Correspondence with Marie Steiner
1901–1925
GA 262
Translated by Steiner Online Library
239
Marie Steiner to Leopoldine Steiner in Horn, Austria
Sunday, May 3, 1925
May 3, 1925, Dornach
Dear sister-in-law,
Please forgive me for not writing sooner. I was so torn apart and crushed by all that has happened that I could not find the strength to do so.
Now we are all saying that we were too hopeful, but with the tremendous energy that Rudolf always had, even during his illness, he still gave us hope. It seemed impossible that he could leave us, and none of us wanted to believe it.
Since he was no longer able to travel, I had to work more in the outside world in his spirit; however painful that was, it was also what calmed him: that the work was not interrupted. My sick feet also made it impossible for me to provide the care that Dr. Wegman and Dr. Noll provided in such a devoted manner. But it was deeply, deeply painful for me to have to be away so much now.
I think he wanted to make too great a leap to get well. He wrote to me that he now had to get well in order to work on the model of the new building again. The organism was already too exhausted to endure this shock. Overwork – due to the never-ending superhuman labor – and malnutrition, because he could no longer tolerate anything, that is what probably made recovery impossible.
But the world has been dead since he left.
How he still worried about your eyes, dear sister-in-law; he wrote to me about it in one of his last letters, and was pleased that the necessary precautions had been taken to help you. — He wished that you would continue to be taken care of in the way he had done until then. And so Count Polzer has agreed to always look after the rights and to receive the money from me here, which he will then allocate to you. He will have told you everything that has happened here and what formalities still have to be completed in terms of the Swiss authorities in order to bring the will, which is in Berlin, into force. There is an endless amount to be done, which has accumulated during his illness.
I send you my best regards and wishes for your recovery.
With my warmest regards, Marie Steiner
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239
Marie Steiner an Leopoldine Steiner in Horn/Österreich
Sonntag, 3. Mai 1925
3. Mai 1925, Dornach
Meine liebe Schwägerin,
verzeih mir, dass ich nicht früher geschrieben habe. Ich war so zerrissen und zermalmt von all dem, was geschehen ist, dass ich die Kraft dazu nicht aufbrachte.
Jetzt sagen wir uns ja alle, dass wir zu hoffnungsvoll gewesen sind, aber bei der ungeheuren Lebensenergie, die Rudolf immer hatte, auch während seiner Krankheit, hat er uns noch immer in Hoffnungen gewiegt. Es schien ja gar nicht möglich, dass er gehen könne, und keiner von uns hat es glauben wollen.
Seitdem er nicht mehr reisen konnte, habe ich ja mehr in der Außenwelt in seinem Sinne wirken müssen; wie schmerzlich das auch war, so war es andrerseits, was ihn beruhigte: dass die Tätigkeit nicht unterbrochen wurde. — Meine kranken Füße machten mir auch die Pflege nicht möglich, die von Frau Dr. Wegman und Herrn Dr. Noll in hingebungsvoller Weise durchgeführt wurde. Aber tief, tief schmerzlich ist es für mich gewesen, jetzt so viel weg sein zu müssen.
Ich glaube, er hat sich einen zu starken Ruck geben wollen, um gesund zu werden. Er schrieb mir, jetzt müsse er gesund werden, um wieder am Modell des neuen Baus zu arbeiten. Der Organismus war schon zu erschöpft, um diesen Ruck zu ertragen. Überanstrengung — durch die nie unterbrochene übermenschliche Arbeit, — und Unterernährung, weil er ja nichts mehr vertrug, das hat wohl die Gesundung unmöglich gemacht.
Aber die Welt ist tot, seitdem er gegangen ist.
Wie hat er sich noch gesorgt um Deine Augen, liebe Schwägerin; er schrieb mir noch in einem seiner letzten Briefe darüber, und freute sich, dass die nötige Vorsorge getroffen wäre, um euch zu helfen. — Er wünschte, dass für euch weiter gesorgt würde in dem Sinne, wie er es bis dahin getan hatte. Und so hat sich denn Graf Polzer bereit erklärt, immer nach dem Rechten zu schauen, und von mir hier das Geld in Empfang zu nehmen, das er euch dann zuweisen wird. Er wird euch ja nun auch alles erzählt haben, von dem was sich hier zugetragen hat und was an Formalitäten noch zu erledigen ist im Sinne der Schweizer Behörden, um das Testament, das in Berlin liegt, in Kraft zu bringen. Es gibt unendlich viel zu erledigen, was sich so angesammelt hat während seiner Krankheit.
Ich schicke euch die besten Grüße und Wünsche für Deine Besserung.
Allerherzlichst Marie Steiner
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