The Origin and Development of Eurythmy
1923–1925
GA 277d
1 March 1923, Dornach
Translated by Steiner Online Library
Über die Beziehungen des Turnens zur Eurythmie. Eine Kollision zwischen Turnen und Eurythmie kann es nicht eigentlich geben. Im Allgemeinen liegt die Sache so, dass die Turnübungen, die Gestaltung der Turnübungen, sich ausnehmen werden, natürlich gilt das nur im Allgemeinen, als eine Fortsetzung der Eurythmieübung. Ich will also sagen: Nehmen wir eine Armbewegung der Eurythmie und eine entsprechende Armbewegung beim Turnen, so wird man bei der Eurythmie zu bemerken haben, dass die hervorgerufene Gestaltung näher dem Körperzentrum liegt als beim Turnen. Aber eine Kollision kann nicht zustande kommen.
Das wird am besten einzusehen sein, wenn ich darauf hinweise, dass man es bei der Eurythmie im Wesentlichen zu tun hat mit demjenigen im menschlichen Organismus, das sich in unmittelbarer Angliederung an den inneren Atmungsprozess abspielt. Also: Dasjenige, was ein Arm oder Bein oder ein Finger oder Zehe bei der Eurythmie ausführt, ist in unmittelbarer Berührung mit dem, was innerlich sich als Atmungsprozess, als innerer Prozess abspielt, der beim Übergang der Luft ins Blut geschieht, während das Turnen im Wesentlichen derjenige Vorgang ist, dem zugrunde liegt im menschlichen Organismus der Übergang des Blutes in den Muskel. Das ist im Wesentlichen das Physiologische; das gibt zu gleicher Zeit ein völliges Licht über dasjenige, was ausgebildet werden soll. Sobald man zum Verständnis kommt - instinktiv, intuitiv muss das gemacht werden -, wie man cs zu tun hat bei jeder Turnbewegung mit dem Starkwerden, Wachsen, dem Elastischwerden des Muskels durch das Hineinschießen des Blutes in den Muskel, desto mehr wird man diese Erfindung der Freiübungen in sich selbst ermöglichen.
Nun, dieselbe Sache kann man auch von einer anderen Seite sagen. Die Eurythmie ist im Wesentlichen eine plastische Gestaltung des Organismus, plastische Gestaltung, oder besser gesagt: Die Eurythmie lebt in plastischer Gestaltung des Organismus; das Turnen lebt in Statik und Dynamik des Organismus. Sie haben das dadurch gefühlt, indem Sie gesagt haben: Eigentlich wird beim Turnen der Raum gefühlt. Man kommt am besten darauf, wenn man sich die Hilfsvorstellung bildet, wie sich der Arm oder das Bein in die Raumrichtungen oder in die Schwereverhältnisse im Raum hineinlegt.
Dass hier keine Kollision mit der Eurythmie hervorgerufen wird, das wird dann eingesehen werden, wenn auch noch Rücksicht genommen wird bei der [pädagogischen] Eurythmie - was viel zu wenig geschehen ist, weil es bei der künstlerischen Darstellung weniger in Betracht kommt, dagegen beim Pädagogischen ganz besonders in Betracht kommen würde — auf den «Charakter». Wenn Sie die [Eurythmie]figuren gesehen haben, so werden Sie bemerkt haben, dass wir unterscheiden zwischen «Bewegung», «Gefühl» und «Charakter». Mit Bewegung und Gefühl, [was bis jetzt fast allein beachtet wird,] geht es ganz gut, dagegen was Charakter ist in der eurythmischen Bewegung, das ist noch nicht durchdrungen. Es ist auch natürlich, dass es noch nicht durchdrungen ist, weil es beim künstlerischen Auswirken der Eurythmie, wo es von anderen geschaut wird, von so großer Bedeutung nicht ist.
Dagegen muss der Charakter einer Bewegung ein wesentliches Element bilden beim Didaktischen. Es muss der Eurythmisierende dabei fühlen das Zurückkommen irgendeiner Bewegung oder Haltung in seine eigene Empfindung. Also es muss zum Beispiel der Eurythmisierende bei den eurythmischen Bewegungen fühlen den Druck des einen Gliedes auf dem anderen und das Zurückströmen des Druckes ins Körperzentrum. Ich habe einen Farbenauftrag gemacht in den Figuren, damit dies deutlich wird. Sie sehen überall drei Farbgebungen in den Eurythmiefiguren, die eine ist für Bewegung, die andere für das Gefühl - das geht dann in [den] Schleier über - und die dritte für den Charakter, das heißt für dasjenige, wo der Eurythmisierende an einer bestimmten Stelle seines Körpers den Muskel besonders anspannen muss, und das Gefühl dieser Anspannung des Muskels haben muss, der Richtung nach. Das gehört zum Leben des Eurythmischen in der inneren Körperplastik. Es ist ohnedies von den Studenten gebeten worden, dass bei der pädagogischen Woche zu Ostern die Figuren da sein sollen. Ich werde eine Serie herüberschaffen. Es muss eine solche Serie da sein. Weil es auch wichtig ist für eine mehr psychologische Physiologie, müssten sich mit diesen Figuren die Waldorflehrer überhaupt befassen; für die Erkenntnis des menschlichen Organismus müssten sich die Waldorflehrer damit befassen. Es ist [zugleich] eine Grundlage für allgemeines künstlerisches Empfinden, für eine Erkenntnis des inneren menschlichen Organismus, was man daran lernen kann, an diesen Figuren.
Sodass man sagen muss, der Turnlehrer hat im Wesentlichen zu sein derjenige, dem vorschwebt in geistiger Beziehung Statik und Dynamik des menschlichen Organismus, der ein scharfes Bild davon hat, was es heißt, [das] Bein hoch[heben], [den] Arm senken, heben, alles im Verhältnis zur Schwerkraft, während der Eurythmist ein starkes Gefühl haben muss: So will der Körper seine Glieder plastisch ausformen. Das ist nicht richtig, wenn man sagt, dass der Turnlehrer wie der Plastiker gegenüber dem Bildwerk steht. Das würde für den Eurythmielehrer gelten. Der Turnlehrer hat die Aufgabe, einen Idealmenschen vor sich zu haben, der aus Linien, Formen und Bewegungsgestaltungen besteht, in den er diesen wirklich verschlamperten, verzerrten, verrenkten Menschen, den er vor sich hat, hineingestalten muss. Sie haben das richtig ausgesprochen, wenn Sie hingewiesen haben, dass die Kinder ihren Körper tragen sollen. Während der Eurythmist danach streben muss, dass der Muskel sich fühlt, dass er sein In-sich-Verdichten als den Charakter der Bewegung fühlt, muss der Turnlehrer fühlen, ob der Mensch das Schwere oder Leichte eines Gliedes richtig empfindet. Das Kind muss, nicht verstandesmäßig, sondern instinktiv, jedes Heben des Armes, jedes Heben des Beines auch schwerkraftmäßig empfinden, muss zum Beispiel eine Empfindung dafür bekommen, wie der Fuß schwer wird, wenn man mit einem Beine steht und ein anderes aufhebt.
Also der Turnlehrer hat den in dynamischer Beziehung idealischen Menschen in seiner Seele und will in diesen Idealmenschen den Menschen, den er vor sich hat, hineinstellen. Natürlich muss dabei das Künstlerische insoferne mitspielen, als man eine menschliche [Statik und] Dynamik nur herausbekommt mit künstlerischem Empfinden. Während das künstlerische Empfinden eine große Rolle spielt bei der eurythmischen Plastik, muss das künstlerische Empfinden beim Turnlehrer vorausgehen den Gestaltungen, die er in Statik und Dynamik hervorruft.
Was die Frage des Atems betrifft, so handelt es sich darum, dass Eurythmie näher dem Atem liegt, während Turnen näher dem Blutprozess liegt. Das für das Turnen Wesentliche ist, dass mit Ausnahme der Beschleunigung des Atems im Verlauf des Turnens, was ein physiologischer Prozess ist, das Turnen im Wesentlichen eigentlich methodisch so gestaltet werden muss, dass der Atmungsprozess nicht davon tangiert wird. Eine Turnübung kann man als unrichtig bezeichnen, wenn sie den Atmungsprozess bei richtiger Körperhaltung beeinträchtigt. Es müssten Turnübungen ausgeschlossen werden, wenn man schen würde, dass der Atmungsprozess gestört würde bei richtiger Körperhaltung. Aber im Wesentlichen scheint mir, wenn ich alles gesehen habe, was vorhanden ist, dass alle die Atemübungen, die registriert werden in den neuen Turnmethoden, dass die alle im Wesentlichen darauf beruhen, dass man die richtige Körperhaltung hervorrufen will, dass man das Atmen wie eine Reaktion behandelt. Ich habe bemerkt, dass dasjenige, was angegeben ist, im Wesentlichen Herstellung der richtigen Körperhaltung ist, insoferne es sich durch den Atmungsprozess ausdrückt. Das ist das, worauf beim schwedischen Turnen eine große Rücksicht genommen worden ist. Das wären die Bemerkungen, die ich berühren möchte.
Es ist richtig, dass im Turnen der Wille in Betracht kommt und unmittelbar daher ein instinktives, intuitives Sich-Einleben in den Zusammenhang zwischen Körperbewegung und einer Willensäußerung beim Turnlehrer da sein muss. Er muss das Gefühl haben, so und so hängt eine Bewegung mit dem Willen zusammen. Bei der Eurythmie ist auch eine Willenskultur da, aber auf dem Umwege des inneren Gefühles, auf einem anderen Niveau, wie sich ein Wille durch das Gefühl äußert. Das gerade, was ich als Charakter bezeichnet habe, das ist das Erleben des Gefühles [bei] einem Willensakte. Der Turnlehrer hat es unmittelbar mit dem Willensakt zu tun, der Eurythmielehrer mit dem Erleben des Gefühles beim Willensakte. Überall kann man eine strenge Trennung haben. Darauf wird man sehen müssen, wenn wir den Lehrplan ausarbeiten. Vielleicht wird es sich nicht gleich so machen lassen, dass man gleich höchste Ideale verwirklichen kann. Dann wird man doch auch auf diese beiden Dinge sehen, dass freilich leichter bei Mädchen das Eurythmische ins Turnen hineingeht als bei Knaben. Bei Knaben sind die Dinge [mehr] differenziert. Daher wird es dazu kommen müssen, dass man tatsächlich Knaben und Mädchen im selben Raume turnen lässt, aber doch in verschiedenen Riegen, sodass die Mädchen für sich eine [Riege] bilden, und die Freiübungen eine gegenseitige Beziehung herstellen. Dass man solche Übungen macht, die modifiziert bei den Knaben und Mädchen auftreten, dadurch wird die Freude erhöht. Nun, ich meine, das wird sich erst ergeben, wenn der Lehrplan im Speziellen [für das Turnen] besprochen werden kann. Das ist auch mit den Lebensaltern verschieden.
