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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Die Rätsel der Philosophie
GA 18

Nachklänge der Kantschen Vorstellungsart

[ 1 ] Persönlichkeiten, welche durch Sich-Versenken in die Hegelsche Ideenart eine Sicherheit suchten für das Verhältnis einer Vorstellung über das selbstbewußte Ich zu dem allgemeinen Weltbilde, gibt es in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts nur wenige. Einer der Besten ist der zu früh verstorbene Paul Asmus (1842-1876), der 1873 eine Schrift veröffentlichte «Das Ich und das Ding an sich». Er zeigt, wie in der Art, in der Hegel das Denken und die Ideenwelt ansah, ein Verhältnis des Menschen zum Wesen der Dinge zu gewinnen ist. Er setzt in scharfsinniger Weise auseinander, daß im Denken des Menschen nicht etwas Wirklichkeitsfremdes, sondern etwas Lebensvolles, Urwirkliches gegeben ist, in das man sich nur zu versenken braucht, um zum Wesen des Daseins zu kommen. Er stellte in lichtvoller Weise den Gang dar, den die Weltanschauungsentwickelung genommen hat, um von Kant, der das «Ding an sich» als etwas dem Menschen Fremdes, Unzugängliches angesehen hatte, zu Hegel zu kommen, welcher meinte, daß der Gedanke nicht nur sich selbst als ideelle Wesenheit, sondern auch das «Ding an sich» umspanne. Solche Stimmen fanden aber kaum Gehör. Am schärfsten kam dies in dem Ruf zum Ausdruck, der seit Eduard Zellers Heidelberger Universitätsrede «Über Bedeutung und Aufgabe der Erkenntnistheorie» in einer gewissen philosophischen Strömung beliebt wurde: «Zurück zu Kant». Die teils unbewußten, teils bewußten Vorstellungen, die zu diesem Ruf führten, sind etwa diese: Die Naturwissenschaft hat das Vertrauen zu dem selbständigen Denken erschüttert, das von sich aus zu den höchsten Daseinsfragen vordringen will. Wir können uns aber doch bei den bloßen naturwissenschaftlichen Ergebnissen nicht beruhigen. Denn sie führen über die Außenseite der Dinge nicht hinweg. Es muß hinter dieser Außenseite noch verborgene Daseinsgründe geben. Hat ja doch die Naturwissenschaft selbst gezeigt, daß die Welt der Farben, Töne usw., die uns umgibt, nicht eine Wirklichkeit draußen in der objektiven Welt ist, sondern daß sie hervorgebracht ist durch die Einrichtung unserer Sinne und unseres Gehirns. (Vgl. oben S. 422ff.) Man muß also die Fragen stellen: Inwiefern weisen die naturwissenschaftlichen Ergebnisse über sich selbst hinaus zu höheren Aufgaben? Welches ist das Wesen unseres Erkennens? Kann dieses Erkennen zur Lösung dieser höheren Aufgaben führen? Kant hatte in eindringender Weise solche Fragen gestellt. Man wollte sehen, wie er es gemacht hat, um ihnen gegenüber Stellung zu nehmen. Man wollte in aller Schärfe Kants Gedankengänge nachdenken, um durch Fortführung seiner Ideen, durch Vermeidung seiner Irrtümer einen Ausweg aus der Ratlosigkeit zu finden.

[ 2 ] Eine Reihe von Denkern mühte sich ab, von Kantschen Ausgangspunkten aus zu irgendeinem Ziele zu kommen. Die bedeutendsten unter ihnen sind Hermann Cohen (1842 bis 1918), Otto Liebmann (1840-1912), Wilhelm Windelband (1848-1915), Johannes Volkelt (1848-1930), Benno Erdmann (1851-1921). Es ist viel Scharfsinn in den Schriften dieser Männer zu finden. Eine große Arbeit ist daran gewendet worden, die Natur und Tragweite der menschlichen Erkenntnisfähigkeit zu untersuchen. Johannes Volkelt, der, insofern er als Erkenntnistheoretiker sich betätigt, ganz in dieser Strömung lebt, auch selbst ein gründliches Werk über Kants Erkenntnistheorie (1879) geliefert hat, in dem alle diese Vorstellungsart bestimmenden Fragen erörtert werden, hat 1884 beim Antritt seines Lehramtes in Basel eine Rede gehalten, in welcher er ausspricht, daß alles Denken, das über die Ergebnisse der einzelnen Tatsachenwissenschaften hinausgeht, den «unruhigen Charakter des Suchens und Nachspürens, des Probierens, Abwehrens und Zugestehens an sich» haben müsse; «es ist ein Vorwärtsgehen, das doch wieder teilweise zurückweicht; ein Nachgeben, das doch wieder bis zu einem gewissen Grade zugreift». (Volkelt, Über die Möglichkeit einer Metaphysik, Hamburg und Leipzig, 1884.) - Scharf nuanciert erscheint die neuere Anknüpfung an Kant bei Otto Liebmann. Seine Schriften «Zur Analysis der Wirklichkeit» (1876), «Gedanken und Tatsachen» (1882), «Klimax der Theorien» (1884) sind wahre Musterbeispiele philosophischer Kritik. Ein ätzender Verstand deckt da in genialischer Weise Widersprüche in den Gedankenwelten auf, zeigt Halbheiten in sicher erscheinenden Urteilen und rechnet gründlich den einzelnen Wissenschaften vor, was sie Unbefriedigendes enthalten, wenn ihre Ergebnisse vor ein höchstes Denktribunal gestellt werden. Liebmann rechnet dem Darwinismus seine Widersprüche vor; er zeigt seine nicht ganz begründeten Annahmen und seine Gedankenlücken. Er sagt, daß etwas da sein muß, das über die Widersprüche hinwegführt, das die Lücken ausfüllt, das die Annahmen begründet. Er schließt einmal die Betrachtung, die er der Natur der Lebewesen widmet, mit den Worten: «Der Umstand, daß Pflanzensamen trotz äonenlangen Trockenliegens seine Keimfähigkeit nicht verliert, daß zum Beispiel die in ägyptischen Mumiensärgen aufgefundenen Weizenkörner, nachdem sie Jahrtausende hindurch hermetisch begraben gewesen sind, heute in feuchten Acker gesät aufs vortrefflichste gedeihen; daß ferner Rädertierchen und andere Infusorien, die man ganz vertrocknet aus der Dachrinne aufgesammelt hat, bei Befeuchtung mit Regenwasser neubelebt umherwimmeln; ja daß Frösche und Fische, die im gefrierenden Was zu festen Eisklumpen erstarrt sind, bei sorgfältigem Auftauen das verlorene Leben wiedergewinnen; - dieser Umstand läßt ganz entgegengesetzte Deutungen zu... . Kurz: jedes kategorische Absprechen in dieser Angelegenheit wäre plumper Dogmatismus. Daher brechen wir hier ab.» Dieses «Daher brechen wir hier ab» ist im Grunde, wenn auch nicht dem Worte, doch dem Sinne nach, der Schlußgedanke jeder Liebmannschen Betrachtung. Ja, es ist das Schlußergebnis vieler neuer Anhänger und Bearbeiter des Kantianismus. - Die Bekenner dieser Richtung kommen nicht darüber hinaus, zu betonen, daß sie die Dinge in ihr Bewußtsein aufnehmen, daß also alles, was sie sehen, hören usw. nicht draußen in der Welt, sondern drinnen in ihnen selbst ist, und daß sie folglich über das, was draußen ist, nichts ausmachen können. Vor mir steht ein Tisch, - sagt sich der Neukantianer. Doch nein, das scheint nur so. Nur wer naiv ist in bezug auf Weltanschauungsfragen, kann sagen: Außer mir ist ein Tisch. Wer die Naivität abgelegt hat sagt sich: Irgend etwas Unbekanntes macht auf mein Auge einen Eindruck; dieses Auge und mein Gehirn machen aus diesem Eindruck eine braune Empfindung. Und weil ich die braune Empfindung nicht nur in einem einzigen Punkte habe, sondern mein Auge hinschweifen lassen kann über eine Fläche und über vier säulenartige Gebilde, so formt sich mir die Braunheit zu einem Gegenstand, der eben der Tisch ist. Und wenn ich den Tisch berühre, so leistet er mir Widerstand. Er macht einen Eindruck auf meinen Tastsinn, den ich dadurch ausdrücke, daß ich dem vom Auge geschaffenen Gebilde eine Härte zuschreibe. Ich habe also auf Anlaß irgendeines «Dinges an sich», das ich nicht kenne, aus mir heraus den Tisch geschaffen. Der Tisch ist meine Vorstellung. Er ist nur in meinem Bewußtsein. Volkelt stellt diese Ansicht an den Beginn seines Buches über Kants Erkenntnistheorie: «Der erste Fundamentalsatz, den sich der Philosoph zu deutlichem Bewußtsein zu bringen hat, besteht in der Erkenntnis, daß unser Wissen sich zunächst auf nichts weiter als auf unsere Vorstellungen erstreckt. Unsere Vorstellungen sind das Einzige, das wir unmittelbar erfahren, unmittelbar erleben; und eben weil wir sie unmittelbar erfahren, deshalb vermag uns auch der radikalste Zweifel das Wissen von denselben nicht zu entreißen. Dagegen ist das Wissen, das über mein Vorstellen - ich nehme diesen Ausdruck hier überall im weitesten Sinne, so daß alles physische Geschehen darunter fällt - hinausgeht, vor dem Zweifel nicht geschützt. Daher muß zu Beginn des Philosophierens alles über die Vorstellungen hinausgehende Wissen ausdrücklich als bezweifelbar hingestellt werden.» Otto Liebmann verwendet diesen Gedanken auch dazu, die Behauptung zu verteidigen: Der Mensch könne ebensowenig wissen, ob die von ihm vorgestellten Dinge außerhalb seines Bewußtseins nicht seien, wie er wissen könne, ob sie seien. «Gerade deshalb, weil in der Tat kein vorstellendes Subjekt aus der Sphäre seines subjektiven Vorstellens hinaus kann; gerade deshalb, weil es nie und nimmermehr mit Überspringung des eigenen Bewußtseins, unter Emanzipation von sich selber, dasjenige zu erfassen und zu konstatieren imstande ist, was jenseits und außerhalb seiner Subjektivität existieren oder nicht existieren mag; gerade deshalb ist es ungereimt, behaupten zu wollen, daß das vorgestellte Objekt außerhalb der subjektiven Vorstellung nicht da sei.» (O. Liebmann, Zur Analysis der Wirklichkeit, S. 28.)

[ 3 ] Sowohl Volkelt wie Liebmann sind aber doch bemüht, nachzuweisen, daß der Mensch innerhalb seiner Vorstellungswelt etwas vorfindet, das nicht bloß beobachtet, wahrgenommen, sondern zu dem Wahrgenommenen hinzugedacht ist, und das auf das Wesen der Dinge wenigstens hindeutet. Volkelt ist der Ansicht, daß es eine Tatsache innerhalb des Vorstellungslebens selbst gibt, die hinausweist über das bloße Vorstellungsleben, auf etwas, das außerhalb dieses Vorstellungslebens liegt. Diese Tatsache ist die, daß sich gewisse Vorstellungen dem Menschen mit logischer Notwendigkeit aufdrängen. In seiner 1906 erschienen Schrift «Die Quellen der menschlichen Gewißheit» liest man (S.3) die Volkeltsche Ansicht: «Fragt man, worauf die Gewißheit unseres Erkennens beruht, so stößt man auf zwei Ursprünge, auf zwei Gewißheitsquellen. Mag auch ein noch so inniges Zusammenwirken beider Gewißheitsweisen nötig sein, wenn Erkenntnis erstehen soll, so ist es doch unmöglich, die eine auf die andere zurückzuführen. Die eine Gewißheitsquelle ist die Selbstgewißheit des Bewußtseins, das Innesein meiner Bewußtseinstatsachen. So wahr ich Bewußtsein bin, so wahr bezeugt mir mein Bewußtsein das Vorhandensein gewisser Verläufe und Zustände, gewisser Inhalte und Formen. Ohne diese Gewißheitsquelle gäbe es überhaupt kein Erkennen; sie gibt uns den Stoff, aus dessen Bearbeitung alle Erkenntnisse allererst hervorgehen. Die andere Gewißheitsquelle ist die Denknotwendigkeit, die Gewißheit des logischen Zwanges, das sachliche Notwendigkeitsbewußtsein. Hiermit ist etwas schlechtweg Neues gegeben, das sich aus der Selbstgewißheit des Bewußtseins unmöglich gewinnen läßt.» Über diese zweite Gewißheitsquelle spricht sich Volkelt in seiner früher genannten Schrift in folgender Art aus: «Die unmittelbare Erfahrung läßt uns in der Tat Erleben, daß gewisse Begriffsverknüpfungen eine höchst eigentümliche Nötigung bei sich führen, welche von allen anderen Arten der Nötigung, von denen Vorstellungen begleitet sind, wesentlich unterschieden ist. Diese Nötigung zwingt uns, gewisse Begriffe nicht nur als in dem bewußten Vorstellen notwendig zusammengehörig zu denken, sondern auch eine entsprechende objektive, unabhängig von den bewußten Vorstellungen existierende notwendige Zusammengehörigkeit anzunehmen. Und ferner zwingt uns diese Nötigung nicht etwa in der Weise, daß sie uns sagte, es wäre, falls das von ihr Vorgeschriebene nicht stattfände, um unsere moralische Befriedigung oder um unser inneres Glück, unser Heil usw. geschehen, sondern ihr Zwang enthält dies, daß das objektive Sein sich in sich selbst aufheben, seine Existenzmöglichkeit verlieren müßte, wenn das Gegenteil von dem, was sie vorschreibt, bestehen sollte. Das Ausgezeichnete dieses Zwanges besteht also darin, daß der Gedanke, es soll das Gegenteil der sich uns aufdrängenden Notwendigkeit existieren, sich uns unmittelbar als eine Forderung, daß sich die Realität gegen ihre Existenzbedingungen empören solle, kundtut. Wir bezeichnen bekanntlich diesen eigentümlichen unmittelbar erlebten Zwang als logischen Zwang, als Denknotwendigkeit. Das logisch Notwendige offenbart sich uns unmittelbar als ein Ausspruch der Sache selbst. Und zwar ist es die eigentümliche sinnvolle Bedeutung, die vernunftvolle Durchleuchtung, die alles Logische enthält, wodurch mit unmittelbarer Evidenz für die sachliche, reale Geltung der logischen Begriffsverknüpfung gezeugt wird.» (Volkelt, Kants Erkenntnistheorie, S. 208 f.) Und Otto Liebmann legt gegen das Ende seiner Schrift «Die Klimax der Theorien» das Bekenntnis ab, daß, seiner Ansicht nach, das ganze Gedankengebäude menschlicher Erkenntnis, vom Erdgeschoß der Beobachtungswissenschaft bis in die luftigsten Regionen höchster Weltanschauungshypothesen, durchzogen ist von Gedanken, die über die Wahrnehmung hinausweisen, und daß die «Wahrnehmungsbruchstücke erst nach Maßgabe bestimmter Verfahrungsarten des Verstandes durch außerordentlich viel Nichtbeobachtetes ergänzt, verbunden, in fester Ordnung zusammengereiht werden müssen.» Wie kann man aber dem menschlichen Denken die Fähigkeit absprechen, aus sich heraus, durch eigene Tätigkeit etwas zu erkennen, wenn es schon zur Ordnung der beobachteten Wahrnehmungstatsachen diese seine eigene Tätigkeit zu Hilfe rufen muß? Der Neukantianismus ist in einer sonderbaren Lage. Er möchte innerhalb des Bewußtseins, innerhalb des Vorstellungslebens bleiben, muß sich aber gestehen, daß er in diesem «Innerhalb» keinen Schritt machen kann, der ihn nicht links und rechts hinausführte. Otto Liebmann schließt das zweite seiner Hefte «Gedanken und Tatsachen» so: «Wenn einerseits, aus dem Gesichtspunkt der Naturwissenschaft betrachtet, der Mensch nichts weiter wäre als belebter Staub, so ist anderseits, aus dem allein uns zugänglichen, unmittelbar gegebenen Gesichtspunkt betrachtet, die ganze im Raum und in der Zeit erscheinende Natur ein anthropozentrisches Phänomen.»

[ 4 ] Trotzdem die Anschauung, daß die Beobachtungswelt nur menschliche Vorstellung ist, sich selbst auslöschen muß, wenn sie richtig verstanden wird, sind ihre Bekenner zahlreich. Sie wird in den verschiedensten Schattierungen im Laufe der letzten Jahrzehnte des Jahrhunderts immer wiederholt. Ernst Laas (1837-1885) vertritt energisch den Standpunkt, daß nur positive Wahrnehmungstatsachen innerhalb der Erkenntnis verarbeitet werden dürfen. Aloys Riehl (1844-1924) erklärt, weil er von derselben Grundanschauung ausgeht, daß es überhaupt keine allgemeine Weltanschauung geben könne, sondern daß alles, was über die einzelnen Wissenschaften hinausgeht, nichts anderes sein dürfe, als eine Kritik der Erkenntnis. Erkannt wird nur in den einzelnen Wissenschaften; die Philosophie hat die Aufgabe, zu zeigen, wie erkannt wird, und darüber zu wachen, daß das Denken nur ja nichts in das Erkennen einmische, was sich durch die Tatsachen nicht rechtfertigen lasse. Am radikalsten ist Richard Wahle in seinem Buche «Das Ganze der Philosophie und ihr Ende» vorgegangen (1894). Er sondert in der denkbar scharfsinnigsten Weise aus der Erkenntnis alles aus, was durch den menschlichen Geist zu den «Vorkommnissen» der Welt hinzugebracht ist. Zuletzt steht dieser Geist da in dem Meere der vorüberflutenden Vorkommnisse, sich selbst in diesem Meere als ein solches Vorkommnis schauend und nirgends einen Anhaltspunkt findend, sich über die Vorkommnisse sinnvoll aufzuklären. Dieser Geist müßte ja seine eigene Kraft anspannen, um von sich aus die Vorkommnisse zu ordnen. Aber dann ist es ja er selbst, der diese Ordnung in die Natur bringt. Wenn er etwas über das Wesen der Vorkommnisse sagt, dann hat er es nicht aus den Dingen, sondern aus sich genommen. Er könnte das nur, wenn er sich zugestünde, daß in seinem eigenen Tun etwas Wesenhaftes sich abspielte, wenn er annehmen dürfte, daß es auch für die Dinge etwas bedeutet, wenn er etwas sagt. Dieses Vertrauen darf im Sinne der Weltanschauung Wahles der Geist nicht haben. Er muß die Hände in den Schoß legen und zusehen, was um ihn und in ihm abflutet; und er prellte sich selbst, wenn er auf eine Anschauung etwas gäbe, die er sich über die Vorkommnisse bildet. «Was könnte der Geist, der, ins Weltgehäuse spähte und in sich die Fragen nach dem Wesen und dem Ziele des Geschehens herumwälzte, endlich als Antwort finden? Es ist ihm widerfahren, daß er, wie er so scheinbar im Gegensatze zur umgebenden Welt dastand, sich auflöste und in einer Flucht von Vorkommnissen mit allen Vorkommnissen zusammenfloß. Er ,wußte" nicht mehr die Welt; er sagte, ich bin nicht sicher, daß Wissende da sind, sondern Vorkommnisse sind da schlechthin. Sie kommen freilich in solcher Weise, daß der Begriff eines Wissens vorschnell, ungerechtfertigt entstehen konnte... . Und “Begriffe" huschten empor, um Licht in die Vorkommnisse zu bringen, aber es waren Irrlichter, Seelen der Wünsche nach Wissen, erbärmliche, in ihrer Evidenz nichtssagende Postulate einer unausgefüllten Wissensform. Unbekannte Faktoren müssen im Wechsel walten. Über ihre Natur war Dunkel gebreitet, Vorkommnisse sind der Schleier des Wahrhaften. ...» Wahle schließt sein Buch, das die «Vermächtnisse» der Philosophie an die einzelnen Wissenschaften darstellen soll, an Theologie, Physiologie, Ästhetik und Staatspädagogik, mit den Worten: «Möge die Zeit anbrechen, in der man sagen wird, einst war Philosophie.»

[ 5 ] Wahles genanntes Buch (wie seine anderen: «Geschichtlicher Überblick über die Entwickelung der Philosophie», 1895, «Über den Mechanismus des geistigen Lebens», 1906) ist eines der bedeutsamsten Symptome der Weltanschauungsentwickelung im neunzehnten Jahrhundert. Die Vertrauenslosigkeit gegenüber dem Erkennen, die von Kant ihren Ausgangspunkt nimmt, endet für eine Gedankenwelt, wie sie bei Wahle auftritt, mit dem vollständigen Unglauben an alle Weltanschauung.

Echoes of the Kantian mode of conception

[ 1 ] In the second half of the nineteenth century, there were only a few personalities who, by immersing themselves in the Hegelian mode of ideas, sought a certainty for the relationship of a conception of the self-conscious ego to the general world view. One of the best is Paul Asmus (1842-1876), who died too early and published a paper in 1873 entitled "Das Ich und das Ding an sich". He shows how, in the way in which Hegel viewed thinking and the world of ideas, a relationship of man to the essence of things can be gained. He astutely demonstrates that man's thinking is not something alien to reality, but something full of life, primordially real, into which one need only immerse oneself in order to arrive at the essence of existence. He illustrated in an illuminating way the course that the development of the world view has taken in order to move from Kant, who regarded the "thing in itself" as something alien and inaccessible to man, to Hegel, who believed that thought encompasses not only itself as an ideal entity, but also the "thing in itself". However, such voices were hardly heard. This was expressed most sharply in the cry that became popular in a certain philosophical current after Eduard Zeller's Heidelberg University speech "On the meaning and task of epistemology": "Back to Kant". The partly unconscious, partly conscious ideas that led to this call are something like this: Natural science has shaken our confidence in independent thinking, which wants to penetrate to the highest questions of existence on its own. However, we cannot rest easy with the mere results of natural science. For they do not lead us beyond the outside of things. There must still be hidden reasons for existence behind this outside. After all, natural science itself has shown that the world of colors, sounds, etc. that surrounds us is not a reality outside in the objective world, but that it is produced by the arrangement of our senses and our brain. (Cf. above p. 422ff.) One must therefore ask the questions: To what extent do the results of natural science point beyond themselves to higher tasks? What is the nature of our cognition? Can this cognition lead to the solution of these higher tasks? Kant had posed such questions in a penetrating way. One wanted to see how he did it in order to take a stand against them. They wanted to reflect on Kant's train of thought in all its acuteness in order to find a way out of their perplexity by continuing his ideas and avoiding his errors.

[ 2 ] A number of thinkers struggled to reach some kind of goal from Kant's starting points. The most important among them are Hermann Cohen (1842 to 1918), Otto Liebmann (1840-1912), Wilhelm Windelband (1848-1915), Johannes Volkelt (1848-1930), Benno Erdmann (1851-1921). There is a great deal of acumen to be found in the writings of these men. A great deal of work has been devoted to investigating the nature and scope of human cognition. Johannes Volkelt, who, insofar as he is active as an epistemologist, lives entirely in this current, has also himself delivered a thorough work on Kant's epistemology (1879), in which all questions determining this type of conception are discussed, gave a speech when he took up his teaching post in Basel in 1884 in which he stated that all thinking that goes beyond the results of the individual factual sciences must have the "restless character of searching and tracing, of trying, defending and conceding"; "it is a going forward that nevertheless partially recedes again; a yielding that nevertheless grasps again to a certain degree". (Volkelt, Über die Möglichkeit einer Metaphysik, Hamburg and Leipzig, 1884.) - The more recent connection to Kant appears sharply nuanced in Otto Liebmann. His writings "Zur Analysis der Wirklichkeit" (1876), "Gedanken und Tatsachen" (1882), "Klimax der Theorien" (1884) are true prime examples of philosophical criticism. A caustic mind ingeniously uncovers contradictions in the worlds of thought, reveals half-measures in seemingly certain judgments and thoroughly reproaches the individual sciences for what they contain that is unsatisfactory when their results are placed before a supreme tribunal of thought. Liebmann reckons up Darwinism's contradictions; he shows its not entirely well-founded assumptions and its gaps in thought. He says that there must be something that overcomes the contradictions, that fills in the gaps, that justifies the assumptions. He once concludes the consideration he devotes to the nature of living beings with the words: "The fact that plant seeds do not lose their germination capacity despite lying dry for eons, that, for example, the grains of wheat found in Egyptian mummy coffins, after having been hermetically buried for thousands of years, thrive most excellently today when sown in damp fields; that, furthermore, rotifers and other infusoria, which one has collected completely dried up from the gutter, swarm around revitalized when moistened with rainwater; yes, that frogs and fish, which have frozen into solid lumps of ice in the freezing water, regain their lost life when carefully thawed; - this circumstance allows completely opposite interpretations. .. . In short: any categorical denial in this matter would be crude dogmatism. Therefore we break off here." This "Therefore we break off here" is basically, if not in word, then in spirit, the final thought of every Liebmann observation. Indeed, it is the final result of many new followers and adaptors of Kantianism. - The adherents of this school do not go beyond emphasizing that they take things into their consciousness, that everything they see, hear, etc., is not outside in the world, but inside themselves, and that consequently they can make nothing of what is outside. There is a table in front of me, - says the New Kantian to himself. But no, it only seems that way. Only those who are naïve about worldviews can say: There is a table outside me. Those who have shed their naivety say to themselves: Something unknown makes an impression on my eye; this eye and my brain turn this impression into a brown sensation. And because I have the brown sensation not only in a single point, but can let my eye wander over a surface and over four pillar-like structures, the brownness forms itself into an object, which is the table. And when I touch the table, it offers me resistance. It makes an impression on my sense of touch, which I express by ascribing a hardness to the structure created by the eye. I have thus created the table out of myself on the occasion of some "thing in itself" that I do not know. The table is my imagination. It is only in my consciousness. Volkelt places this view at the beginning of his book on Kant's theory of knowledge: "The first fundamental theorem that the philosopher must bring to clear awareness consists in the realization that our knowledge initially extends to nothing more than our ideas. Our ideas are the only things that we experience directly; and precisely because we experience them directly, even the most radical doubt cannot wrest knowledge of them from us. On the other hand, the knowledge that goes beyond my imagination - I take this expression here everywhere in the broadest sense, so that all physical events fall under it - is not protected from doubt. Therefore, at the beginning of philosophizing, all knowledge that goes beyond the imagination must be explicitly placed as doubtful." Otto Liebmann also uses this idea to defend his assertion: Man can no more know whether the things imagined by him outside his consciousness are not than he can know whether they are. "Precisely because, in fact, no imagining subject can leave the sphere of his subjective imagination; precisely because he can never, ever, by leaping over his own consciousness, by emancipating himself from himself, grasp and state that which may or may not exist beyond and outside his subjectivity; precisely because it is inconsistent to want to maintain that the imagined object is not there outside the subjective imagination." (O. Liebmann, On the Analysis of Reality, p. 28.)

[ 3 ] However, both Volkelt and Liebmann endeavor to prove that man finds something within his imaginary world that is not merely observed, perceived, but is thought in addition to what is perceived, and that at least points to the essence of things. Volkelt is of the opinion that there is a fact within the imaginative life itself that points beyond the merely imaginative life, to something that lies outside this imaginative life. This fact is that certain ideas impose themselves on man with logical necessity. In his 1906 publication "The Sources of Human Certainty", we read (p.3) Volkelt's view: "If we ask what the certainty of our cognition is based on, we come across two origins, two sources of certainty. No matter how intimate the interaction of both modes of certainty may be necessary if knowledge is to arise, it is nevertheless impossible to trace one back to the other. The one source of certainty is the self-certainty of consciousness, the awareness of the facts of my consciousness. As true as I am consciousness, my consciousness testifies to the existence of certain processes and states, certain contents and forms. Without this source of certainty there would be no cognition at all; it gives us the material from the processing of which all knowledge emerges in the first place. The other source of certainty is the necessity of thought, the certainty of logical compulsion, the factual awareness of necessity. With this something is given that is absolutely new, which cannot possibly be gained from the self-certainty of consciousness." Volkelt speaks about this second source of certainty in the following way in his earlier mentioned writing: "Direct experience does indeed allow us to experience that certain conceptual connections carry with them a highly peculiar compulsion, which is essentially different from all other kinds of compulsion by which ideas are accompanied. This compulsion forces us not only to think of certain concepts as necessarily belonging together in the conscious imagination, but also to assume a corresponding objective, necessary belonging together that exists independently of the conscious imagination. And furthermore, this compulsion does not force us in such a way that it tells us that if what it prescribes did not take place, our moral satisfaction or our inner happiness, our salvation, etc. would be at stake, but its compulsion contains this, that objective being would have to cancel itself out in itself, would have to lose its possibility of existence, if the opposite of what it prescribes were to exist. The distinguishing feature of this compulsion therefore consists in the fact that the thought that the opposite of the necessity that imposes itself on us should exist manifests itself to us directly as a demand that reality should rebel against its conditions of existence. We call this peculiar, directly experienced compulsion a logical compulsion, a necessity of thought. The logically necessary reveals itself to us directly as a statement of the thing itself. And indeed it is the peculiar meaningful significance, the rational illumination, which contains everything logical, whereby the factual, real validity of the logical connection of concepts is testified to with immediate evidence." (Volkelt, Kant's Epistemology, p. 208 f. ) And Otto Liebmann, towards the end of his essay "The Climax of Theories", confesses that, in his view, the entire thought structure of human cognition, from the ground floor of observational science to the loftiest regions of the highest worldview hypotheses, is permeated by thoughts that point beyond perception, and that the "fragments of perception must first be supplemented, connected, and strung together in a fixed order by an extraordinary amount of non-observed things in accordance with certain modes of the understanding." But how can one deny human thinking the ability to recognize something from within itself, through its own activity, if it already has to call upon its own activity to help it order the observed facts of perception? Neo-Kantianism is in a peculiar position. It wants to remain within consciousness, within the life of the imagination, but must admit to itself that it cannot take a step within this "within" that does not lead it out to the left and right. Otto Liebmann concludes the second of his booklets "Thoughts and Facts" as follows: "If on the one hand, viewed from the standpoint of natural science, man would be nothing more than animate dust, then on the other hand, viewed from the directly given standpoint accessible to us alone, the whole of nature appearing in space and time is an anthropocentric phenomenon."

[ 4 ] Despite the fact that the view that the observational world is only human imagination must extinguish itself if it is understood correctly, its proponents are numerous. It has been repeated in various shades over the last decades of the century. Ernst Laas (1837-1885) vigorously defended the view that only positive facts of perception should be processed within cognition. Aloys Riehl (1844-1924) explains, because he starts from the same basic view, that there can be no general world view at all, but that everything that goes beyond the individual sciences must be nothing other than a critique of knowledge. Knowledge is only gained in the individual sciences; philosophy has the task of showing how knowledge is gained and of ensuring that thinking does not interfere with knowledge that cannot be justified by the facts. The most radical approach was taken by Richard Wahle in his book "Das Ganze der Philosophie und ihr Ende" (1894). In the most astute way imaginable, he excludes from knowledge everything that is added by the human spirit to the "occurrences" of the world. In the end, this spirit stands there in the sea of passing occurrences, seeing itself in this sea as such an occurrence and finding nowhere a point of reference to enlighten itself meaningfully about the occurrences. This spirit would have to draw on its own strength in order to sort out the events of its own accord. But then it is he himself who brings this order into nature. If it says something about the nature of events, then it has not taken it from things, but from itself. He could only do this if he admitted to himself that something essential was taking place in his own actions, if he could assume that when he says something, it also means something for the things. The spirit must not have this confidence in the sense of Wahle's world view. It must lay its hands in its lap and watch what flows around it and within it; and it would be deceiving itself if it were to give any credence to the view it forms of events. "What could the spirit, which, peering into the world and rolling around in itself the questions about the nature and purpose of events, finally find as an answer? It happened to him that, as he stood there so seemingly in opposition to the surrounding world, he dissolved and merged with all occurrences in a flight of occurrences. He 'knew" no longer the world; he said, I am not sure that knowers are there, but occurrences are there per se. They come, of course, in such a way that the concept of knowledge could arise prematurely, unjustifiably... . And "concepts" flitted up to shed light on the occurrences, but they were will-o'-the-wisps, souls of desires for knowledge, pathetic, in their evidence meaningless postulates of an unfulfilled form of knowledge. Unknown factors must alternate. Darkness was spread over their nature, occurrences are the veil of the true. ..." Wahle concludes his book, which is intended to present the "legacies" of philosophy to the individual sciences, to theology, physiology, aesthetics and state pedagogy, with the words: "May the time dawn when people will say that philosophy once was."

[ 5 ] Wahle's aforementioned book (like his others: "Geschichtlicher Überblick über die Entwicklung der Philosophie", 1895, "Über den Mechanismus des geistigen Lebens", 1906) is one of the most significant symptoms of the development of worldviews in the nineteenth century. The lack of trust in cognition, which takes Kant as its starting point, ends in complete disbelief in all world views for a world of thought such as that of Wahle.