wieder auf, wie wenn sie Maurice nicht bemerkte.
MauRrICE (erhebt sich und geht auf sie zu): Noch immer in deine Bücher vertieft?
Lucite (hebt den Kopf, lächelt): Ich habe mich aufgegeben. Gott kann mich nur noch in dir treffen.
MAURICE: Liebe Lucile, du bist schön wie der Mond hinter einer Wolke, aber so traurig und schweigsam auch wie er.
Lucie: Ja, oftmals verdunkelt, niemals getrübt.
MAURICE: Warum redest du so selten mit mir?
Lucie: Sind Worte dazu nötig. Ein Blick verrät mir deine Gedanken. Seit ich dich verlassen habe, habe ich mich ganz Gott hingegeben. Jetzt durchdringen sich schweigend unsre Seelen am besten.
MAURICE: So ist es. Es spricht der liebe Blick deiner Augen. Neben dir kommt mir der Friede meiner Kindheit, die Fröhlichkeit meiner Jugend. Ich möchte dir eine Erinnerung erzählen. Ich sah, als ich in den Hafen von Neufundland einfuhr, dort einige Seeleute den Heliotrop in kleine Beete pflanzen; in den Eisfeldern des Nordens. Sie atmeten in den armen frierenden Blumen die ferne Bretagne ein. So ist es mir an deiner Seele, aus der ich den milden Duft der verlornen Heimat atme. Lucite (lächelt und neigt den Kopf): Sieh, hier sagt Fenelon: «Was wir lieben, wird nicht sterben.» Welcher süße Trost in dem Gedanken: Du wirst nicht sterben, Maurice, weil Lucile dich liebt. (Sie reicht ihm das Buch und zeigt auf die Stelle.)] MAURICE: Du träumst von der ewigen Heimat! Was gibt uns Gewissheit, dass sie nicht ein bloßer Traum sei, aus unserem Wunsch geboren? Lucire: O nein, das ist sie nicht - ich lebe in dieser Heimat — und lebend schau ich sie. Im Dunkel des Erdenlebens seh ich den weißen Reigen der Seele in diese Heimat aufsteigen und höre die Stimme der Ewigkeit. MAURICE: Und ich, Lucile, höre nur die Stimme des nahenden Ungewitters. Hörst du nicht dies ferne und schauervolle Brausen. Auf dem Meere, wenn der Himmel schwarz ist, und Sturm die Lüfte durchwühlt, kann man gegen die Elemente kämpfen. Doch hier in diesem Völker-Gewitter fehlen Steuer und Segel uns. — Lucite (Sie zeigt fieberhafte Heiterkeit, durchmisst das Zimmer mit großen Schrüten.): Ich möchte die Luft dieses Völkergewitters atmen. Ich will in diese wühlende Menge. (Sie ergreift Domino und Maske der Herzogin, welche von der Herzogin liegen gelassen worden sind.) Erinnerst du dich, wie wir eines Abends heimlich weggingen und ich diese Verkleidung der Herzogin nahm, um nicht erkannt zu werden. Als wir vom Klub der Bretagner zurückkehrten, führtest du mich noch zum Ball der Marquise. Dort tanzte eine Frau mit dem Tamburin. O wie schön war sie in ihrem 'Taumel. So möchte ich heute Abend mit dem Tamburin tanzen - im Sturm des Lebens. (Sie lacht in erzwungener Weise). Kommst du?
(Maurice bleibt stehen; Lucile wirft plötzlich Domino und Maske weg.)
Nein - nicht mehr diese Lüge - Fulgence ist schon eifersüchtig auf die Herzogin.
(Im Laufe dieser Rede erscheint Saint-Riveul im Hintergrund und verschwindet gleich.)
MAURICE: Du weißt -?
Lucire: Sähe sie mich in dieser Verkleidung, so würde sie auch auf mich eifersüchtig. (Dann mit Worten, welche starke Willensenergie enthalten): Ich will aber nicht, dass sie auf mich eifersüchtig werde.
MAURICE: Eifersüchtig - auf dich! Lucile, du sprachst vor Zeiten von einem großen Geheimnis. Wann darf ich dieses erfahren. (Er spricht diese Worte wie in innerer Erregung, sodass sie klingen, als ob sie den Gedanken nicht voll ausdrücken. Man hört auf der Straße Lärm.) Das Volksgewitter - in diesem Gebrüll tönt die Stimme des Schicksals mit. (Er geht ab.) Sechste Szene Lucile. Saint-Riveul
SAINT-RIVEUL (tritt langsam ein und bleibt in der Mitte des Zimmers stehn): Was machen Sie, gnädige Frau? Lucite (sie hatte sich am Kamin angestützt; sieht Saint-Riveul erst, als sie durch seine Worte aufmerksam wird - erschrickt): Ich las. SainTt-Riveur: Ich sah’s. Lektüre zu zwei. (Er nimmt das Buch von der Chaiselongue und blickt auf den Titel:) Fenelon. Das hätte ich eher bei einem Bischof vermutet; bei Ihnen hätte ich eher ein Lehrbuch der Choreografie erwartet. Denn Sie schienen mir eben wie eine Gitana zu tanzen. - Ich habe es gesehen - mit diesen meinen Augen. Gnädige Frau das ist neu. Lucie: Wozu das lächerliche Spionieren? Brauchen Sie Geld? Saint-Riveur: Nein. Lucire: Was wollen Sie also von mir? Sarnt-Riveur: Ich komme von Versailles. Sind die Aufträge der Königin ausgeführt? Was ist mit Lambesc und Besenval? Lucie: Ich weiß es nicht. SAinT-RivEuL: Was macht die Herzogin? Was Maurice?
Lucie: Auch dieses weiß ich nicht.
SAinT-RivEuL: Ist das alles, was das royalistische Zentrum erkundet hat. Ihr habt hier ebenso den Kopf verloren wie die in Versailles. Ihr hättet die drei Tage benutzen sollen, um das rebellische Gesindel mit Kanonen zu behandeln; hättet die Lumpenbanden in ihre Löcher zurücktreiben und die Anstifter auf vierzig Fuß hohen Galgen aufknüpfen sollen. Es wäre alles zu Ende gewesen (zuckt mit den Achseln). Jetzt verbrüdert sich die französische Garde mit dem Gesindel. Aber es wird anders kommen. Es soll nicht heißen, dass ein Haufe von betrunkenen Philistern und verhungerten Sansculotten über ein Heer von hunderttausend Mann triumphiert. Doch um von uns selbst zu reden; Sie werden fortan nicht hier verbleiben. Sie gehen mit mir nach Versailles.
Lucie: Niemals. Vergessen Sie nicht, was wir abgemacht haben. Sie können mir keinen Befehl erteilen. Ich habe Ihnen mein Vermögen versprochen, Sie mir die Freiheit.
SAinT-RivEuL: Innerhalb der Grenzen Ihrer Ehre und der meinen. Ich habe Ihnen gestattet, Maurice zu folgen, damit Sie sein Verhalten dem König gegenüber überwachen. Ihren sonderbaren Geschmack für Klostergelübde inmitten der Welt zu achten, versprach ich Ihnen; zum Mitschuldigen Ihrer Liebeshändel und entarteten Phantasien mache ich mich nicht.
Lucie: Was wagen Sie mir zu sagen?
SAINT-RivEur: Ich habe Sie mit Maurice beobachtet.
Lucie: Armer Wüstling, was ahnen Sie von dem, was in unsren Seelen vorgeht.
SAINT-RiveEur: Dennoch verbiete ich Ihnen, ihn wieder zu sehn. Ich ließ Ihnen Ihre Freiheit, um Ihren Ideen zu folgen, nicht um bei ihm zu suchen, was Sie bei mir nicht suchen wollen. Sie sind meine Frau; Sie kommen mit mir nach Versailles, oder ich lasse Sie in die Bastille bringen.
LuciLe: Dann bin ich hundert Mal lieber in der Bastille als bei Ihnen in Versailles.
SAINT-RivEur: Bringen Sie mich nicht zum Äußersten. In der vorigen Nacht gingen Sie mit dem Dolch auf mich los, ich schwieg. Aber seit jenem Augenblick, da ich Sie mit Maurice gesehen, werde ich nicht mehr schweigen, sondern mich als [Ihr Gatte] fühlen.
(Ein großer Lärm wird auf der Straße hörbar. Saint-Riveul eilt davon erschreckt davon. - Lucile bleibt eine Weile allein.) Siebente Szene
Durch die Tür links die Herzogin; es folgen die Gräfin und die Baronin. Eine Gruppe von Edelleuten vom Hintergrund, ihnen voran Ulliac. Hinten folgt Saint-Rivenl.
DiE EDELLEUTE (drängen sich um Ulliac, beunruhigt): Welche Nachrichten bringt Ihr?
HERZOoGIN, BARONIN, GRÄFIN: Was gibt es? Was gibt es?
Urriac: Was es gibt? Das Volk hat den ersten Graben der Bastille überschritten. Ein Wagner hat die Ketten der Zugbrücke mit der Axt zerhauen. Es ist wie beim Entern.
Ein EDELMANN: Und dann?
Urrrac: Das Volk wird siegreich zurückkommen.
Die HErzoGIn, BARONIN, GRÄFIN: Und dann?
Uruiac: Dann wird es um die weißen Kokarden geschehen sein.
Der EDELMANN: Halunke, wagst du das zu sagen.
Urriac: Ich? Ich habe gar nichts gesagt. Das haben alles die Anderen gesagt, was ich sage.
DER EDELMANN: Also weiter! Urriac: Weiter — sagen die Andern -, dass sie mir kein Haar krümmen, weil ich zum Volk gehöre. - Aber mit Ihnen werden sie schon abrechnen, doch so, dass Sie die Rechnung sich können - von der Hölle bezahlen lassen - sagen die Andern.
DER EDELMANN: Gib acht, dass wir dich nicht zuerst in die Hölle senden.
Urriac: Nun, das soll sich zeigen. Übrigens sind Sie und die Andern mir gleich viel wert. Ich halte zu Herrn Maurice und bleibe bei meiner Truppe; gehen Sie zur Ihrigen. So macht man es auch auf dem Ozean.
Die HErzoGIn: Was soll geschehen. Retten Sie uns, Saint-Riveul!
GRÄFIN, BARONIN: Retten Sie uns.
Die EDELLEUTE: Ja, retten Sie uns, und wenn es nötig ist, wollen wir unsere Degen gebrauchen.
(Lucile hebt, als sie den Namen Saint-Riveul hört, das Haupt; jetzt erhebt sie sich zu voller Größe, die Augen weit geöffnet, nimmt einer visionären Ausdruck an, blickt in den Spiegel und wendet sich dann zu den Anwesenden.)
HERZOGIN, GRÄFIN, BARONIN: Was ist mit ihr? SAinr-Riveur: Hört sie nicht an; sie sieht aus wie eine Tolle! Lucite (spricht wie in Ekstase, mit fliegendem Atem, kaden zierter Stimme, die durch Kanonendonner öfter unterbrochen
wird): Ich habe im Spiegel die Gestalt des Todes gesehen. Er drohte euch mit schwarzen Flügeln. Die Zwingburg der Lüge - sie fällt - mit ihr die ganze Welt. - Ein Wirbelsturm von Angst und Wut. - Die furchtbaren Schmerzen, in denen eine neue Welt geboren wird — Totenkarren - Völkerkriege - ruhmreiche Heere. Das Jahrhundert der Freiheit zeigt sich - ein strahlendes Kind - in seinen Händen das Schwert der Gerechtigkeit, das Zepter der Freiheit, das Kleid der Freude. (Sie wendet sich zu den Anwesenden, die sich im Kreise um sie schließen.) Ihr wollt gerettet sein, Ihr unglückseligen Verteidiger der Zwingburg der Lüge und der Gewalt. - Ihr glaubt zu sein, und seid schon nie mehr. - Der Sturm fegt euch hinweg wie bleiche Gespenster. - Ihr, Herzogin, da sehe [ich] euer Haupt mit den schönen Augen - unter dem Schafott. Auch Ihr, Gräfin. - Auch Ihr, Baronin (sie schreitet zu Saint-Riveul, der zurückweicht) — Sie, Herr von Saint-Riveul, werden zu dieser Ehre nicht kommen, Sie werden verachtet im Ausland sterben. (Kehrt wieder zurück) O, welche Zahl von Schafotten. - Ein Meer von Blut? (mit leiser Stimme) Und jetzt - der König? - Die Königin? (Sie fällt wie ohnmächtig auf die Chaiselongue hin.)
ALLE (eng um sie): Was ist geschehen?
MAURICE (ernst): Die Bastille ist gefallen. Das Volk zog siegreich in die Zwingburg. Es kehrte mit den Kanonen zurück, wirft sie in die Gräben, und trägt die Gefangenen im Triumph heraus. DiE Grärin: Wo ist K£ralio? BARONIN: Wo ist Herr von Marigny? MAURICE: Die weiße Kokarde war ihr Unglück. Ihre Köpfe, auf Piken gesteckt, werden durch Paris getragen. GRÄFIN (zusammenbrechend): Schrecklich! BARONIN: Fliehen wir! SAINT-RivEur: Es ist höchste Zeit, auszuwandern, mögen hier die Irrsinnigen allein bleiben.
(Alle, außer Maurice und Lucile, gehen ab.) Achte Szene
Maurice, Lucile
(Von draußen der Lärm von Gewehrkolben, die auf die Stein‚fliesen fallen, auch die Stimmen der nächtlichen Patrouillen, welche die Erkennungsworte wechseln: « Vaterland» — « Freiheit». Roter Feuerschein der auf der Straße getragenen Fackeln an den Wänden des Boudoirs.)
Maurice (nachdenklich, bedrückt, setzt sich neben Lucile, die wie in einem visionären Schlaf ist): Was gibt es? Welche Rufe? «Vaterland», «Freiheit». Und ich, bin ich ein freier Mensch? Habe ich noch eine Heimat, ein Vaterland? Alles ist mir zusammengesunken. Allein du, Lucile, bleibst mir, du holde Blume - welcher Gott hat dich am Rande meines Abgrunds wachsen lassen. - Wie sie schläft, wie wenn die lieblichsten Träume durch ihre Seele zögen. - Doch jetzt verändern sich ihre Züge - träumt sie von dem Geheimnis das eine furchtbare und erhabne Macht sein soll? - Sie regt sich - im Schlafe - (Lucile zieht aus ihrer Brust das Bild der Mutter und den Brief derselben und reicht ihn Maurice.) - Was reicht sie mir schlafend. — Das Bild ihrer Mutter und deren letzten Willen? (Er überfliegt schnell den Inhalt des Briefes.) - O, ihre Mutter schuldig - mit dem Ritter von Trevern - das ist das Geheimnis. Lucile ist nicht die Tochter meines Vaters - wir sind von andern Müttern. Sie ist nicht meine Schwester. - In diesen Adern fließt [nicht] das Blut, das in den ihren ist - o welche schaurige Freude - Sie schläft, wie einst an der Quelle Morganes - da ich sie weckte, indem ich ihre Augenlider mit meinen Lippen berührte - ich will ... doch sie erwacht ... Lucile, weißt du, wo wir sind?
Lucite (fährt sich mit der Hand über die Augen): An der Quelle Morganes ...
MAURICE: Nein, in Paris
Lucite (den Kopf schüttelnd): Ich habe Jahrhunderte in einem Augenblick durchlebt. Ich war in einer andern Welt.
MAURICE: Lucile, sammle deine Gedanken - eine Welt stürzt um uns zusammen; die Bastille ist gefallen.
Lucite (jetzt erst ganz erwachend): Ich weiß es, doch leben wir in dieser Welt? - Nein, keine Fesseln mehr, keine Masken. - Nehmen wir Besitz von jener Welt, die wir erträumten. Ich schaue sie - wie von Bergeshöhe herab -, endlos sich breitend.
MAURICE: Liebe Lucile, steige herab zur Erde. - Wie gerne möchte ich dir folgen - doch ich sehe deinen weiten Umkreis nicht. - Wer soll uns dahin geleiten?
Lucie: Unsere vereinten und siegenden Seelen. (Mit geheimnisvoller Lebhaftigkeit) Eben träumte ich, wie wir den Ozean durchfuhren auf deinem schönen Schiffe - die Wogen vor uns wie Berge. Doch sie senkten sich vor der Macht meines Wunsches. Aus den Gluten der Morgenröte tauchten wir empor ... auf unbekannten Inseln. MAURICE: Du entzückst mich - und erschreckst mich zugleich. Ich will dir folgen in deine Träume - doch vorher vertraue mir noch das Geheimnis deiner Seele. LuciLe [(erschrocken)]: Welches? MAURICE: Das, von welchem du vor deiner Verheiratung gesagt hast, dass es ein furchtbares und erhabenes Geheimnis ist. — LuciLe ((entsetzt)]: Nein, das niemals. Nein, eher den Tod - wisse, das Rätsel unsres Lebens könnte uns für immer trennen. MAURICE: Lucile, ich muss alles wissen. - Der entscheidende Augenblick des Lebens isi da, der eine Ewigkeit des Schmerzes oder der Freude gebären kann.
(Lucile fällt auf die Chaiselongue, bedeckt das Gesicht mit den Händen.)
— Lucile, was du mir nicht sagen willst - ich ahne es - ich verstehe unser Leben jetzt zum ersten Male. Alles hell, die Kindheit, die Jugend, die Gegenwart, die Zukunft. - (Sich besinnend) O, diese Erinnerung, gedenkst du der roten Lilie des Teiches?
(Lucile erhebt den Kopf und verfolgt verwirrt die Worte Maurices.)
In der Tiefe des Parks, wo die dichten Ulmen das Licht nur durchsickern lassen - auf dem Teich eine Insel im Schatten einer Zeder eine einsame Schwertlilie — wie eine Fackel mit drei Flammen. Wie oft fuhren wir um diese Insel in einem kleinen Kahne und starrten die sonderbare Blume an. Da sagtest du: «Wie glüht die rote Lilie! Aber rühre nicht daran, mir scheint, dass an deinen Händen Blut bliebe.»
Lucie: Maurice, Maurice, warum erinnerst du mich daran?
MAURICE: Eines Tages stürzte ich nach der Blume - du stießest einen Schrei aus - oh, ich höre ihn noch.
Lucite (legt ihre Hand aufs Herz): O, noch fühle ich hier, wie der Stängel gebrochen ward.
MAURICE: Ich brachte dir triumphierend die Lilie - Du drücktest sie ans Herz. Dann sagtest du: «Du hasi unsren Traum getötet.» Ich konnte dich nicht trösten — du liefest aus dem Park auf die Heide. - Am andern Morgen suchte ich dich in deinem Zimmer - du warst tief traurig — die Lilie schon welkend in einer Vase. — Schluchzend fiel ich zu deinen Füßen - du bliebst unerbittlich - ich habe nie erfahren, was damals in dir vorgegangen war.
Lucite (ihn wie entgeistert anblickend): Es schien mir, als ob du die Blume meiner Seele gebrochen hättest.
MAURICE: Gehört diese Blume nicht mir?
Lucite: Ja, vollkommen.
MAURICE: O, die Lilie von damals, sie blüht wieder; sie wirft ihre drei Flammen in Luciles Herz. LucILE (atemlos): Schweige!
MAURICE: Ist die Sprache der Seele eine Lästerung? Haben die Engel nicht Leibesform angenommen, um auf Erden zu lieben! Du bist mir alles - unsere Liebe schließt ein die Liebe - der Schwester - der Frau - der Geliebten — du bist - was du immer warst — meine Lucile (ihre Hände ergreifend).
Lucie [(unbeweglich, lässt es wie in Ekstase geschehen)]: O ... der Abgrund unserer Seelen!
(Maurice zeigt ihr Bild und Brief.)
LuciLe (mit einem Freudenruf): Du kennst mein Geheimnis - dann ist es Gott, der es mir entrissen hat. MAURICE: Du liebst mich - wie ich dich liebe? Lucie: Ich lebe in dieser Liebe - ich atme in ihr- ich werde mit Freude in ihr sterben. - Führe mich hin, wohin du willst. MAURICE: Was brauchen wir noch die alte Welt - Gehen wir in die neue. - Eine Liebe wie die unsere wird sich neue Welten schaffen - Gehen wir jenseits des Ozeans. Lucie: Ja gehen wir - diese Erde ist zu klein für unsere Liebe. Ein Schiff - auf den Ozean.
(Lärm auf der Straße) MAURICE: Wir können jetzt fliehen. Ich werde einen Postwagen anspannen lassen. Erwarte mich an der Ecke, nahe dem Klub der Bretagner. Ulliac wird dich hinführen. Er kommt mit uns.
Lucite: Doch ich brauche eine Verkleidung, um wegzukommen. (Ergreift den Domino der Herzogin.) In dieser wird man mich für die Herzogin halten. (Sie hält sich in den Domino und hält die Maske in der Hand.) Maske der Torheit - doch - mag mich unter ihr der Tod treffen Unter ihr bin ich nicht mehr Lucile - ich bin Maurices Geliebte in einer neuen Welt.
(Legt die Maske an, geht mit Maurice Arm in Arm zur
Türe; sie bleiben in der Türe stehn - Fulgence tritt ein und beobachtet die beiden.)
MAURICE (in der Tür): Welches Glück! Noch kurze Zeit. Wir werden Europa verlassen und bald in der Neuen Welt sein. (Er geht ab.)]
Neunte Szene
Lucile. Fulgence.
Als Lucile Fulgence erblickt, wendet sie sich zu dem Kamin und bleibt dort, sich stützend stehen. Im Übrigen in einer Haltung, die wie Verteidigung ist.
FULGENCE: Gnädige Frau; Sie brauchten diese Maske nicht: Ich kenne Sie; ich habe Sie oft in dieser Narrenmaske gesehen, unter der sich Ihre Hoheit verbirgt. Ich weiß, dass Sie die Herzogin sind, und dass Maurice Sie erwartet. Sie mögen ihn finden. Doch vorher sollen Sie noch mich anhören. Sie haben mich in Ihrem Hause empfangen. Ich habe Ihnen mein Herz, mein und Maurices Schicksal anvertraut. Sie haben mir zugelächelt, wie die edelste der Beschützerinnen. Ihr Lächeln war Trug, Ihre Gastfreundschaft Verrat.
(Lucile nähert sich ihr. Pause in Schweigen ...)
Herzogin, Sie verkennen mich; ich bin nicht, die ich oft scheine. Ich brauche auch eine Maske um mich zu verbergen. Allerdings eine andre als Sie. - Ich brauche eine Maske für meine Gefühle ... Wissen Sie es, ich liebe diesen Mann - liebe ihn, dass ich ihm willig meinen Stolz zum Opfer bringen wollte - ich habe nie einen Mann vorher wahrhaft geliebt. Ihn liebe ich. Für mich ist er die Welt; was kann er für Sie sein? Eine Laune -! O diese Laune, sie nimmt mir — mein Alles. (Schweigen) Antworten Sie mir doch. Sagen Sie mir doch wenigstens, dass Sie ihn lieben, dass es Ihre Liebe ist, um die Sie mit Füßen treten, mich und Ihren Gemahl, Ihre Ehre und Ihre Pflicht. O sagen Sie mir dieses eine Wort -; dann nehmen Sie diese Maske ab - mein Herz wird bluten; aber es wird vielleicht den Weg zur Vergebung finden.
(Lucile wendet den Kopf.)
... Sie schweigen — Sie wagen es nicht, zu sprechen — Sie finden nicht den Mut, zu bekennen, was Sie fühlen und wer Sie sind - ... Eisiges Schweigen - zeigen Sie mir. Nun gehen Sie mit Maurice - Aber hören Sie von einer Frau, die ihre Gefühle nicht mutlos verbirgt, dass über Ihnen und Maurice kein Glück walten werde - das begründet man nicht, indem man eine andre Seele tötet. Sie nehmen mir mit meinem Geliebten meinen Glauben an die Welt. Das bringt nicht Glück, nicht auf dem Ocean, nicht in Amerika - das führt den Fluch mit sich. - (Sie geht ab.)
Zehnte Szene Lucile, zuerst allein, dann der Führer eines Trupps Rebellen.
Lucite (allein, immer noch am Kamin, nimmt die Maske ab): So also liebt sie ihn ... Und ich habe ihn ihr gegeben. Hinweg auch der letzte Schleier. - Ihr Fluch müsste mir wie ein Rachegeist folgen; - ich müsste ihre Nebenbuhlerin werden -! Was soll aus Maurice und mir werden? Dürfen wir uns lieben. Man erklimmt nicht die Höhen der Liebe, um in den Abgrund der Lust zu fallen, ohne dass die himmlischen Welten verloren gehen. - Es darf nicht sein; ich darf Maurice nicht liebend zur Seite leben. Entweder seine Seelenhüterin, oder seine Frau. Beides ist nicht möglich (sinkt auf die Chaiselongue und bedeckt den Kopf mit den Händen). Was soll geschehen. Gott helfe mir.
(Lärm auf der Straße. Trupp bewaffneter Rebellen tritt ein.
Führer an der Spitze. Die einen in der Kleidung der Natio nalgarde; die andern in Lumpen, mit Flinten, Säbeln, Piken
bewaffnet. Lucile hat die Maske wie instinktiv wieder angelegt, stellt sich in die Mitte der Bühne.) Der FÜHRER DER REBELLEN: Da ist die Spionin der Österreicherin. Das ist der Mut der Aristokraten. Da ihr Hauptlager. Nehmt diese Herzogin fest.
(Die Rebellen umringen Lucile; der Führer wendet sich an sie.)
Herzogin, Sie sind unsere Gefangene. Folgen Sie uns ins Rathaus. Sie werden dort vor dem Gericht des Volkes sich rechtfertigen über alles, was hier vorgegangen ist.
(Lucie bleibt ruhig.) Ergreift sie. (Die Rebellen beraten.)
ERSTER ReBELL [(seinem Nachbar)]: Ich wag es nicht! ... ZWEITER REBELL: Sie sieht aus wie ein Gespenst. DRITTER REBELL: ... Ach, nur wie eine Karnevalsmaske. Der FÜHRER: Die Maske ab, oder ich werde sie Ihnen abreißen.
(Lucile nimmt die Maske ab, wirft auch den Domino ab, bleich, im himmelblauen Kleid.)
ALLE (treten erstaunt zurück): Nicht die Herzogin. Lucie: O tötet mich; ich werde euch dankbar sein. Der FÜHRER: Wer sind sie? Die REBELLEN: Wer - wer sind Sie? Lucie (mit trotzigem Blick die Männer ansehend): Wer ich bin? Eine Frau, die sterben will für ihre Liebe, wie Ihr für Euer Vaterland gestorben wäret. Der FÜHRER (mit entblößtem Haupt): Sie sind frei.
(Alle Männer ziehen die Mützen ab.)
Wir richten die, welche das Volk hassen; wir haben Achtung vor denen, welche lieben.
Lucite (mit einer Gebärde der Verzweiflung): Ins Kloster! Ja, ins Kloster. (Sie geht mit schnellen Schritten ab.) II. Akt Die Quelle der Morgane.
In der Bretagne, Umgebung des Schlosses von Kernoet. - In der Mitte der Bühne ein Wasserbassin, umgeben von Felsen in druidischen Formen, die von einigen Erlen beschattet werden. Hinter den Felsen wölbt sich der Boden zu einem Hügel; von dort breitet eine alte Eiche ihre knorrigen Äste über die Quelle aus. Diese bietet eine ruhige Wasserfläche zu Füßen eines moosbedeckten Felsblocks. Im Felsen neben der Quelle eine Nische in Form einer Lagerstätte.
Links die große Mauer eines Klosters. Ein kleines Tor, halb bedeckt durch einen dichten Vorhang von Efeu und Geißblatt. Sie führt in den Klostergarten.
Rechts eine steile Schlucht zum öden Strand sich absenkend. Zwischen zwei schroffen Felsabhängen ist das hohe Meer zu sehen; in der Ferne ein Dreimaster auf Anker. Schöner Sommerabend.
Erste Szene
Ervoanik. Lucile.
Lucile, gefolgt von Evoanik, kommt aus dem Hintergrund. Man sieht sie unter der Eiche um die Felsen gehen und heruntersteigen. Lucile vorne mit eiligen Schritten; sieht sich ängstlich um.
ERVOANIK (sich auf seinen Hirtenstab stützend - atemlos): Wo bist du Herrin? Lucite: Hier. (Sie klammert sich an seinen Arm.) Ist niemand uns gefolgt?
ERVOANIK: Niemand.
Lucite: Mir ist, als ob ich Stimmen hörte ...
ERVOANIK: Das ist das Summen der Bienen in den Blumen. Die Heide isi ganz friedlich; die Herde geht nach Hause und die Sonne versinkt in das Meer.
Lucire: Wo sind wir?
ERVOANIK: An dem Kloster, in das du gehen wolltest. Hier ist das Tor zu den Ursulinerinnen.
Lucie (sieht das Tor an und senkt den Kopf): Schon da. Das Tor zum Grabe. Bleibe mutig, mein Herz (setzt sich auf einen Stein).
ERVOANIK: Herrin, du hast gewollt, dass der arme Hirte zur hohen Herrin von Kernoät du sagt, zur Erinnerung an den Tag, wo ich dich als kleines Mädchen auf meinen Armen in den Klostersaal gebracht habe, dass du deine Mutter schen solltest. Du bist die sanfte Königin der Heide. Doch warum betrübst du den Diener deiner Eltern. Seit acht Tagen hältst du dich in meiner Hütte verborgen; niemand vom Schlosse hat dich gesehen; und du hast nicht den Mund geöffnet. Ich habe dir mit meinen zitternden Händen eine Ruhestätte im Feenturme bereitet, inmitten des Waldes; ich möchte dich immer dortbehalten. Aber jetzt hast du dich hierhergeschleppt, wie eine Unglückliche. Was ist dir geschehen? Welcher Schmerz bedrückt dein Herz? Sag es deinem alten Ervoanik.
Lucie: Der Schmerz ist zu tief, suche ihn nicht zu erforschen. Es wäre vergebens.
ERVONAIK: So ist es wahr, dass du Nonne werden willst?
Lucie: Ja, nur im Kloster werde ich den Frieden finden. (Sie steht auf. Beiseite:) Diese unübersteigliche Schranke zwischen ihm und mir; sie ist notwendig. — (Sie geht einige Schritte gegen die Schlucht hin, richtet den Blick auf das Meer, kehrt erschreckt zurück; klammert sich wieder an den Hirten.) Was ist dort, Ervoanik? Der Dreimaster Maurices? Ich habe ihn gesehn.
ERVOANIK (wie zum Schutz die Arme über sie breitend): Sei ruhig; ich schütze dich. (Er legt die Hand über die Augen und blickt über den Horizont.) Ja, dort ist es, das Segelschiff! Er ist wieder da, der alte Feind, der Verführer. Alle richten sehnsüchtig die Blicke nach ihm, und wollen mit ihm gehen. - Es ist das Schiff Ulliacs. Es will mir Gaid entführen. Will etwa der Graf Maurice dich auch über das Meer bringen, wie der Matrose mein Kind? Schon lange muss ich denken, dass der Schlossherr einen bösen Zauber auf seine Schwester geworfen hat. Aber bleibe ruhig -ich bin da! Lucite: Ach, mein guter Ervoanik; kein böser Zauber. Wenn Maurice hier wäre, könntest du ihn so wenig hindern, mich auf sein Schiff zu nehmen, wie du Ulliac verhindern könntest, Gaid mit sich zu nehmen - außer wenn Gott nicht will.
ERVOANIK (schwingt den Hirtenstab): Ich bin auf der Heide alt geworden. Auf Zauber versteh ich mich. Die Geister, die in diesen Steinen schlummern, sie gehorchen mir. Er komme nur, der Feind; ich schwöre, dass ich dich schützen werde, so wahr, als hier die Quelle der Morgane ist.
Lucire: Die Quelle der Morgane. (Sie blickt zum ersten Male nach der Quelle.) Ja, das ist sie. Die geheimnisvolle Quelle an dem Druidenfelsen. - Das Farnkraut! Und an ihrem Rande die blauen Blümlein, wie damals. Zart und traurig. Dies Wasser, das von unbekanntem Orte kommt, bildet an der Oberfläche leichte Kreise, die den klaren Spiegel nicht trüben. (Zu sich:) Da waren wir, einmal nur, in unsrer frühen Jugend. Ich trank von diesem Wasser, dann schlief ich am Rande der Quelle ein. Ich träumte einen wunderbaren Traum. Ich weiß nichts mehr von ihm. Doch lebt er mir im Herzen fort wie ein unerlöschliches Licht. Seit dieser Zeit kann ich in den Seelen lesen und schaue die Zukunft. - Doch Maurice? Er schlief nicht. Er drückte auf meine Augenlider einen Kuss. An derselben Quelle, an der ich meine Seele von der Ewigkeit berührt fand, erfasste ihn die wilde Leidenschaft. - Wer bist du, Morgane? Morgane! (Zu Ervoanik) Sage mir, der du die Geheimnisse der Steine und der Quellen kennst; welches ist das Geheimnis der Fee Morgane?
ERVOANIK (nähert sich Lucile, beugt sich über den Hirten stab): Bst, leise. - Es dürfen uns die Nonnen nicht hören. Die Priester sagen, die Quelle sei verflucht. Um Weihnacht, zur Mettenzeit tritt die Äbtissin aus dem Kloster, um mit Zauberformeln den Fluch zu bannen. (Er dreht sich um, spricht Lucile leise ins Ohr.) Aber sie können’s nicht. Morgane geht nicht fort.
Lucie: Hast du sie schon gesehn?
ERVOANIK: Gesehen - das wohl nicht; aber hören kann ich sie manchmal. Wenn im Frühling die Quelle übersprudelt, besprenge ich dreimal den Felsen der Druiden mit Wasser. Dann trübt sich die Quelle und weint. Dann kommt aus ihrem tiefen Herzen ein tiefer Seufzer ... sanfter als das Erzittern einer Harfe ... Der stirbt in der Ferne ... wie wenn eine Seele stirbt, so hört sich’s an, das ist die Fee ... - Dann fühle ich sie das ganze Jahr. Wenn ich nicht schlafen kann; dann kommt ihre Stimme, hell wie ein Glöckchen; ich schlafe davon unter den Büschen ein. Gehe ich zu einem Kranken, und ich höre die Stimme, dann weiß ich, dass der Kranke durch meinen Besuch gesund wird. Ruft mich ein Schurke zu sich, und ich höre die Stimme, so kehre ich um. — Das ist immer Morgane.
Lucie: Warum ist die Quelle verflucht? ERVOANIK: Das ist sie gar nicht. Verzaubert ist sie nur. Kein Mensch, außer mir, weiß warum. Ich war fünfzehn Jahre alt. Da hörte ich von dem letzten Menschen, der noch etwas davon wusste, die Geschichte. In uralten Zeiten flüchteten zwei von der ganzen Welt verfluchte Liebende an die Quelle. Die war damals ganz vom dichten Walde; umgeben. Sie blieben da einen ganzen Tag. In der Nacht sind sie verschwunden. Die Fee, Morgang, hat sie geholt. Seit dieser Zeit geht mancher, der hoffnungslos liebt, zu der Quelle. In der Nacht erscheint ihm Morgane und sagt ihm, in welchem Himmel oder in welcher Hölle er die Geliebte finden kann. Kein Mensch weiß mehr; nur jedes Mal, wenn ein Mann oder eine Frau dies tut, findet man sie am Morgen tot.
Lucie (leidenschaftlich): Ist das so?
ErVOANIK (geheimnisvoll): Ich habe es selbst dreimal gesehn. Und die es wissen können, sagen die Quelle der Morgana isi das Tor des Todes und führe zur ewigen Liebe.
Lucie (ergriffen): Lass mich allein!
ERVOANIK: Wirst du hier ganz sicher nicht einschlafen?
Lucite: Ich werde meine Gedanken zusammenhalten. Geh in deine Hütte; ich werde allein zum Feenturm gehen. (Sie schickt ihn durch eine Gebärde weg, ohne ihn anzu sehn.) ERVOANIK (schüttelt den Kopf; steigt dann zögernd den Fel senpfad hinan. Oben bleibt er stehen - streckt den Stab ans): Hüte dich vor denen auf dem Schiff. Schlafe sicher nicht ein an dieser Quelle.
Zweite Szene Lucile am Rande der Quelle, dann die Äbtissin.
LuCILE (an einem Steine sitzend):
Maurice sucht mich; er muss nahe sein; die Zeit enteilt; jeder Augenblick ist kostbar! Und doch, wie mit einer eisernen Hand fühle ich mich an diesem Felsen festgehalten. Entsagung, Fluch beladenes Glück, geheimnisvolles Jenseits: ruft ihr nicht alle drei nach dem Abgrund der Ewigkeit. Welches von den dreien ruft mich stärker ...
(Es öffnet sich das Klostertor; die Äbtissin erscheint an der Schwelle, von einem Strahl der untergehenden Sonne beleuchtet. Das herabhängende Laub des Efeus und des Geißblattes bilden über ihrem Kopf einen Naturbaldachin. In der
Hand einen Krummstab aus Elfenbein.)
Die Äsrissin: Was führt dich hierher meine Tochter?
Lucite (nähert sich ihr, gesenkten Hauptes, küsst die Hand): Um Frieden dich zu bitten, Mutter.
Äprissin: Ich erwartete dich heute Abend. Man sagte mir, du seiest versteckt, als Flüchtling, beim Hirten. Warum bist du nicht zu mir gekommen; warum muss ich dich wie eine Fremde hier an der verfluchten Quelle finden?
Lucie: Ich wagt’ es nicht, an euer Tor zu klopfen.
Die Äsrissin: So ist dein Herz belastet mit Selbstvorwürfen.
Lucite: Nein, Mutter. Doch durchrüttelt ist es wie ein Schiff, das der Sturm gepeitscht hat. Maurice, mein Bruder, er, der nicht mein Bruder nach dem Blure ist ... O, ihr kennt ja das Geheimnis meines Lebens - er verfolgt mich, um mich zu entführen, und ich (leise) ... ich liebe ihn.
Die Äprissin: Unglückliche; Verirrte!
Lucie: Ich will eine unübersteigliche Mauer zwischen ihm und mir aufrichten; o lasst mir euren Schutz angedeihen, dass ich Frieden in Gott finde.
Äprissin: Den Schutz wirst du finden; der Friede wird dir gewährt sein; doch muss dein Herz bereit sein, zu entsagen der Welt, dem Leben, dem eignen Selbst - dem Herrn musst du dich ergeben und unserer strengen Regel unterwerfen.
Lucie: Das will ich.
Dir Äsrissin: Mein armes Kind, stark schon ist der Dämon, der dich versucht hat. Dein unglücklicher Bruder hat deinen bösen Geist herbeigelockt. Lucite (flehend): Er ist nicht mein Bruder.
Äprissin: Er hat dich verführt, die Liebe entgegenzunchmen, die seinem Weibe gehört. Ich kann dich nur nach einer strengen Prüfung aufnehmen.
(Orgelton hinter der Bühne)
Dies ist der Ruf der heiligen Stätte. In diesem Augenblick wird Lucile, deine Gefährtin im Kloster, zur Schwester Veronika geweiht. Wie eine Braut im hell leuchtenden Schleier erscheint sie in der Kapelle. Die Orgel tönt den 'Triumphgesang. Die weisen Jungfrauen, die ihr Licht nicht erlöschen ließen, begrüßen ihre neue Schwester. Sie dürfen es, weil nie ein unreiner Gedanke das Herz Luciles berührt hat.
(Das Orgelspiel hört auf, während der Hymnen des Gottesdienstes - setzt aber immer wieder ein während des Dialogs.)
CHOR DER NONNEN: Haec est virgo sapiens Quam Dominus vigilantem invenit. LuciLe (mit einer traurigen Freude, die an dem Gesang und dem Orgelspiel größer wird): Und mir war er mein Herr. Da ich ein Kind noch war, schmückte ich mich für ihn wie eine Braut; an meinem Herzen trug ich die Rosen der Liebe, mein Glaube an ihn leuchtete mir von der Stirne wie ein strahlendes Diadem. Die Äsrissin (streng): Dem blutenden Christus soll dein Herz gehören. CHOR DER NONNEN: Veni, electa mea, et ponam In te thronum meum - Alleluia! Dir Äprissin: Sie empfängt jerzi von dem Priester den Schleier der Keuschheit, den Gürtel der Demut, auf dass sie sei des Christus Erwählte. Bist du bereit, also zu tun? Lucite (hört nicht, was die Äbtissin spricht, mit wachsender Ekstase): Auch ich war erwählt - erwählt für ihn ... Ich wollte sein die Luft, die er atmet, der Himmel, der ihn umgibt, die Sonne, die ihm Wärme spendet. Mein Herz sollte sein die Leiter zur Welt des Himmels ... Die Äsrissin (gebieterisch): Dem gekreuzigten Christus musst du dich selber opfern!
(Man hört Totengeläute wie bei einem Begräbnis. Lucile erschauert, die Orgel geht über zur Totenmesse; die Bühne wird dunkel.)
(Die Novize liegt auf dem Grabstein; die Arme im Kreuz gebreitet, über sie fällt das Leichentuch. Die Totenmesse wird ihr gesungen; sie erstirbt der Welt.)
GESANG DER PRIESTER: Dies Irae, dies Illa Solvet saeculum in favilla, Teste David cum Sybilla. Äprissin: Höre. Sterben muss deine Erdenhülle; erfühlen sich als Staub und Asche. Lucie: O furchtbarer Gott, verlangst du meine Erdenhülle; die geb ich dir! Werde sie Staub! Komme das Gericht! Soll ich um Frieden zu finden, unter dem Leichentuch liegen ... den Tod schrecklich fühlen ... nein, ich will den wirklichen Tod ... für ihn.
Äsrissin: Das ist nicht alles; höre - mehr noch musst du geben!
GESANG DER PRIESTER: Judex ergo cum sedebit Nil inultum remanebit, Quidquid latet apparebit.
Äprissin: Höre. Dein Richter ruft dich - er, der alles sieht, was du ihm geben musst, deine Gedanken, deine Erinnerungen, deine unreinen Wünsche - dein Fluch beladenes Glück - bringst du es nicht, nimmt er dich nicht auf. Lucite (in dumpfer, wachsender Leidenschaft): Mehr als mein Herz; mehr als mein Leben - das Glück meines himmlischen ’Traumes mit ihm willst du! - O nimm es, auf dass er glücklich werde. Äprissin: Es ist noch nicht alles. Höre - weiter:
GESANG DER PRIESTER: Quid sum miser tune dicturus? Quem patronum rogaturus? Quum vix justus sit securus?
Äprissin: Hörst du? Deine Liebe selbst zu ihm, zu dem Versucher, du musst sie aus deinem Herzen reißen. Lucite (in äußerster Angst): O, nicht das, ich flehe dich an! Diese Liebe ist meines Lebens Leben, ist der Anker meines Herzens -, wie die Eiche am Felsen, den sie mit all ihren Wurzeln umklammert, du nur mit dem Felsen ausreißen kannst, so kannst du meine Liebe nur mit meinem Herzen ausreißen.
Äsrissin (hart, kalt): So musst du dein Herz mit deiner Liebe aus dir reißen - nicht anders kannst du deinen Bruder vor der Hölle retten.
Lucie (betäubt, taumelnd): Du verlangst meine Liebe? So nimm meine Seele mit ihr. Gehe sie dahin, dass Maurice lebe.
(Sie fällt zu Füßen der Äbtissin nieder. - Gaid kommt aus dem Hintergrund; sie horcht und beobachtet.)
Äsrissin (ernst, doch besänftigend):
Jetzt bist du bereit, meine Tochter, die Dienerin Chrisu zu werden. Es wird jetzt Schwester Veronica das Gelübde ablegen. Ich werde die Taube in der heiligen Arche anzünden. Verharre hier kniend im Gebet (mit erhobener Stimme) und wenn du bereit bist, so klopfe mit dem Hammer an der Türe. Wisse aber, das Kloster öffnet sich dir - aber du wirst es nicht mehr verlassen. Um dich zu empfangen, werden wir das Gloria anstimmen.
(Die Äbtissin geht in das Kloster. Gaid verschwindet. Nachtdunkel) Dritte Szene Lucile, später Maurice und Gaid.
Lucie (allein, richtet sich auf, bleibt aber kniend): So ist es geworden. Ich bin nur noch ein Schatten ohne Seele. Der Gottesgeist ist von mir gewichen. Er irrt in fernen Himmeln und sucht seinen verlorenen Bruder. Ich - ich bin nichts mehr ...
GESANG DER PRIESTER IM KLOSTER: In inferno nulla est redemptio, Miserere, Deus, et salve me. Miserere nobis!
(Drei langsame Schläge der Totenglocke. Lucile schleppt sich bis zu den Stufen des Tores. Steigt mit jedem Schlage eine Stufe hinauf. Beim dritten Schlag hebt sie die Hände, um den Hammer zu ergreifen.)
Eine STIMME (aus der Schlucht): Lucile, bist du hier? Lucite (springt auf): Maurice! (Sie flüchtet hinter den Felsen, links von der Quelle.) GaiD (läuft herbei, ihre Spindel schwingend): Gnädiger Herr, hier war sie eben. Maurice (der Gaid folgt): Wo? Gain: Sie kniete vor der Äbtissin, und beichtete; o, wie unglücklich sie aussah, unsere arme Frau. MAURICE: Konntest du hören, was sie sprachen? Gain: Nein, nur das Letzte. Da hat die Äbtissin gesagt: «Wenn du bereit bist, so klopfe mit dem Hammer an die Türe. Wisse aber, das Kloster öffnet sich dir; du wirst es aber nicht mehr verlassen. Um dich zu empfangen, werden wir das Gloria anstimmen.» Dann ist Mutter Angelica in das Kloster eingetreten und Ihre Schwester ist auf den Stufen liegen geblieben. - O, ich wäre an ihrer Stelle davongelaufen - aber sie weinte — weinte so bittere Tränen. —
MAURICE: Durch dieses Tor - sie - gegangen.
GaiD [(in der Finsternis mit dem Blicke spähend)]: Nein, sie muss hier irgendwo versteckt sein. Sie wird wieder kommen. Wie schade wäre es, wenn unsre liebe Frau von Kernoet Nonne würde. Frau Lucile, die junge, schöne, reiche Frau. - Wer solche Liebeslieder in der blumigen Heide singt wie sie mit mir, der kann nicht sein ganzes Leben nur Messe und Vesper hören. Ich wette, sie könnte es auch im Kloster gar nicht aushalten. — Und selbst, wenn sie schon drinnen wäre, Sie und Ulliac würden über die Mauern springen, und sie entführen; (flüsternd) so lange man nur Novize ist, und die Gelübde nicht abgelegi hat, kann man noch immer herauskommen (zuckt mit den Schultern) und, wenn Sie recht stark riefen, käm sie auch durch verschlossene Türen. Sie kann Ihnen diesen Schmerz nicht antun. (Vertraulich) Im Feenturm, wo sie wohnt, hat sie eine ganze Nacht wachend auf meinen Knien gelegen. Ich hatte ihr schönes schwarzes Haar gelöst. Sie sagte, dass meine Hand ihr das Fieber kühle. Manchmal hob sie den Kopf und sprach Ihren Namen.
MAURICE: Weinte sie?
Gaip: Nein, die Augen waren trocken; aber wie Feuerfunken kam es aus ihren Augen, wie die Flammen des Feuers auf dem Herde, auf das sie hinstarrte die ganze Nacht hindurch.
MAURICE [(drückt Gaid krankhaft in seine Arme)]: Gaid, du bist brav, ich werde dich reich machen eines Tages, wenn wir sie retten.
Gain: Gewiss retten wir sie. Wir drei: Sie, Ulliac und ich, (bittend) aber ich bitte Sie, sagen Sie Vater nicht, dass ich Ihnen verraten habe, wo Frau Lucile ist. Ich musste ihm bei der heiligen Ursula schwören, dass ich es nicht sagen werde, (traurig) ich schwor ganz laut bei der heiligen Ursula, dass ich nichts sagen werde, und ganz leise bei der lieben Frau von Kernoät, dass ich Ihnen alles sagen werde.
MAURICE: Sei ruhig; dein Vater wird nichts erfahren.
GaiD (schmeichelnd, verschämt): Herr Graf, wenn wir mit dem Schiffe wegfahren, so werden Sie mich mitnehmen; nicht wahr?
MAURICE: Ich versprech’ es dir.
Gain: Es gibt doch auch in Amerika Priester, dass man heiraten kann? MAURICE (erschrocken): Heiraten? Wer? GaiD (lachend): Ulliac und ich. MAURICE: Ja, gewiss, Du kannst ganz ruhig sein. Gain: Und jetzt will ich zu Ulliac gehen. Dass er die Barke zubereitet in der Felsenhöhle von Falhouät. MAURICE: Es steigt aber jetzt das Meer. Wirst du unter den Klippen durchkommen? Gain: Wenn die Wellen mich berühren, so spring ich. Die große Woge gibt mir Flügel, wie sie die Möwe hat (geht singend ab).
Vierte Szene
Maurice, Lucie, diese halb verborgen hinter einem Felsen und für Maurice unsichtbar.
MAURICE (setzt sich erschöpft auf einen Stein): Nach dem Wagen, in dem ich Lucile erwartete, brachte mir Ulliac diesen schrecklichen Brief. (Er zieht einen Brief aus der Tasche.) Ich kenne ihn auswendig. «Gott hat es nicht gewollt, dass ich bei dir sei in dieser Welt; ich werde es sein in der ewigen. Forsche nicht, wohin ich jetzt mich begebe. Deine Lucile.» Dies und seitdem nichts! Verschwunden! Entflohn? Ins Kloster, ... Der Brief zeigt es. Sie ist davor zurückgewichen, mit mir in Liebe zu leben. Es ist ihr ... die Schuld. Doch wenn diese Schuld unsere einzige Wahrheit, unser Leben, der einzige Sieg wäre! Vor den Menschen ist es vielleicht Schuld. Aber darf denn der freie Mensch seinem Traum vom Leben nicht Wirklichkeit leihn. Hat er nicht das Recht, die geliebte Frau auf seinem Schiffe hinwegzuführen in die Welt jenseits des Ozeans. Und doch - Lucile will sich in diesem Kloster verbergen, aus Furcht vor der Schuld. -0, ist sie schon darin? - Nein, nein, unmöglich, das kann Lucile doch nicht getan haben.
GESANG DER NONNEN (in der Kapelle): Gloria in exelsis Deo! Laudamus te! Benedicamus te! Glorificamus te! Hosanna! Hosanna!
MAURICE: Das Gloria. Was sagte Gaid? Wenn sie eintritt wird das Gloria gesungen ... Dann ... dann ist sie darin! O ... das konntest du Maurice antun. Du suchst den Himmel ohne mich ... So will ich die Hölle wählen ... Von Lucile verraten ... sie ist nicht mehr meine Scelenhüterin ... Lebendig begraben, meine ewige Braut ... Das Leben ohne sie ... Nein, das will ich nicht ... Dort ist die Felsklippe, auf der ich meine Seele zuerst verstanden habe ... tief ist der Abgrund ... dies Meer möge mich in sich aufnehmen (er wirft sich in die Schlucht). LuciLE (kommt aus ihrem Versteck hervor): Maurice ... O, Maurice, lass mich mit dir sterben!
MAURICE /[(zurückkehrend)]: Bist du es, ... ist es kein Gespenst?
Lucie: Ja, ich bin es, im Leben darf ich nicht bei dir sein; im Tode darf ich’s.
MAURICE: So wolltest du mich deinem Goute opfern?
Lucie: Nein, ich hab in Ihm dich wiedergefunden. Ohne Gott nicht du; aber ohne dich nicht Gott. Ich habe meine Seele töten wollen; aber sie blieb, die sie war; sie konnte keine andre werden. O, ich erkenne es jeizt: Jede Seele ist ein Gedanke Gottes, der da leuchtet, indem er liebt. Die Liebe vertilgen; es heißt die Seele vertilgen. - Nun, nicht mehr das Kloster; mit dir zusammen durchschreite ich das Tor des Todes.
(Schmiegt sich an Maurice. Ein Mondstrahl fallt auf die beiden.)
GESANG DER NONNEN: Gloria in excelsis! Hosanna, Hosanna!
MAURICE: Bist du es auch wirklich, Lucile. Schen meine Augen richtig. Doch du bist dennoch eine andre! Eine andre. Warum dieses Leben nicht wieder beginnen. Das Schiff ist bereit. Es trägt uns in die Neue Welt.
(Mondstrahl hört auf.) Lucite (schüttelt den Kopf): O, ich kann nicht mehr zurück! ... Ich bin deine Schwester.
MAURICE: Die bist du nicht mehr, seit wir das Geheimnis kennen. Kein Band des Blutes bindet uns. Nichts als die Vorurteile der Welt. Lucie: Maurice; durch die Seele bin ich deine Schwester. Und die will ich bleiben. Kann es nicht in dieser Welt sein, so lass uns eine andre aufsuchen ... Lass uns das Tor des Todes durchschreiten. Du sollst niemals an Lucile zweifeln. Der Himmel darf uns nicht trennen; ich will die Hölle lieber mit dir teilen.
MAURICE: Das Leben ohne dich - es ist unmöglich. Möge uns der Tod vereinen.
(Sie gehen gegen die Schlucht zu.)
Fünfte Szene Dieselben, Ulliac
Urriac (kommt eilig von der Schlucht her):
Herr Graf, Gaid hat gesagt, dass Ihr hier seid. MAURICE:
Was gibt es? Urriac (verlegen): Sonderbar, Herr Graf ... Ihr wisst, dass Gaid das Meergras windet, dort an der Windmühle, bei der Felsenhöhle, wo ich unser Schiff behüte. Gestern hatte sie eine Frau, gegenüber am Felsabhang sitzen sehen ... ganz gehüllt in ein großes Tuch ... Wie eine Dorffrau sah sie aus, so eine die den Schiffen nachsehen, welche ihre Geliebten davontragen; so starr saß sie wie diese, die sich auch nicht rühren, bis der Mast im Meer versunken ist. Diese aber blickt unaufhörlich unsren Dreimaster an, als ob sie von ihm etwas wolle. Heute Abend sitzt sie wieder da. Wegen der Flut musste der Smaragd den Anker lösen und auf die andre Seite gehen. Sie glaubte wohl, dass das Schiff wegfahren würde; da stieg sie herab auf das Steingeröll, um dem Schiffe nachzusehn. Die Welle schlug schon an die Felsen an. Da liefen Gaid und ich wie Gemsen, wir fanden die arme Frau im Felsen, in den schon Wasser eindrang. Ich glaube wirklich, sie wollte umkommen, so starrte sie auf den Smaragd hin. Da erkannte ich die Frau Gräfin ... Ihre Frau, Herr Graf ...! Heilige Jungfrau; wer konnte das ahnen!
MAURICE: Was habt ihr getan!
Urriac: Als wir ihr sagten, der Smaragd würde diese Nacht nicht abfahren, ließ sie sich in die Windmühle führen. Dort ist sie - ganz durchnässt.
[Lucie]: Hat sie von mir gesprochen? Urriac: Nein, Frau Lucile, von einer andern Dame, von der Herzogin hat sie gesprochen.
MAURICE: Führe die Gräfin in das Schloss - und sage ihr, in den nächsten acht Tagen fährt der Smaragd nicht ab.
Urriac: Sehr wohl, Herr Graf; (abgehend) es geht recht schlecht - das sehe ich schon, dass aus dem Abfahren nichts wird. Ich werde aber Gaid doch haben. — Was aber soll aus Frau Lucile werden, der Beschützerin des Smaragds ... Auf dem Lande ist es doch Elend ... Nur auf dem Meere ist man ein wahrer Mensch. [Steiners Text bricht hier ab. Im Folgenden die Übersetzung von Marie von Sivers]
6. Auftritt Maurice. Lucile.
Mauice (setzt sich auf den Felsen rechts, beiseite): Fulgence sollte mich in diesem Maße lieben! ... In dem Augenblick, wo ich mich von allem befreit hatte, will sie alte Ketten auf mich werfen? Lucire (auf dem Felsen links): Fulgence wollte allein sterben ... Meine Rivalin hätte mich überboten? (Sie erhebt sich und tritt zu Maurice heran.) Du siehst Maurice, dass wir nicht gemeinsam sterben können. MAURICE: Warum? LuciLe: Du musst für Fulgence leben und für dein Land. MAURICE: Das Tor des Todes hat sich geschlossen; wir müssen den Weg des Lebens wieder nehmen ... aber des Lebens zu Zweien. Das Schiff ist immer dort, es ist bereit, den Anker zu lichten und die Segel zu spannen beim ersten Strahl des "Tages. Lass uns fahren!
(Man hört das Rauschen der Wellen auf dem Strande hinter der Schlucht.)
Lucie: Maurice, man versucht Gott nicht zweimal. Hörst du die mächtige Stimme der Wogen, deren Rhythmus in seinem ewigen Wechselschlage dem Schicksal der Menschen gleicht! Jetzt brausen sie dahin wie ein rauschender Strom; es ist der Ozean, der wiederkehrt. Die Flut wollte uns hinwegtragen, und die Flut bringt dir wieder - eine Frau, die dich liebt. - Kannst du sie zurückstoßen?
MAURICE: Du bist die göttlichste der Schwestern, aber die grausamste der Geliebten. Ich hatte Fulgence vergessen, warum wirfst du mich in ihre Arme zurück? In deinen Armen wollte ich die Meere durchkreuzen, unter deinem Schutz wollte ich Stürmen und Schiffbrüchen trotzen und auf neuen Erden Siege erringen - um dann auf deinem Herzen zu ruhen, wie auf dem machtvollen Herzen der Welt, das jeder Flut und Ebbe gebietet.
Lucine: So höre auf dies Herz, das dich liebt und dich versteht. In dieser Stunde spricht aus ihm die Stimme Gottes zu dir. Auch Fulgence ist durch den Schmerz gewachsen; Fulgence kehrt dir zurück als eine andre. Frankreich ruft dich durch ihre Stimme! ... Du hast ein Werk zu verrichten in deinem Vaterlande, du wirst es erfüllen mit ihr, da Gott es so will. MAURICE: Wird sie mir auf meinen Wegen folgen können?
Lucie: Sie hat sterben wollen, also liebt sie dich.
MAURICE: Fulgence, die ehrgeizige, wird sie mich verstehen können?
Lucie: Jetzt, wo sie dich liebt, wird sie dir gehorchen.
MAURICE: Leben ohne dich? Abgrund, Torheit! Was soll ich werden ohne das Licht deiner Seele?
Lucie: Glaubst du denn, dass die wunderbare Liebe, die uns eint, jemals trotz der Entfernung enden könnte? Jetzt erst werde ich in Wahrheit die Hüterin der Seele sein.
MAURICE: O Lucile! Einst als wir auf steinigem [Strande] wandelten, hatte das Meer einen schnsüchtigen Rhythmus, von Schweigen unterbrochen wie eine Liebesklage ... Mit dir die Musik der Wogen hören, das war beinahe der Himmel. Nun steigt die Flut und heult in Sturmesnot. Ohne dich ihre verzweifelte Summe in der Finsternis hören ... das wird die [Hölle] sein!
Lucie: Nein, dieser Ozean, den wir lieben, mit all seinen Symphonien und all seinen Spiegelungen, er wird uns vereinigen. — Gestern saß ich auf dem Strande. Die Sonne sank wie eine rote Kugel in das Meer und malte auf seiner Oberfläche bis zu meinen vom Schaum benetzten Füßen einen blutroten Pfad. Ich fühlte, dass meine Tränen flossen, als ich sie verschwinden sah, wie wenn ich ihr ein ewiges Lebewohl sagte. Und dennoch schwang sich meine Seele ihr entgegen längst diesem Feuerpfade, auf den Spitzen der Wellen. Es schien mir, dass ich, wie Christus, die Macht hatte auf den Fluten zu schreiten. - Maurice, wenn ich nicht mehr mit dir sein werde, blick auf die niedergehende Sonne, den Stern der Wahrheit, und du wirst mich sehen dir entgegenfliehend mit geöffneten Armen. MAURICE: So willst du ins Kloster zurückkehren? Lucie (traurig lächelnd): Wie könnte ich es jetzt? Ich habe die Tiefe des menschlichen Leides gesehen, ich bin eine Befreite. Meine Verteidigung ist in mir selbst. MAURICE: Was soll aus dir werden? Lucie (umschlingt ihren Bruder sanft mit ihren Armen und zieht ihn neben sich auf einen Felsen. Das Brausen des Meeres besänftigt sich allmählich und das wiederaufstrahlende Mondeslicht beleuchtet die Gruppe bis zu Ende der Szene. Lucile spricht mit geheimnisvoller Stimme.): Höre! Wir sind hier bei der Quelle Morganes ... wo wir einst den reinen Schlaf der ersten Jugend schliefen, wo uns zuerst unendliches Sehnen erfüllte. Ich werde für dich sein - von nun an - die schöne Morgang, ... diejenige, von welcher du einst träumtest und auf die ich eifersüchtig war. Du wirst meine Stimme hören in der unsichtbar weinenden Quelle, in dem leichten Winde, der im Schilfe säuselt und in der Tiefe der Wälder seufzt. Abends an deinem Herde wird eine Summe meinen Namen an dein Ohr raunen ... Wundersame Gedanken werden in deinem Herzen aufsteigen ... du wirst einen Duft wahrnehmen von Rosen und Lilien ... und wirst sagen: Sie ist es. MAURICE: Wo aber werde ich mich mit meiner Seelenhüterin beraten? Lucie: Hier, an der Quelle Morganes. Ich werden den Feenturm bewohnen, wo der Hirte mir eine Zufluchtsstätte bereitet
hat, wo Gaid mich bedient. Wenn du zur Quelle Morganes kommen wirst, dann wird von deiner Gegenwart mein Herz sanft erbeben ... und ich werde kommen ...
MAURICE: Aber ich will dich an meinem Herde sehen.
Lucie: Ich werde morgen in das Schloss kommen, ich verspreche es dir, und auf meiner Brust wirst du Flammen sehen - das Zeichen der siegreichen Liebe.
MAURICE: In dir ist eine übernatürliche Macht, die mich bezwingt und mich überzeugt. Du bist wie bedeckt von einer diamantenen Rüstung, und es durchdringt mich das warme Fluidum, das aus deinen Händen strömt, mit einer neuen Seligkeit ...
LuciLe: Es ist der Hauch Morganes ... (sie erhebt sich) Und jeizi gehe hin und tröste Fulgence ... sie braucht dich. Ich aber kehre heim zum Feenturme.
Maurice (erhebt sich gleichfalls): Uns trennen? Schreckliches Wort!
Lucire: Es gibt keine Trennung. Unsere Liebe ist der Weg der Unsterblichkeit! Da, wo es unlösbare Einigung gibt, da beginnt das Jenseits. Versprich mir für dein Werk zu leben.
MAURICE: Ich verspreche es. Und du, versprichst du mir, morgen zu kommen?
LuciLe: Ich gelobe es.
MAURICES: Ich gehorche. Und jetzt, lass mich auf deine Augen drücken ... den Kuss von ehemals ...
Lucie: Der mich, sehend gemacht hat, nachdem er mich geblendet ... Nimm ihn ... Maurice (nachdem er sie geküsst): Der mir die unsterbliche Liebe offenbart hat, ... als du die Augen öffnetest. LuciLe (mit einer gebieterischen Bewegung): Lebe wohl! MAURICE: Auf morgen? Luciue: Ja, auf morgen!
(Maurice betritt den Pfad hinter der Quelle und verschwindet. In demselben Augenblick schwindet der Mondschein. Es ist wieder finstere Nacht.)
7. Auftritt
Lucile, zunächst allein, gegen Ende der Szene die Erscheinung der Quelle. Lucile sinkt auf einen Felsen nieder, das Gesicht mit den Händen bedeckend, wie vernichtet von einer langen Anstrengung, nach einem Augenblick erhebt sie sich und nimmt eine entschlossene Haltung an.
Lucie: Ich habe alles erfüllt, Maurice, ich werde dich nicht mehr sehen mit diesen Augen, deren Tränen und Strahlen alle für dich waren! - Auch du wirst leiden, aber du wirst stärker sein ... durch mich! ... Nein, meine Seele wird die deine nicht mehr verlassen! (Sie nähert sich dem Rande der Quelle, die ein Mondstrahl eben erhellt, und pflückt dort eine Blume.) Eine Schwertlilie, eine rote Lilie! Es wird das versprochene Zeichen sein ... mein letzter Gruß ... (Sie befestigt die Schwertlilie an ihre Brust.) Und jetzt, Morgane, Quelle des ewigen Schlummers und der ewigen Liebe, dein bin ich. Ich rufe dich an zu meiner Befreiung, dich, die an der Schwelle des Todes gebietet. Ich habe den Kelch der Erde getrunken bis zur Neige; ich brauche einen andren "Trank, öffne mir dein Königreich, auf dass ich frei und unberührt eintrete in deine Raumesweiten, um dort zu walten über meinem Seelenbruder, um auf immer seine Seelenhüterin zu bleiben. (Sie kniet nieder, nimmt Wasser in ihre flache Hand und trinkt es.) Den Siegen Maurices! Der ewigen Liebe! (Sie besprengt dreimal den Menhir mit dem Quellwasser.) Und jetzt, Morgane, zu mir! (Sie kauert nieder in der Felsennische neben dem Wasserbassin. Man erblickt sie halb schlummernd unter einem Mondstrahl.) Endlich werde ich schlafen!
(Tiefe Nacht.)
STIMME Gais (die ihr Wiegenlied in der Heide singt): Ein armer Bursch, das Herz war ihm schwer — Er ging in Träumen so vor sich her, Er träumte von einer Fee. «Morgane, Morgane, wie ich dich sch: Ich seh deiner Haare fließendes Gold, Ich seh deine Augen, so groß und hold; - So weh -»
O Herrin süß, o Herrin mein,
Schlaf nicht, schlaf nicht am Brunnen ein. Komm zur Hütte, o komm herein,
Sieh hier den lustigen Feuerschein,
Sieh - die Schafe schlafen so still,
Dich auch ich hüten und decken will. O Herrin süß, o Herrin mein, Zur Schäferhütte, zur Schäferin klein, Lirelalein, O komm zur Hütte - komm herein! Lucie (erhebt sich halb in ihrem Schlummer): Das Schiff! Das Schiff! Es stößt ab! Es schaukelt auf der Flut! Wie schön ist es mit all seinen Segeln! Stimme Gaips (in der Ferne): Horch, im Brunnen tief und weh, Seufzet leis die schöne Fee. Doch wie sie auftaucht zu schimmerndem Scherz Da bricht dem Burschen das klopfende Herz.
O Herrin süß, o Herrin mein, Schlaf nicht, schlaf nicht am Brunnen ein! Ich will dich hüten und decken zu, Will wiegen dein weißes Herz zur Ruh, Komm zur Hütte, o komm herein, Lirelalein, Komm zur Hütte, du Herrin mein. Luciite (in erregtem Schlummer): Der Anker ist gelichtet! Die Segel schwellen! Er fährt in die weite See! Maurice, geh nicht ohne mich! ... (Sie fällt zurück.)
(Tiefe und geheimnisvolle Musik. Die Erscheinung steigt langsam aus der Quelle und richtet sich über derselben auf, beleuchtet von einem übernatürlichen Licht, das aus der Quelle zu steigen scheint. Es ist eine Frauengestalt, drapiert in einem weißen luftigen Gewande. Ein leichter Schleier bedeckt ihr Antlitz. Sie trägt einen Kranz von Verbenen und hält in ihrer Rechten einen Mistelzweig; in ihrer Linken einen Kelch.)
Lucie (sich halb aufrichtend): Wer bist du? Die ERSCHEINUNG: Diejenige, die du angerufen hast. Ich bin Morgane, dein Genius ... ich bin dein besseres Selbst. Luciue: Was bringst du! Die ERSCHEINUNG: Die Befreiung. Nimm diesen Kelch. Luciuk (erhebt sich langsam, nimmt den Kelch mit einer somnambulen Bewegung und leert ihn mit einem Zuge. Dann lässt sie ihn in die Quelle fallen und führt schmerzhaft die Hand ans Herz, mit ersticktem Aufschrei.): Aht Es ist der Tod! Die ERSCHEINUNG: Was dir Leben scheint, ist Tod, und was dir Tod scheint, ist das ewige Leben. Siehe auf mich! (Sie enthüllt ihr Antlitz.) Lucire: O göttliche Schwester! Du siehst mir ähnlich ... doch wieviel schöner! Die ERSCHEINUNG: Ich bin deine unsterbliche Seele!
(Lucile fällt leblos in ihre Nische zurück. Die Erscheinung verschwindet.)
8. Auftritt
Der Hirte Ein fahler Strahl der Morgenröte beleuchtet die Landschaft.
STIMMEN DER NONNEN (die in der Kapelle Matine singen): Ave, stella maris matutina, Ave Maria! Ervoanik (steigt den Pfad unter der Eiche hinab): Mein Gott, wo ist Frau Lucile? Wo ist unsere Herrin? (Er erblickt die Leiche Luciles in der Nische.) Die Unglückliche! Sie ist bei der Quelle Morganes eingeschlafen! (Er nähert sich.) Da ist sie, weiß wie Marmor (er berührt sie) und kalt wie ein Stein ... Kein Hauch mehr ... tot! (Er fällt auf die Knie neben sie und beginnt zu schluchzen.)
(Ein rosa Streifen dringt durch den Nebel am Horizont des Ozeans. In dem lichten Azur funkelt der Morgenstern.)
FERNE STIMMEN: Ave, Matutina! Ave, stella maris!
(Vorhang) [Marie von Sivers’ Übersetzung bricht hier ab. Im Folgenden die Übersetzung von Cecile Conrad-Valnor]
IV. Akt
Szene wie im I. Aki. 1. Auftritt]
Maurice (auf einem Stuhl vor einem Eichentisch. Zu einem Bedienten): Haben Sie an die Tür der Gräfin geklopft? BEDIENTER: Ja, Herr Graf, sehr stark. - Aber die Kammerzofe kam erst beim dritten Mal. MAURICE: Was hatte die Gräfin für eine Nacht? BEDIENTER: Nach ihrem Spaziergang hatte die Gräfin einen Fieberanfall, aber als sie erfuhr, dass der Herr Graf zurückgekommen ist, ging das Fieber zurück. MAURICE: Wünscht die Gräfin, dass ich sie in ihrem Zimmer aufsuche? BEDIENTER: Die Gräfin kleidet sich gerade an und wird gleich hierherkommen. MAURICE: Es ist gut, danke.
(Bedienter ab) Nach allem was geschehen ist, möchte ich lieber Ful gence nicht wiedersehen; aber es muss sein, ist es doch der Wunsch von Lucile. - Schreckliche Nacht, die ich verbrachte, die unheimlichste meines Lebens. Eine Stunde in der Hölle, gefolgt von einem himmlischen Traum. — Aber war das alles Wirklichkeit? Ich zweifelte daran während dieser Schlaflosigkeit, wo sich die Glieder meines Wesens auseinanderwirrten, ohne sich vereinigen zu können. - Wie konnte ich Lucile mitten in der Nacht an der Quelle von Morgane allein lassen? Ah, sie hat mir ihren Willen aufgezwungen durch irgendeine Zauberei; ihr sanfter Abschied hat mir eine Traurigkeit hinterlassen, aber auch eine ganz neuartige Heiterkeit. - Und trotzdem, eine furchtbare Angst bedrückt mein Herz ... ich habe ihr gehorcht und blind geglaubt wie ein Kind! Aber, großer Gott, wird sie kommen, meine Seelenhüterin, die mein Geschick in ihren Händen hält?
[2. Auftritt]
Saint-Riveui (erscheint im Hintergrund ohne von Maurice
gesehen zu werden. Zieht ein Portfeuille aus seiner Tasche): Mein Ziel ist erreicht. Ich beherrsche die Lage. In dieser Zaubertasche liegt meine Zukunft (öffnet sie und wühlt in den Papieren). Hier: Zwei Drittel des Vermögens von Lucile, ihren Landbesitz, ihre verkauften Juwelen. Alles ist mit Londoner Banken geregelt. Ich kann, wie es mir beliebt, die reizendsten Gesichter um mich locken, kann mir einen Palast bauen, ein Spielhaus eröffnen, kann den Großen Sand in die Augen streuen, die Kleinen ruinieren, die Schwachen unterdrücken. Ich kann alles haben, Diener, Tänzerinnen, Soldaten und selbst - Priester! Es gibt nur einen Gott - das Gold - und der Wechsel ist sein Prophet! Man muss ihm einen Tempel bauen; die Dummköpfe, die nicht an ihn glauben sind verrückt! - Und doch, ein Schatten ist in diesem Bild ... Lucile, meine Frau ... die ich geplündert habe ... ist das einzige Wesen, die mir trotzte und mir Furcht einflößt ... Dieser verfluchte Tag, an dem die Bastille gestürmt wurde, Lucile, mit ihrem CassandraAussehen, ihren aufgelösten Haaren, ließ mich schaudern. — Doch je mehr ich sie fürchte, desto mehr möchte ich sie besitzen. Ich, der mit allem und jedem spielt, bin ihr Spielball gewesen. Als ich sie gegen ihren Willen besitzen wollte, hat sie mich mit dem Messer bedroht. Und als ich ihr das Messer wegnahm, haben mich ihre Augen und ihre Stimme erschreckt. Vor einer Herzogin, vor Edelleuten hat sie mich behandelt wie einen Wurm, den sie zertreten kann mit ihrer blöden Prophetie. Aber das kann nicht so weitergehen! Ich wäre ein Feigling, wenn ich sie nicht überwäluigen würde. - Vor meiner Abreise nach London werde ich der Mann meiner Frau sein, und wäre es nur für einmal. Die Ehre verlangt es! - Aber wo ist sie? Maurice muss es wissen; ich werde es schon erfahren (nähert sich Maurice). Guten 'Tag mein Herr Schwager.
Maurice (überrascht, ohne aufzustehen): Ah, Herr von Saint-Riveul? Seit wann sind Sie hier? Ich glaubte Sie in England.
Saint-RivEur: Und ich glaubte Sie in Paris, bei den Jakobinern. Ich bin glücklich Sie im Schloss von Kernoet zu finden, was beweist, dass Sie doch noch aristokratisches Blut in Ihren Adern haben.
MAURICE: Wenn Ihr Blut so rein ist, warum sind Sie nicht in Versailles beim König, der vor Paris und vor Frankreich zittert? Er würde Sie brauchen.
SAINT-RivEUL: Der König gedenkt sich nach Metz zurückzuziehen mit allen wahren Adligen. Ich hoffe dass Sie dazugehören. MAURICE: Ich werde dorthin gehen, wohin mich mein Schicksal ruft, und nicht Sie.
Saint-Riveur: Ich zweifle nicht, dass es Sie weite und merkwürdige Wege führen wird. Aber Sie werden zugeben, dass es mir obliegt, etwas auf Ihre Schwester Lucile aufzupassen; will sagen: auf meine Frau, denn sie ist meine Frau, haben Sie das etwa vergessen? Nie noch habe ich meine legitimen Rechte geltend gemacht, die durch Amt und Kirche bestätigt sind. Sie können nicht leugnen, dass ich für Ihre Schwester ein Mustergatte war, ein wahrer Edelmann. Welche Freiheit hatte sie doch in dem Boudoir der Herzogin und in diesem revolutionären Paris, oder wo es Ihnen beliebte herumzustreifen! Hat sie etwa mit mir Fenelon gelesen oder die Gedichte von Ossian? Hat sie mit mir die Klubs besucht und die Maskenbälle der Gräfin? Ich ließ sie ihre Erfahrungen machen, Sie waren ihr Führer. Aber dieses plötzliche Verschwinden nach der Einnahme der Bastille, diese wahnsinnige Flucht in der Postkutsche, gefolgt von der Ihrigen -, ohne dass ich wusste, was aus meiner Frau geworden war ... die Frau von Kernoet dachte, dass Sie mit der Herzogin gefahren seien. Alle diese Verwickelungen, ich gestehe es Ihnen, sind ein sehr komplizierter Roman. Das sind Dinge, die einen in Abenteuern gewandteren Mann als mich beunruhigen können. — Aber ich wette, sie dürften wissen, wo Lucile ist ich bin sicher, nicht weit von hier, in einem Versteck, dürften Sie die Schlüssel dieses Trianon besitzen? Vertrauen Sie es mir! Ich möchte es wissen vor meiner Abreise. Ich werde diskret sein. Es gibt immer Möglichkeiten sich zu verständigen, mit heimlichen Worten ... zwischen Kavalieren.
MAURICE: Geben Sie acht, Herr von Saint-Riveul! Sprechen Sie nicht in diesem Ton mit mir! Denn ich könnte Ihnen Ihre Maske der
Höflichkeit herunterreißen und Ihnen sagen, was Sie sind! Sie haben meine Schwester ihres ganzen Vermögens beraubt und bringen es jetzt ins Ausland. O, fürchten Sie nichts für Ihr Portfeuille, das Sie so zärtlich an Ihre Brust drücken! Diese Heirat war für Sie nichts als ein gutes Geschäft. Suchen Sie nichts anderes! Sie scheinen meine Geheimnisse zu kennen; ich kenne Ihre besser. Gegen Ihr Versprechen sind Sie in einer Nacht bei meiner Schwester eingedrungen und hätten sie wie ein Straßenmädchen behandelt, ... wenn sie sich nicht mit der Waffe verteidigt hätte. An diesem "Tage, Herr von Saint-Riveul, waren Sie kein Edelmann, sondern ein Lump.
SAint-RivEuL: Für dieses Wort werden Sie mir auf der Stelle Genugtuung geben!
MAURICE: Der Graf von Kernot, Offizier des Königs, Pionier im freien Amerika, Bürger von Frankreich, schlägt sich nicht mit dem Ritter von Saint-Riveul. Er macht mir zu viele Geschäfte dieser Ritter.
Saint-Riveur: Ich weiß jetzt, was ich wissen wollte, Eure dumme Wut macht es mir sicher: Sie sind der Liebhaber von Lucile! Seien Sie es nur! — Sie beleidigen mich und lehnen es ab, sich mit mir zu schlagen! Nun gut, wenn wir als Sieger zurückkehren, werde ich Sie züchtigen, wie Sie es verdienen. Nehmen Sie sich in Acht!
MAURICE: Passen Sie auf, dass die Bürgergarde von Rennes Sie nicht als Spion festnimmt. Ihr Portefeuille spricht nicht für Sie. Und es ist schließlich alles, was von der Gräflichkeit des Grafen Saint-Riveul übrig geblieben ist.
BEDIENTER (aus dem Hintergrund): Ein Gesandter der Stadt Rennes wünscht Herrn von Kernoet zu sprechen. MAURICE: Führen Sie ihn herein. B. Auftritt]
MAURICE: Mit wem habe ich die Ehre?
VoLnEr: Ich heiße Volney, Sergeant der königlichen Marine, Bürger und Anghöriger der Verwaltung von Rennes. Ich erwarb mir den Titel «Beschützer des Volkes», da ich die Bretagne gegen die Soldaten des Hofes verteidigte.
Saint-Riveur: Und ich, mein Herr, wäre ich in Rennes gewesen, hätte Sie von meinen Lakaien durchprügeln lassen.
VOoLnEY: Das wollten auch Ihre edlen Freunde tun. Sie bestellten uns zum Feld von Montmorin unter dem Vorwand mit uns zu verhandeln. Aber wir sind nicht hingegangen. Und so haben sich Ihre Lakaien gegenseitig verprügelt.
Saint-Riveur: O, ich hätte Sie eigenhändig gezüchtigt.
VOoLnEY: Wirklich! Ich hätte sie entwaffnet, und um sie zu bestrafen, hätte ich Sie aus den Händen der Polizei befreit. Das habe ich mit einem der Ihrigen getan. Wir haben uns das Recht erobert, uns mit Ihnen zu schlagen oder Sie laufen zu lassen, wie es uns gefällt. Heute ist die Welt frei! Alle für einen und einer für alle! Omnes omnibus.
Saint-Riveuu (/beiseite]): Nicht zu sagen, wie diese Leute uns beschmutzen mit ihrem Latein. MAURICE: Mein Herr, ich werde sie gern anhören!
VoLnEY: Herr von Kernoet, die Stadt Rennes hat mich mit einer Botschaft beauftragt, (weist auf ein Schriftstiick in seinen Händen) es ist unterzeichnet von unserem obersten Magistrat. Der Vertreter von Rennes in der Nationalversammlung ist eben gestorben, unsere Stadt verlangt einen neuen. Ihr Name ist berühmt, Sie haben in Amerika gekämpft für den König und für Frankreich. Mitglied des alten Adels, waren Sie gerecht und haben die Leiden des Volkes erleichtert. Ihre edle Schwester, Lucile de Kernott hat die Leibeigenschaft auf ihren Besitzungen aufgehoben und hat den Menschen Land und Freiheit gegeben. Sie selbst haben in Paris folgende Worte öffentlich ausgesprochen: «Das neue Frankreich wird nur aus den Ruinen der Bastille hervorgehen.» Diese Prophezeiung hat sich erfüllt. Ihre Worte, Herr Graf, sind immer Ihren Taten vorausgegangen, und Ihre Taten waren die Konsequenz Ihrer Worte. Sie entstammen aus der granitenen Bretagne, der Hervorbringerin großer Herzen und starker Willenskräfte, die sich heute mit dem Vaterland vereinigen (gibt ihm das Schreiben). Würden Sie es übernehmen, die Stadt Rennes in der Nationalversammlung zu vertreten?
MAURICE: Ihre Botschaft ehrt und erfreut mich, Herr Volney. Aber heute habe ich eine sehr ernste Familienangelegenheit zu regeln. Ich kann Ihnen erst später eine Antwort geben. Seien Sie mein Gast für heute, verbleiben Sie im Schlosse. Wenn ich meine Pflicht erfüllt habe, werde ich Ihnen meine Entscheidung mitteilen (begleitet ihn zum Schloss und kehrt zurück).
SAinT-RivEuL: Wer weiß, ob sich nicht Lucile im Park versteckt hat. Ich werde sie überraschen (ab). [4. Auftritt]
MAURICE: Das war der Ruf Frankreichs ... aber wann kommt Lucile? ... FULGENCE: Der Graf von Kernoet wünscht seine Gemahlin zu sprechen? Das wundert mich wirklich. Hier bin ich, was gibt es? MAURICE: Ich bin gekommen, um über sehr wichtige geschäftliche Dinge zu sprechen. FULGENCE: Geschäftliche? Lassen Sie einen Notar kommen. Ich kümmere mich nicht um Ihre Geschäfte. Interessieren Sie sich etwa für die meinigen? MAURICE: Und dann ... habe ich erfahren, dass Sie diese Nacht leidend waren, und wollte wissen, ob es Ihnen besser geht? FULGENCE: Es geht mir ausgezeichnet! Wirklich, Herr Graf, sie kümmern sich um Dinge, die Sie nichts angehen. Sie verlassen mich in Paris, mitten in der Revolution, verschwinden mit Ihrer Herzogin und lassen mich allein in den Straßen umherirren. Und dann, eines schönen Tages erkundigen Sie sich nach meiner Gesundheit - ich verstehe Sie nicht mehr! MAURICE: Sie haben recht, - aber unser Bruch war so tief und vollständig und Sie haben in solcher Art von mir Abschied genommen, dass ich nicht dachte Sie wiederzuschen. Verzeihen Sie mir, ein Rest unserer Freundschaft zwang mich, Sie noch einmal zu sprechen. Aber beruhigen Sie sich, ich bin nur noch für einen Tag hier! FULGENCE: Ah, Sie wollen sie wiedertreffen? MAURICE: Vielleicht.
FULGENCE: Grausamer, undankbarer Mensch! Für deine schöne Herzogin mit ihrem kalten Lächeln, den falschen Augen, konntest du die vergangenen Wochen, die du mit mir in diesem Schloss verlebt hast, vergessen deine Schwüre und deine Leidenschaft! Erinnerst dich nicht mehr unseres Spaziergangs ans Meer, drei Tage vor unsere Hochzeit? Du weißt nicht mehr, wie wir uns in der wilden Grotte verloren haben, derselben, in der ich beinahe gestorben wäre heute Nacht, als ich dem Licht deines Schiffes nachging, das dich mit deiner neuen Geliebten entführen sollte. - Damals war ich nicht allein! Du hieltest mich in deinen Armen und küsstest mich. Den nächsten Tag verbrachtest du in Paris und schriebst mir von dort einen Brief ... Ah, hast du den vergessen ... konntest du? ... Heute würdest du erstaunt sein, was darin steht. (Zieht einen Brief heraus) Nimm, lies diesen Satz ... von dir unterschrieben ... lies ihn doch ... nur Spaßes halber, lies ihn!
Maurice (nimmt den Brief, liest zögernd): «Wie könnte ich ohne dich leben? Die Natur hat deine Seele an einem Tage des Stolzes gebildet und deinen Körper an einem Tage der Herrlichkeit ...» Ich log nicht, als ich das schrieb, es war richtig. Ja, Fulgence, Sie sind heute noch schöner als damals ... Aber ich vergaß, den Brief weiter zu lesen (liest:) «Und meine Wünsche sind nur Sklaven deines Willens ...» So etwas habe ich schreiben können?! Nun, das will ich nicht mehr! Ich will mein eigenes Leben leben, unter der Herrschaft meiner Gedanken, und Sie wollten mich zwingen unter Ihre stolzen Launen, Ihre mondänen Fantasien. Sie sind die despotische Tochter einer stürzenden Welt, und ich bin das Kind einer neuen, sich erhebenden Welt. Sie gehören zum Hofe, ich zu Frankreich. Wir können nicht zusammen gehen.
FULGENGE (ironisch):
Ziehen Sie eine Frau vom Lande vor? Möchten Sie eine Dienerin haben? Folgt sie Ihnen wohl wie eine Sklavin, die Frau, die Sie mir vorziehen?
MAURICE:
Denkt man daran zu gehorchen oder zu befehlen, wenn sich die Herzen auf das gleiche Ziel richten, wenn die Seelen eines sind? Wie sie mich inspiriert, ich suchte es, ohne es zu wissen; was ich mit grenzenloser Energie anstrebte, war ihr unausgesprochener Traum. Was der eine dachte, der andre tat es. Wenn sich der eine opferte für den andern, vervielfachte er seine Kräfte. Wir gingen Hand in Hand einem immer wachsenden Lichte entgegen, zu immer neuen Horizonten, und der eine wird den andern nur übertreffen, um ihn höher fortzureißen.
FuLGenc: Wird sie dir überall hin folgen, deine maskierte Frau? Für dich ihren König verraten und Frankreich verlassen?
MAURICE:
Hunderttausend Könige für den Atlantik ... und Frankreich für eine neue Welt!
FULGENCE:
Und du, würdest du dasselbe für sie tun?
MAURICE:
Mit Freuden und unbedenklich. Sie können nicht begreifen, was sie mir bedeutet. Der Inbegriff meiner Wünsche, der Stern meiner Hoffnungen. Außerdem, ich erwarte sie.
FULGENCET: Sie wird hierherkommen?
MAURICE:
Sie hat es mir versprochen zu kommen, und sie hält ihre Versprechen. Wenn sie nicht käme müsste ich sterben.
FULGENGE (nervös): Also, ist das Schiff bereit! Heute Abend soll es losgehen? ... Höre Maurice, mache mich nicht wahnsinnig, noch ist es Zeit ein großes Unglück zu verhindern. Wenn du mich geliebt hast, wenn du mich noch liebst - vielleicht würde ich dir bis ans Ende der Welt folgen!
MAURICE: Jeizt ist es zu spät.
FULGENGE: Zu spät, so! Wisse, dass ich deine maskierte Frau gesehen habe. Das hat sie dir sicher nicht gesagt. Ich habe sie gesehn in dem Augenblick, da sie sich in deine Arme warf. Ich stand ihr Aug in Auge gegenüber und hielt ihr diesen infamen Verrat vor. Sie wagte es nicht, mit einem Worte zu antworten. Sie musste sich krampfhaft am Kamin festhalten mit ihrer schwarzen lügenhaften Maske und sie zitterte wie ein Blatt. - Ich habe sie verflucht und, was mich tröstet; dieser Fluch wird auch auf dich fallen. Ah, Elende, die ihr seid, alle beide, - ihr habt einen Dämon aus mir gemacht! — Nichts rührt ihn, nichts ergreift ihn; er ist aus Erz. Welche übermenschliche Macht hat diese Frau, selbst aus der Entfernung? - Muss ich ihm mein Geheimnis enthüllen? Ja, es ist meine letzte Hoffnung. Maurice! ... Was würdest du sagen, wenn du einen Sohn hättest? - Würdest du ihn auch verlassen, so wie du mich verlässt?
Maurice (ohne sie anzusehen, wie in Gedanken): Einen Sohn? Auch ich habe mir einen Sohn gewünscht. Er würde das Kind meines Traumes und der Erfüller meiner innersten Gedanken werden. - Das Werk, das mir das Schicksal zu erfüllen verwehrt, er würde es weiterführen!
FULGENGE: Und wenn ich dir sage, dass dieser Sohn deines 'Traumes, dieses Pfand deiner früheren Liebe, deren Keim ich in meinem Herzen trage, dass er lebt! MAURICE: Ist das wahr?
FULGENCE: So wahr, wie ich dich - trotz deines Verrates - liebe, mehr als irgendeinen Menschen auf dieser Erde (Maurice reicht ihr seine Hände). Nun, also, wirst du mich jetzt mehr lieben, als die andere? - Ah, ich bin sicher, wenn Lucile hier wäre, sie wäre auf meiner Seite.
Maurice (erschauert beim Namen Lucile): Warum sprichst du von Lueile?
FULGENCE: War sie es nicht, die mich dir gegeben hat? Und ist sie nicht die Hüterin deiner Seele, wie du sagst?
MAURICE: Ja, das ist wahr ...
FULGENCE: Warum antwortest du nicht? Denkst du nur immer an die andere?
MAURICE: Die andere? Ja. - Warum kommt sie nicht? Hat sie ihren Schwur gebrochen? (visionär) Und doch ist es mir, als ob ich sie vor mir sähe, - so schön, so majestätisch.
FULGENGE (mit Angst): Nun, ... wenn sie käme, deine geheimnisvolle Geliebte ... würdest du mich verlassen, um ihr zu folgen? ... Du würdest mich und deinen Sohn, den ich unter dem Herzen trage im Stich lassen?
Maurice (nach innerem Kampfe): Ja, wenn sie es will ... denn sie beherrscht meine Seele!
FULGENCE: Dann also Adieu, Herr Graf von Kernoet. Adieu für immer, dieses Mal. Ich folge Ihnen nicht mehr, weder Ihnen noch Ihrem Schiff. Seien Sie glücklich. Ich werde leben für meinen Sohn (will abgehen). (Trauergesang aus der Ferne, der sich nähert. Stimme der Bauern hinter der Szene.)
TRAUERGESANG: Requiem dona eis aeternam — Et lux perpetua! ... Maurice (fährt auf): Woher kommt dieser Gesang? Ein Trauergesang in unserer Nähe! FULGENCE (zurückkehrend): Welche schauerlichen Klänge! Sie lassen mir das Herz erstarren. MAURICE: O Gott, was ist geschehen? Eine Todeskälte ergreift mich! FULGENCE: Wenn ich die maskierte Frau kommen sähe, würde mir auch schaudern ... Ein Trauerzug ... eine Tote auf einer Bahre ... ganz mit Blumen bedeckt ... Wer ist es?
5. Auftritt]
Vier Bauern tragen Lucile auf einer Bahre herein, sie ist ganz mit Farnkraut und Blumen bedeckt. Hinter ihnen Evoanik, Ulliac, Gaid weinend. Die Bahre wird abgesetzt, alle knien
nieder bis auf Ervoanik.
MAURICE (erst wie versteinert, dann auf die Bahre zu,
erkennt seine Schwester): Lucile! Meine Geliebte! Bist du es? Ist es möglich ... du schläfst ja nur! (wirft sich auf die Knie, küsst sie) Lucile, Lucile, wach auf! - Kalt wie Marmor ... tot. - Sie hatte versprochen zu kommen ... und sie ist gekommen ... so ist sie gekommen! Auf ihrer Brust, auf ihrem nie erkaltenden Herzen, hier diese Lilie, das Zeichen sieghafter Liebe! ... Lucile, meine Lucile! ... So hältst du dein Versprechen? ... (beginnt zu schluchzen, dann zu Ervoanik) Wie ist sie gestorben? Sage es mir Ervoanik!
ERVOANIK!: Sie ist eingeschlafen an der Quelle von Morgane ... Ich hatte sie gewarnt, dass man nicht mehr erwacht, wenn man an der verzauberten Quelle schläft. - Sie wollte sterben ... Warum? Gott weiß es ... Doch ich, ... du weißt wohl mein Gebieter, dass ich sie nicht überleben werde, meine liebe, liebe Herrin ... die Königin unseres blumigen Landes ... (sinkt langsam an der Bahre nieder) Morgan, ... Morgane ... ruft auch mich (stirbt).
MAURICE: O treuer Hirte, du hast den besseren Teil erwählt! ... Wie beneide ich dich! O, könnte ich dir folgen! ... Hier diese rote Lilie, diese heilige Fackel, die unsterbliche Liebe von Lucile zwingt mich zu leben. Ich habe es meiner Seelenhüterin versprochen.
Gaip (zu Ulliac): Ich habe es dir gesagt, dass sie eine Fee war, meine gute Herrin. Sie hat es mir im Schlafe vorausgesagt, sie flüsterte: «Mein Leichentuch wird dein Brautschleier werden.» (weinend auf die Knie zwischen den Toten)
Urriac (wirft seine Matrosenmütze fort): Keine Fahrt mehr mit dem Smaragd! Keine Freude mehr! Die Herrin des Schiffes ist tot (kniet neben Gaid nieder). Bete für uns, unsre liebe Frau von Kernoßt.
FULGENGE (die mit großer Bewegung der Szene gefolgt ist,
wirft sich Maurice in die Arme): Lucile tot? Warum? Warum? ... Kannst du mir dieses Rätsel lösen?
MAURICE: Die Lösung des Rätsels ... willst du sie wissen? FULGENGE: Ja.
MAURICE: Nun, es war nicht die Herzogin, die ich liebe.
FULGENCE: Die maskierte Frau, die du küsstest?
MAURICE: Es war meine Schwester ... nicht meine Schwester, denn sie war nicht die Tochter meines Vaters.
FOLGENDE: Die, die mit dir geflohen ist?
MAURICE: Es war Lucile!
FULGENGE (erschrocken): Wie ... sie und du?
MAURICE: Nein, niemals ... ich wollte es, ich ... aber sie wollte nicht .... deshalb ist sie gestorben!
FULGENCE (mit ersticktem Schrei): Ah!
MAURICE: Gestorben damit ich mit dir lebe! ... Ja, gestorben für uns! ... (blickt auf die Tote) Schön wie eine Geliebte und rein wie eine Heilige! Sie ist es, und sie ist es nicht. Ihr unbewegtes Gesicht ist schon nicht mehr als ein kaltes Abbild ihres lebendigen Antlitzes, das in mir lebt. Deine Seele hat sich aufgeschwungen, Lucile, du bist durch diese Welt gewandert wie ein geheimnisvoller Engel. Alle, die dich sahen, liebten dich, aber niemand hat dich erkannt ... und dir nach zieht sich ein leuchtender Pfad ...
FULGENGE: Auch ich muss sagen, ich habe diese große Seele nicht erkannt. Und jetzt ist sie ins Nichts zurückgekehrt. MAURICE:
Nein, so ist es nicht! Solche Seelen können nicht sterben. Sie atmet, sie strahlt in der ätherischen Welt und ich fühle ihre Liebe, mächtiger denn je, bis in die Tiefe meines Herzens erzittern. Eines Tages, Fulgence, wird es dir klar sein: Man besitzt im Ewigen, was man im Zeitlichen verloren hat. (Zu den Bauern) Ich allein will die Totenwache bei Lucile von Kernoät halten. Bringt ihren Körper in die Kapelle. Ich werde gleich nachkommen.
(Man tut es. Der Körper von Ervoanik wird ins Dorf
gebracht.)
[6. Auftritt]
VoLnEY (kommt herbei): Herr Graf. Der große Verlust, der sie getroffen hat, trifft auch meine Heimatstadt, und zwingt mich, Sie jetzt zu verlassen.
MAURICE: Einen Augenblick noch. Sagen Sie der Stadt Rennes, dass ich ihre Berufung annehme.
VoLner: Das ist ein Sieg, das ist eine Freude für die vereinigte Bretagne. Sie werden die Jugend Frankreichs an den Altar des Vaterlandes führen!
MAURICE: Mein Wort als Bretone bestätigt mein Versprechen. Hier meine Hand Herr Volney.
(Volney ab.) Saint-RiveuL (kommt aus dem Park): Zu welchem Frankreich gehören Sie nun, Herr von Kernot, zum alten oder zum neuen? - Zum Adel oder zu den Bauern?
MAURICE: Zu beiden. Neue Zeiten, neue Pflichten. Ich gehöre zum wahren Adel.
Saint-Riveur: Also doch ein Sansculotte. Der Adel erschafft sich nicht von heute auf morgen. Er ist ein Kind der Zeit.
MAURICE: Es gibt einen ewigen Adel, denjenigen der Seele und des Herzens. Dieser hat die Pflicht zu handeln und das Recht zu gebieten, wenn der Sturm über ein Volk hereinbricht. Unglückliches Volk, das solchen Adel nicht hätte und seinem Zeichen nicht folgte. Ich gehe nach Paris, um Frankreich und die Freiheit zu verteidigen - und wäre es gegen sich selbst!
FULGENCE: Im Namen von Lucile: Willst du mich, Maurice? Dann folge ich dir überall hin!
MAURICE (#marmt sie): Fulgence, es ist mir, als sähe und besitze ich dich zum ersten Male!
SAINT-RivEUL: Wie entzückend. Aber Ihre Köpfe werden bald unter der Guillotine fallen.
MAURICE: Besser für eine Wahrheit zu sterben als für Chimären zu leben!
SAINT-RivEUL: Ja, meine schönen Verliebten, ich werde das erste Schiff nach England nehmen, aber vor der Abreise möchte ich meine Frau sehen. FuLGence (leise zu Maurice): Er weiß nichts?
Mauice (in gleicher Weise): Lass mich sprechen ... (zu Saint-Riveul) Ist Ihnen wirklich dieser Gedanke gekommen?
Saint-RiveEur: Jawohl, sie ist doch meine Frau, trotz allem!
MAURICE: Nun gut, nie kam ein Gedanke zu besserer Zeit. In diesem Augenblick ist Frau von Saint-Riveul dort in der Kapelle. Sie erwartet Sie. - Gehen Sie! Gehen Sie!
Saint-Riveur: Was haben Sie? (geht unsicher zur Kapelle)
FULGENCE: Was wird er machen?
MAURICE: Fürchte nichts! Er wird einen Schock bekommen, den er bis zum Ende seiner Tage fühlen wird.
FULGENCE: Jetzt kommt er wieder heraus!
Saint-Riveur (wie ein Wahnsinniger, ohne Maurice und
Fulgence zu bemerken): Lucile! Sie ist es, unter den Blumen! Sie scheint zu schlafen .... schön ... wie am Tage, da ich sie überraschen wollte ... aber eine Leiche ... Und in ihrer Hand ... meinte ich zu sehen ... (Die Hände zum Herzen, mit einem Schrei) Ha! - Aber sie kann mich nicht mehr schlagen ... sie ist tot ... und ich, ich bin lebendig, wirklich lebendig (lacht) ha, ha, ha, doch welcher Wahnsinn! ... in ihrer Hand, so weiß wie Wachs ... habe ich das Messer gesehen ... und diese Hand erhob sich, als ich näher kam (schreit) ha, bin ich wahnsinnig? Tote können Lebende doch nicht bedrohen ... Diese Lucile, die ich mein ganzes Leben lang begehrt habe und nie besaß, ... diese Lucile macht mir Angst noch jetzt? Die Seele, ja die Seele, kann sie denn in der Luft umherschweben und uns verfolgen ... und uns ermorden?! Die Seele, ... wenn sie existierte ... und die Materie, wäre sie nichts? ...Was man sieht, was man anfassen kann ... mein Körper, ich, ich, ich, ... wäre das nichts? Ha, ha, ha, welcher Wahnsinn! Ich bin stark, ich, ich, ich habe allen getrotzt, ich bin aus Eisen, - ... esgibt Spielhäuser und Mädchen in London ... Die existieren, die bewegen sich, die lachen ... weit weg von einer weißen Leiche und von Friedhofsblumen (ein Schrei) ha, das Messer ... (greift sich ans Herz). Aber nein, sie ist nicht mehr da, ich bin außerhalb der Kapelle. Wie blöde ich bin! Und dann, ... ich vergaß ... (zieht sein Portfenille heraus und drückt es in den Händen) Das, das, existiert! ... Das ist Materie ... Gold, ja, lebendiges Gold! ... jetzt auf nach England, ... Gold, ... ja, Gold! (flieht durch den Park).
[7. Auftritt]
FULGENCE: Schreckliches Schauspiel!
MAURICE: Die Luft ist gereinigt, da er weg ist. Er wird nicht wiederkommen. Vergessen wir ihn, er ist tot noch vor dem Grabe, - er ist schon nicht mehr.
CHOR DER MÄDCHEN IN DER KAPELLE: Ave, stella maris Ave Maria!
MAURICE: Hörst du diesen reinen Gesang, er schwebt über allem und scheint uns in höhere Sphären zu rufen? (Sie nimmt seine Hand.) FULGENCE: Maurice bin ich jetzt deine Frau? MAURICE: Ja, vor Gott und vor Lucile. FULGENCE: Beten wir, dass wir lieben können wie Sie! ... MAURICE: Ja, um leben zu können und sterben zu können wie die Seelenhüterin!
(Der Vorhang fällt bei wiederholtem Ave-Gesang.)
