Correspondence with Marie Steiner
1901–1925
GA 262
Translated by Steiner Online Library
229
To Marie Steiner in Berlin
Friday, February 27, 1925
Goetheanum, February 27, 1925
M.l.M.
I am writing these lines at about the time when you would otherwise be sitting by my side. I can only think with the deepest inner emotion how wonderful it is when I can listen to a report of your work and we can discuss one or other aspect of it. And when you [I of you] occasionally read in my “life” the description of our joint activity, then I feel deeply how connected we are. That karma also brings other people close to me is just karma. And the illness has now shown how this karma is incisive. But you have struggled to understand; that is a blessing for me. I can only feel and think together with you. And it was already a deprivation for me that I could not present the last pages of the Steffen essay to you before they went to press (yesterday). Because I only allow you to judge my inner competence. But be assured, as much as I love having you here, I couldn't bear it if you cut your stay short by even an hour.
Your kind letter was delivered to me an hour ago. I am so sorry that you were under such attack again. People mean well when they want you to be around for their things. But it does make one weak.
I understand that the “roughness of the work” has upset you so much. And of course you are absolutely right when you speak of the woman's lack of understanding as you do. I had to bear in mind his spiritual treatment of poetic problems when writing about Steffen.
Steffen must be understood by looking back at him as Giotto. The entire turn from Cimabue to Giotto is the turn from bright spiritualism, from spirituality in color, conception and form to naturalism; and only in Raphael and the great ones remains something of what was lost and only in Cimabue is something preserved. All this is expressed in Steffen's psyche. He works with the forces that arise from the turn of the century, and approaches reality in a way that is almost unique in the twentieth century. G. had beauty before him, but he had outgrown it. That idealizes his naturalism. Steffen had artlessness all around him; that materializes the spiritualism that slumbered in him from the beginning.
And the fact that Steffen is with us: I see a significant karma in that too.
That he doesn't understand Gyges is not surprising, because he has a hard time empathizing with foreign art in general. And Rhodope is so very different from what Steffen can see in the nature of a woman.
Stay healthy and receive my warmest greetings; I am with you in thought.
Rudolf
Dr. Rudolf Steiner
Dornach near Basel, Switzerland, Canton Solothurn
Goetheanum.
229
An Marie Steiner in Berlin
Freitag, 27. Februar 1925
Goetheanum, 27. Februar 1925
M.l.M.
Ungefähr um die Zeit, da Du sonst an meiner Seite sitzest, schreibe ich diese Zeilen. Ich kaun nur mit tiefster innerer Bewegung denken, wie schön es ist, wenn ich der Darstellung Deiner Tätigkeit zuhören kann, und wir das eine oder andere besprechen können über diese Deine Tätigkeit. Und wenn Du [ich von Dir] dann ab und zu in meinem «Lebensgang» die Beschreibung unserer gemeinsamen Tätigkeit gelesen weiß, dann fühle ich tief, wie verbunden wir sind. Dass Karma auch andere Personen in meine Nähe bringt, ist eben Karma. Und die Krankheit hat ja jetzt gezeigt, wie dieses Karma einschneidend ist. Aber Du hast Dich zum Verständnis durchgerungen; das ist ein Segen für mich. Im Urteil zusammenfühlen und -denken kann ich ja doch »ur mit Dir. Und schon war es mir eine Entbehrung, dass ich Dir die letzten Seiten des SteffenAufsatzes nicht vorlegen konnte, bevor sie (gestern) in Druck gingen. Denn innere Kompetenz gestehe ich für mich doch nur Deinem Urteil zu. Aber sei sicher, so unendlich lieb es mir ist, wenn ich Dich hier habe: ich könnte es gar nicht ertragen, wenn Du auch nur eine Stunde Deine Tätigkeit abkürzest.
Vor einer Stunde brachte man mir Deinen lieben Brief. Es ist mir so leid, dass Du doch wieder so angegriffen warst. Die Leute meinen es gut, wenn sie einen bei ihren Sachen dabei haben wollen. Aber man wird eben schwach davon.
Dass Dich die «Bestimmung der Roheit» so durcheinandergebracht hat, verstehe ich. Und Du hast natürlich vollkommen recht, wenn Du von dem Nichtverstehen des Weibes so sprichst, wie Du es tust. Ich musste, über Steffen schreibend, seine spirituelle Behandlung der dichterischen Probleme im Auge haben.
Verstehen muss man Steffen, indem man zurückblickt auf ihn als Giotto. Die ganze Wendung vom Cimabue zum G. ist doch die vom lichten Spiritualismus, von der Geistigkeit in Farbe, Auffassung und Form zum Naturalismus; und nur in Raphael und den Großen bleibt noch etwas von dem, was untergegangen ist und nur in Cimabue etwas aufbewahrt ist. Das alles drückt sich in der Psyche von Steffen aus. Er arbeitet mit den Kräften, die aus der damaligen Wendung ihm aufstoßen, geht auf die Wirklichkeit los, wie das im zwanzigsten Jahrhundert fast allein möglich ist. G. hatte die Schönheit vor sich, aus der er herausgewachsen ist. Das idealisiert seinen Naturalismus. Steffen hatte überall Unkunst um sich; das materialisiert den Spiritualismus, der in ihm von Anfang an schlummerte.
Und dass Steffen bei uns ist: auch darin sehe ich ein bedeutsames Karma.
Dass er Gyges nicht versteht, ist schon deshalb nicht verwunderlich, weil er sich überhaupt in fremde Kunst schwer hineinversetzen kann. Und Rhodope ist so ganz anders, als was Steffen im Wesen des Weibes sehen kann.
Bleibe mir gesund und empfange die allerherzlichsten Grüße; ich bin in Gedanken mit Dir.
Rudolf
Dr. Rudolf Steiner
Dornach bei Basel, Schweiz, Canton Solothurn
Goetheanum.