Collected Essays on Drama 1889–1900
GA 29
Automated Translation
Dramaturgische Blätter 1899, Volume 2, 15
115. “L'Interieur”
Drama by Maurice Maeterlinck. German by Stockhausen. Arranged and staged for the stage by Zickel
Performance at the Urania Theater, Berlin
A Maeterlinck performance is a task that is as difficult as it is rewarding. The poet who avoids the conflicts of life that most preoccupy dramatists, and who instead wants to portray the deepest, most intimate emotions that go on behind the everyday expressions of man at the bottom of the soul, must make very special demands on the stage. In Maeterlinck's view, strong passions and coarse human relationships are not what show us the human soul in its true form. The passion of Othello and the fate of Desdemona are processes that do not correspond to the true. When I meet an unknown being for the first time, something can happen in my mind that is deeper, truer and more meaningful than that passion and that fate. Maeterlinck wants to portray what is deeper than words, truer than great passion. That is why he would prefer to dispense with the means of speech on stage altogether. He wants the events in this little drama "L'Interieur" and in similar ones he has created to be represented by puppets. A family is sitting around a table in a room. We see them through a window. There is a garden around the house. Two strangers are standing in the dark garden. A member of the family has drowned. The strangers talk about the accident. One of the strangers, an old man, speaks of the feelings that the misfortune brings up in his soul. He is supposed to tell the family about the terrible thing that has happened to them. Everything that happens comes to a head at the moment when the old man enters the room to make the announcement. A drama of emotions plays out in front of our souls. Sensations for which we need no words and no strong actions.
In a highly commendable manner, Stockhausen and Zickel staged this poignant event in the small theater hall of the Urania. Anything grossly theatrical was avoided. The example definitely deserves imitation.
«L’INTERIEUR»
Drama von Maurice Maeterlinck. Deutsch von Stockhausen. Für die Bühne eingerichtet und in Szene gesetzt von Zickel
Aufführung im Urania-Theater, Berlin
Eine Maeterlinck-Aufführung ist eine ebenso schwierige wie dankenswerte Aufgabe. Der Dichter, welcher denjenigen Konflikten des Lebens aus dem Wege geht, welche die Dramatiker am meisten beschäftigen, und der dafür die tiefsten, intimsten Regungen darstellen will, die hinter den Alltagsäußerungen des Menschen auf dem Grunde der Seele vorgehen, muß an die Bühne ganz besondere Anforderungen stellen. Starke Leidenschaften, grobe Beziehungen der Menschen sind im Sinne Maeterlincks nicht dasjenige, was uns die menschliche Seele in ihrer wahren Gestalt zeigt. Die Leidenschaft eines Othello und das Schicksal der Desdemona sind Vorgänge, die dem Wahren nicht entsprechen. Wenn ich einem unbekannten Wesen zum ersten Male entgegentrete, kann in meinem Gemüte etwas vorgehen, das tiefer, wahrer und bedeutungsvoller ist als jene Leidenschaft und jenes Schicksal. Was tiefer als Worte, wahrer als die große Leidenschaft ist, will Maeterlinck darstellen. Deshalb möchte er am liebsten die Mittel der Rede auf der Bühne ganz entbehren. Durch Marionetten will er die Vorgänge in diesem kleinen Drama «L’Interieur» und in ähnlichen, die er geschaffen hat, dargestellt wissen. Eine Familie sitzt um den Tisch in einem Zimmer. Wir sehen sie durch ein Fenster. Um das Haus ist ein Garten. Zwei Fremde stehen in dem dunklen Garten. Ein Mitglied der Familie ist ertrunken. Die Fremden sprechen von dem Unglück. Der eine der Fremden, ein alter Mann, spricht von den Empfindungen, die das Unglück in seiner Seele aufsteigen läßt. Er soll der Familie das Furchtbare, das sie getroffen hat, mitteilen. Alles, was vorgeht, ist zugespitzt auf den Moment, da der Alte ins Zimmer tritt, die Mitteilung zu machen. Eine Dramatik der Empfindungen spielt sich vor unserer Seele ab. Empfindungen, zu denen wir keine Worte und keine starken Handlungen brauchen.
In höchst anerkennenswerter Weise haben Stockhausen und Zickel den ergreifenden Vorgang im kleinen Theatersaal der Urania zur Aufführung gebracht. Alles grob Theatralische war vermieden. Das Beispiel verdient entschieden Nachahmung.