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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Aufsätze uber die Dreigliederung des sozialen Organismus
GA 24

Was nottut

Man wird den Wirklichkeitssinn, der in der Idee von der Dreigliederung des sozialen Organismus lebt, nicht finden, wenn man diese mit den Gedanken vergleicht, die man sich über das praktisch Mögliche aus den Überlieferungen heraus angeeignet hat, in welche man durch Erziehung und Lebensgewohnheiten hineingewachsen ist. Daß diese Überlieferungen zu Denk- und Empfindungsgewohnheiten geführt haben, über welche das Leben hinausgewachsen ist, dies ist ja gerade der Grund unserer gesellschaftlichen und staatlichen Wirrnis. Wer daher sagt: die Dreigliederung berücksichtige nicht, aus welchen Antrieben bisher die menschlichen Einrichtungen erwachsen sind, der lebt in dem Wahn, die Überwindung dieser Antriebe sei eine Sünde wider jede mögliche Gesellschaftsordnung. Die Idee von der Dreigliederung ist aber auf der Erkenntnis aufgebaut, daß der Glaube an die weitere Tragkraft dieser Antriebe das stärkste Hemmnis bildet für einen gesunden, mit der gegenwärtigen Entwickelungsstufe der Menschheit rechnenden Fortschrittsimpuls.

Daß die alten Antriebe nicht weiter fortgepfiegt werden können, das sollte man aus der Tatsache erkennen, daß sie ihre Stoßkraft für das produktive Arbeiten der Menschen verloren haben. Die alten wirtschaftlichen Antriebe der Kapitalrentabilität und des Lohnerträgnisses konnten ihre Stoßkraft nur so lange behaupten, als von den alten Lebensgütern noch genügend übriggeblieben war von dem, für das der Mensch Neigung und Liebe entwickeln konnte. Diese Lebensgüter zeigen sich deutlich in dem abgelaufenen Zeitalter erschöpft. Und immer zahlreicher wurden die Menschen, die als Kapitalisten nicht mehr wußten, wofür sie Kapital anhäufen sollten; immer zahlreicher auch wurden die Menschen, die, im Lohnverhältnis stehend, nicht wußten, wofür sie arbeiteten.

Die Erschöpfung der im Staatsgefüge wirkenden Antriebe zeigte sich darin, daß es in der neuesten Zeit für viele Menschen fast zu einer Selbstverständlichkeit wurde, den Staat für einen Selbstzweck anzusehen und zu vergessen, daß der Staat um der Menschen willen da ist. Man kann den Staat nur als einen Selbstzweck ansehen, wenn man die innere individuelle Selbstbehauptung des Menschenwesens so weit verloren hat, daß man für diese Selbstbehauptung und aus ihr heraus nicht die entsprechenden Staatseinrichtungen fordert. Dann muß man nämlich in allerlei Einrichtungen des Staates dessen Wesen suchen, die seiner eigentlichen Aufgabe zuwiderlaufen. Man wird erfüllt werden, mehr in die Einrichtungen des Staates hineinzulegen, als für die Selbstbehauptung der in ihm vereinigten Menschen notwendig ist. Jedes solche mehr des Staates ist aber ein Zeugnis für ein Weniger der den Staat tragenden Menschen.

Im geistigen Leben offenbart sich die Unfruchtbarkeit der alten Antriebe in dem Mißtrauen, das man dem Geiste überhaupt entgegenbringt. Was aus den ungeistigen Lebensverhältnissen erwächst, dafür hat man Interesse; darüber bildet man sich Anschauungen und Gedanken. Was aus geistiger Produktion stammt, das betrachtet man am liebsten als persönliche Angelegenheit des produzierenden Menschen. Man behindert es eher, als daß man es förderte, wenn es in das öffentliche Leben aufgenommen werden will. Es gehört zu den verbreitetsten Eigentümlichkeiten unserer zeitgenössischen Menschen, daß ihnen ein offener Sinn für individuelle Geistesleistungen ihrer Mitmenschen fehlt.

Die Gegenwart bedarf des Hinschauens auf diese ihre Abgebrauchtheit in bezug auf die wirtschaftlichen, die staatlichen, die geistigen Antriebe. Aus diesem Hinschauen muß sich ein energisches soziales Wollen entzünden. Ehe man nicht erkennt, daß in unserer wirtschaftlichen, staatlichen, geistigen Not nicht bloß äußere Lebensverhältnisse wirksam sind, sondern die Seelenverfassung des neueren Menschen, ist die Grundlage zu dem notwendigen Neubau noch nicht gegeben.

Es ist ein Zwiespalt in die Seelenverfassung der Menschheit eingetreten. In den instinktiven, unbewußten Regungen der Menschennatur rumort ein Neues. In dem bewußten Denken wollen die alten Ideen den instinktiven Regungen nicht folgen. Wenn aber die besten instinktiven Regungen nicht von Gedanken erleuchtet sind, die ihnen entsprechen, dann werden sie barbarisch, animalisch. In eine gefährliche Lage treibt die Menschheit der Gegenwart hinein durch die Animalisierung ihrer Instinkte. Rettung ist nur zu finden durch Erstreben neuer Gedanken für eine neue Weltlage.

Ein Ruf nach Sozialisierung, der dieses nicht berücksichtigt, kann zu nichts Heilsamem führen. Die Scheu, den Menschen als seelisches, als geistiges Wesen zu betrachten, muß überwunden werden. Einseitige Umwandlung des Wirtschaftslebens, einseitige Neugestaltung der staatlichen Struktur ohne die Pflege einer sozial gesunden und fruchtbaren Seelenverfassung ist geeignet, die Menschheit in Illusionen zu wiegen, statt sie mit Wirklichkeitssinn zu durchdringen. Und weil nur wenige sich entschließen können, die Lebensfrage der Gegenwart und der nächsten Zukunft in dem umfassenden Sinne einer Frage der äußeren Einrichtung und der inneren Erneuerung zu sehen, darum kommen wir auf dem Wege zur sozialen Neugestaltung so langsam vorwärts. Wenn viele sagen: die innere Erneuerung erfordere eine lange Zeit, man dürfe sie nicht überstürzen, so lauert hinter solchen Reden eben die Scheu vor dieser Erneuerung. Denn die rechte Stimmung kann nur die sein: alles tatkräftig ins Auge zu fassen, was zur Erneuerung führen kann, und dann zuzusehen, wie langsam oder wie schnell die Lebensfahrt vorwärts kommen wird.

Die Ereignisse der letzten Jahre haben eine gewisse Ermüdung über die Seelenverfassungen der Zeitgenossen ausgegossen. Um der kommenden Generationen willen, um der Kultur der nächsten Zukunft willen, muß diese Ermüdung bekämpft werden. Aus solchen Empfindungen heraus ist die Idee der Dreigliederung an die Öffentlichkeit getreten. Sie mag vielleicht unvollkommen, sie mag ganz schief sein; ihre Träger werden verstehen, wenn man sie vom Gesichtspunkte anderer neuer Ideen bekämpft. Daß man sie oft «unverständlich» findet, weil sie dem gewohnten Alten widerspricht, das können sie aber nicht als ein Zeichen betrachten, daß bei solchen Bekämpfern der Ruf gehört wird, der aus der Entwickelung der Menschheit für unsere Zeit sich doch, wie man glauben sollte, deutlich genug vernehmen läßt.