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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Aufsätze uber die Dreigliederung des sozialen Organismus
GA 24

Die Dreigliederung während des Krieges und nach demselben

Im Jahre 1917 sprach ich in engeren Kreisen mit einer Anzahl von Persönlichkeiten über die Dreigliederung des sozialen Organismus. Meine Absicht dabei war, politisch Denkende dafür zu gewinnen, der Politik Wilsons eine andere entgegenzusetzen. Wilsons Gedanken schienen mir kein Ausweg aus der Wirrnis, in der sich die Welt befand. Man konnte, indem man diese Gedanken als Schlagworte weithin hörbar machte, Armeen in Bewegung setzen, man konnte Kriegsschiffe über das Weltmeer senden, aber sie enthielten nichts von dem, was in der Menschheit der Gegenwart unbewußt nach einem Herauskommen aus den alten Verhältnissen rang, und was, weil es sich vernünftig nicht äußern konnte, sich in der Unvernunft des Weltkriegs entladen hatte.

Wilsons vierzehn Punkte waren abstrakt und wirklichkeitsfremd. Man kann solchen Ideen eine Scheinwirklichkeit geben, weil Menschen auch das ausführen können, was in der Ausführung sich als bestandsunmöglich erweist. Aus diesen vierzehn Punkten konnte nie ein wahrer Friede werden. Denn die zivilisierte Menschheit ist an einem Punkte ihrer Entwickelung angekommen, in dem, was als geistiges Leben, als Rechtsverhältnisse im weitesten Sinn und als wirtschaftliche Daseinsbedingungen aus den Bereichen der überkommenen Staaten heraus sich ergeben hatte, nicht mehr weiterzubringen war im Rahmen dieser Staaten. Bis in die Gegenwart bedurfte es der einheitlichen Staatsgebilde, um durch sie im Rechtszusammenleben der Menschen das Geistesleben zu pflegen und die neueren Wirtschaftsformen zu gebären. Aber sowohl das Geistesleben, wie auch die Weltwirtschaft sind zu Gestaltungen gelangt, die durch diese Staatsgebilde nicht weiterzubringen sind. Unbefangen erfaßt war der Weltkrieg doch nichts anderes als der Ausdruck dafür, daß die Staaten aufeinanderprallten, weil diejenigen Kräfte nach einem unvernünftigen Ausweg suchten, deren wahre Natur darin bestand, für Geistesleben und Wirtschaft neue Formen zu suchen.

Man konnte sich diese wahre Natur nicht zum Bewußtsein bringen, und so ließ man das Verheerende hereinbrechen. Wilsons Politik war nur eine abstrakte Zusammenfassung der alten Staatsgedanken. Die Menschen sollten sich in einer gewissen Art Staatsgebilde schaffen. Dadurch sollten die Kriegsursachen aus der Welt geschafft werden. Aber diese Art war eben die, welche die Kriegsursachen hervorgebracht hatte. Meine Absicht im Jahre 1917 war, den vierzehn Punkten Wilsons dasjenige entgegenzustellen, was an die Stelle dieser Art jene andere setzt, die den Kräften des Geistes- und Wirtschaftslebens die Selbstverwaltung gibt, deren Nicht-Vorhandensein in die Verwirrung getrieben hat. Ohne daß diese Art zur Seele der auswärtigen Politik der Völker wird, kann kein wahrer Ausweg aus diesen Wirren gefunden werden.

Der Weltkrieg hat zu Versailles, zu Spa geführt. Das unbewußte Streben der Menschheit hat aber nicht den vernünftigen Weg gefunden, dem Geistesleben und der Weltwirtschaft die Formen zu schaffen, die sie notwendig brauchen. Und deshalb ist die Fortsetzung des Weltkriegs der verheerende Bolschewismus in Rußland und dasjenige, was diesem ähnlich durch dic Menschheit geht, um weiter zu zerstören, was der Krieg noch übrig gelassen hat.

Wie man 1917 auf die Dreigliederung des sozialen Organismus weisen mußte, um den ohnmächtigen vierzehn Punkten Wilsons etwas entgegenzustellen, was zu einem wirklichen Friedensausweg führen konnte, so muß man jetzt auf dieselbe Dreigliederung zeigen, um dem Gespenst zu begegnen, das der Zivilisation droht. Wie ohnmächtig die «Vierzehn Punkte» waren, das hat die Hilflosigkeit ihres Trägers in Versailles erwiesen. John Maynard Keynes, der bei den Versailler Verhandlungen zugegen war, hat das in seinem Buche über die wirtschaftlichen Folgen des Krieges deutlich genug gesagt.

Aber so ohnmächtig Wilson in Versailles sich zeigte, so ohnmächtig werden sich alle diejenigen zeigen, welche den internationalen sozialen Erschütterungen mit den alten Vorstellungsweisen entgegentreten. Man ist froh, wenn sich irgendwo etwas offenbart, auf Grund dessen man sagen kann: Der Bolschewismus ist im Abflauen; er wird demnächst seinen Zusammenbruch erleiden. Hat man denn keine Vorstellung davon, wie solche Dinge nur scheinbar untergehen, um in anderen Formen wieder aufzuleben? Die sich an solche Ausfluchtsphrasen halten, sollten sich erinnern, wie oft «Staatsmänner» vor 1914 davon gesprochen haben, daß die politische Lage sich «entspannt» habe.

Die Bewegung für Dreigliederung des sozialen Organismus wird zu dem führen, wozu sie führen muß, wenn eine genügend große Anzahl von Menschen sich in ihrem Urteile frei machen von denjenigen, die nicht hinsehen wollen auf dasjenige, was der Menschheit nottut, sondern die nur in diese oder jene Weltenecke blicken, ob sich da oder dort etwas «entspannt», damit sie nicht nötig haben, auf Ideen zu sinnen, die nicht «entspannen», was nachher wild aufeinanderprallt, sondern die entwickeln, was nach dem Entwickelungsgange der Menschheit entwickelt sein will.