Collected Essays on Drama 1889–1900
GA 29
Automated Translation
Magazin für Literatur 1897, Volume 66, 48
65. “Das Käthchen von Heilbronn”
Play in five acts by Heinrich von Kleist
Performance at the Deutsches Theater, Berlin
Two basic traits are united in Kleist's nature. He combines a sense of the great and the powerful with a devotion to the mysterious, to the dark and incomprehensible forces in human life. These two directions of his work come together in wonderful artistic harmony in his historical knightly play "Das Käthchen von Heilbronn". Count Wetter vom Strahl is a truly chivalrous character, and he is gifted with a sentimental life like a mystical enthusiast. Käthchen von Heilbronn is a brave, well-behaved girl, and the chains that bind her to the count are mysterious. The natural and the supernatural work together in the drama in a way that only a poet can bring them together, who looks into natural reality with bold powers of observation and at the same time has the firm belief that this natural way of being is only one part of the world.
Kleist's ability to draw complicated characters is unlimited. There are few figures in poetry who stand before us as true as Käthchen's father, Theobald Friedeborn. It takes immeasurable poetic power to portray a man whose error is such a greatness. This Theobald Friedeborn could say the most banal and stupid things: we would be captivated by them as by the highest truths.
Emanuel Reicher's portrayal of this Friedeborn is perfect down to the smallest detail. I sat there with the deepest satisfaction, and with admiring excitement I followed the piece of psychology that Reicher reveals in his portrayal of the armourer from Heilbronn. This role by Reicher is one of those acting performances that you never forget once you've seen it.
And Agnes Sorma as Käthchen! I can't think of a more beautiful harmony between a simple, unpretentious bourgeois character and a dreamy, otherworldly nature. I have heard that there are people who have not felt this. But they have a preconceived idea of what something like that should be like. Agnes Sorma has the truest sense of what it is like.
Unfortunately, nothing in the world is perfect. And perhaps that's why Count Wetter vom Strahl was so inadequately represented by Hermann Leffler. It was unbearable for me to see this poor art next to the perfect art of Agnes Sorma and Emanuel Reicher. With Agnes Sorma everything seems natural, with Hermann Leffler everything seems made. Nothing comes naturally from his mouth, everything is forced. Nevertheless, it can be said that Otto Brahm deserves great credit for bringing our great Heinrich von Kleist back to vivid memory with this performance.
«DAS KÄTHCHEN VON HEILBRONN»
Schauspiel in fünf Akten von Heinrich von Kleist
Aufführung im Deutschen Theater, Berlin
Zwei Grundzüge sind in Kleists Natur vereinigt. Der Sinn für das Große, das Kraftvolle verbindet sich bei ihm mit der Hingabe an das Geheimnisvolle, an die dunklen und unverständlichen Mächte im Menschenleben. In wunderbarer künstlerischer Harmonie wirken diese beiden Richtungen seines Schaffens in seinem historischen Ritterschauspiel «Das Käthchen von Heilbronn» zusammen. Eine echt ritterliche Persönlichkeit ist der Graf Wetter vom Strahl, und mit einem Empfindungsleben ist er begabt wie ein mystischer Schwärmer. Ein wackeres, braves Mädchen ist das Käthchen von Heilbronn, und geheimnisvoll sind die Ketten, die sie an den Grafen binden. Das Natürliche und das Übernatürliche wirken in dem Drama zusammen in der Weise, wie nur ein Dichter sie zusammenbringen kann, der mit kühner Beobachtungsgabe in die natürliche Wirklichkeit sieht und der zugleich den festen Glauben hat, daß diese natürliche Art des Daseins nur der eine Teil der Welt ist.
Das Vermögen Kleists, komplizierte Charaktere zu zeichnen, ist ein unbegrenztes. Es gibt wenige Gestalten der Dichtung, die so wahr vor uns stehen wie Käthchens Vater, Theobald Friedeborn. Eine unermeßliche dichterische Kraft gehört dazu, einen Menschen darzustellen, in dessen Irrtum eine solche Größe liegt. Dieser Theobald Friedeborn könnte die banalsten und dümmsten Dinge sagen: wir würden von ihnen gefesselt sein wie von höchsten Wahrheiten.
Emanuel Reichers Darstellung dieses Friedeborn ist vollendet bis in die kleinsten Züge hinein. Mit tiefster Befriedigung saß ich da, und in bewundernder Erregung verfolgte ich das Stück Psychologie, das Reicher offenbart, indem er den Waffenschmied aus Heilbronn darstellt. Diese Rolle Reichers gehört zu den schauspielerischen Leistungen, die man nie wieder vergißt, wenn man sie einmal gesehen hat.
Und Agnes Sorma als Käthchen! Einen holderen Einklang zwischen schlichter, bürgerlich-anspruchsloser Art und träumerischem, weltentrücktem Wesen kann ich mir nicht denken. Ich habe gehört, daß es Menschen gibt, die das nicht empfunden haben. Aber die haben eine zurechtgelegte Vorstellung davon, wie so etwas sein soll. Agnes Sorma hat die wahrste Empfindung davon, wie es ist.
Leider ist nichts in der Welt vollkommen. Und vielleicht deshalb war der Graf Wetter vom Strahl durch Hermann Leffler so ungenügend vertreten. Es war mir unerträglich, diese geringe Kunst neben der vollendeten von Agnes Sorma und Emanuel Reicher zu sehen. Bei Agnes Sorma wirkt alles wie Natur, bei Hermann Leffler erscheint alles gemacht. Nichts kommt wie selbstverständlich aus seinem Munde, alles ist herausgezwungen. Dennoch darf man sagen, daß es Otto Brahm hoch anzurechnen ist, mit dieser Vorstellung unseren großen Heinrich von Kleist uns wieder in lebendige Erinnerung gebracht zu haben.