Posthumous Essays and Fragments
1879-1924
GA 46
Note 4873, undated, circa 1922
Automated Translation
123. The Fundamental Conflict Between the World Views of the Occident and the Orient
This weekly journal has often pointed out the profound conflict between the world views of the Occident and the Orient. How understanding between the two cultural areas will come about depends on whether there is real insight into this contrast. And this understanding is necessary for the further development of humanity on earth. Economic cooperation can only develop on the basis of spiritual understanding. For this understanding, it is not necessary for one area of the world to adopt the spiritual character traits of the other. Only fanaticism could demand that. Understanding can only be achieved by having an unprejudiced view of the other and working together with him, without underestimating his peculiarities or wanting to suppress them.
The contrast is evident in a wide variety of fields. It is particularly pronounced in the views that people on both sides have of the human soul. The Orient has a culture that is based entirely on the inner experience of the soul. In the soul, the world reveals itself in its truthfulness and reality. Wisdom is not knowledge of anything. It is essence. It is life. And its life speaks from the depths of the human soul. The outer nature has only a value as the womb of the soul. Western culture has developed an eye for the intrinsic value of nature. The soul gives itself its value by penetrating the laws and secrets of nature. Wisdom is the reflection of these laws and secrets.
But all this is only the surface of the soul life. The soul does not reveal its essence through ideas, but through the emotional experiences that arise from its depths. There are undercurrents of the soul. The consciousness has no clear ideas about them, only more or less dark moods. But these form the basic coloration of the human being. The person feels them as his or her state of mind. He experiences them in their effect on the conscious soul life.
From this point of view, both the will and the thought are different for the Oriental than for the Occidental. For the feelings of the Oriental, something similar to the air we breathe is contained in the thought. The senses are [breaks off]
123. Gegensatz in den Weltanschauungen des Abend- und Morgenlandes
Auf den tiefgehenden Gegensatz in den Weltanschauungen des Abend- und Morgenlandes ist in dieser Wochenschrift schon öfter hingedeutet worden. Von einer wirklichen Einsicht in diesen Gegensatz wird es abhängen, wie die Verständigung zwischen den beiden Kulturgebieten zustande kommen wird. Und diese Verständigung ist notwendig für die Weiterentwicklung der Erdenmenschheit. Deren wirtschaftliches Zusammenarbeiten kann sich nur auf der Grundlage des geistigen Verstehens entfalten. Zu diesem Verstehen ist nicht notwendig, dass das eine Erdgebiet sich die geistigen Charaktereigenschaften des andern aneigne. Das könnte nur der Fanatismus fordern. Verstehen kann nur sein, den vorurteilslosen Blick für die Art des Andern [zu] haben, und mit ihm zusammenzuwirken, ohne seine Eigenheiten zu unterschätzen oder sie unterdrücken zu wollen.
Der Gegensatz tritt auf den verschiedensten Gebieten zutage. Besonders stark ausgeprägt ist er in den Auffassungen, die man auf beiden Seiten von der menschlichen Seele hat. Das Morgenland hat eine Kultur, die ganz auf dem Innen-Erleben der Seele beruht. In der Seele offenbart sich die Welt in ihrer Wahrhaftigkeit und Wirklichkeit. Die Weisheit ist nicht Wissen von irgendetwas. Sie ist Wesenheit. Sie ist Leben. Und ihr Leben spricht aus den Untergründen der Menschenseele. Die äußere Natur hat nur einen Wert als der Mutterschoß des Seelischen. Die abendländlische Kultur hat den Blick für den Eigenwert der Natur entwickelt. Die Seele gibt sich ihren Wert dadurch, dass sie in die Gesetze und Geheimnisse der Natur eindringt. Die Weisheit ist der Abglanz dieser Gesetze und Geheimnisse.
Doch dies alles ist nur die Oberfläche des Seelenlebens. Das Seelische offenbart sein Wesen nicht durch die Vorstellungen, sondern durch die aus seinen Tiefen heraufschlagenden Gefühlserlebnisse. Es gibt Unterströmungen des Seelischen. Von ihnen hat das Bewusstsein nicht klare Vorstellungen, sondern nur mehr oder weniger dunkle Stimmungen. Diese aber bilden die Grundfärbung des menschlichen Wesens. Der Mensch empfindet sie als seine Seelen-Verfassung. Er erlebt sie in der Wirkung auf das bewusste Seelenleben.
Von diesem Gesichtspunkte aus angesehen ist sowohl der Wille wie auch der Gedanke etwas anderes für den Morgenländer als für den Abendländer. Für das Gefühl des Morgenländers ist im Gedanke etwas Ähnliches wie die Atemluft. Die Sinne sind [bricht ab]