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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Collected Essays on Literature 1884-1902
GA 32

Automated Translation

26. Max Stirner and Friedrich Nietzsche

Appearances of the modern mind and the nature of man. By Robert Schellwien

Leipzig 1892, C. E. M. Pfeffer

Few publications in contemporary philosophical literature can compare with this book in terms of profundity, sharp conceptualization and scientific thoroughness. We are dealing with a very important publication. The author has what so many lack today: the courage of thought that dares to tackle the central problems of the world, and also the necessary confidence in our human power of thought that is needed to solve the highest tasks. Schellwien is an idealist. He considers the phenomena given by experience to be a content lifted out of the dark sea of the unconscious into the sphere of the conscious by the human "I". The "I" is only a post-creator, but insofar as the force living and working in it is identical with the primordial force of the universe, it is at the same time the creator of the world content given to us. For Schellwien, the real task of philosophy is to understand the latter as a birth from the unconscious, which comes about through the "I". For Schellwien, the laws that constitute the world are only the laws of our own "I", which confront us as an object. The author aptly explains how the mechanical explanation of nature arises from the fact that man perceives the laws of the object, but is not aware that these laws are ultimately those of his own spiritual organism. In this way he arrives at the view that in every appearance of the world he recognizes a twofold aspect: the given, objective side, and the subjective, the concept or idea of the thing. Both together are equally important to him for grasping the full reality. This brings him closer to the view that the writer of these lines himself holds and has repeatedly expressed. Most recently in his writing: "Wahrheit und Wissenschaft" (Weimar, Herm. Weißbach, 1892) p. 34 with the words: "Cognition is thus based on the fact that the content of the world is originally given to us in a form that does not completely reveal it, but which has a second essential side in addition to what it directly presents. This second, originally not given side of the content of the world is revealed through cognition. What appears separate to us in thinking is therefore not empty forms, but a sum of determinations (categories), which, however, are form for the world content. Only the form of the world content gained through cognition, in which both sides of the world content are united, can be called reality." Schellwien also does not believe in the dull Philistine view that the law of the world exists only in space and time, and that the human spirit is thrown into a corner as an empty vessel to stand there until some drop of experiential knowledge happens to fall into it. He does not think of the mind as being so oblivious to the world, but full of content, so that something comes out when it brings the treasures lying in its depths to the surface. The author does not want to deny the importance of experience: but he knows that we can only enlighten ourselves about the actual nature of the world by seeking the solution to the actual riddle in the courageous unrolling of our own "I". Schellwien attributes this development of our spiritual content to this will. We cannot agree with him on this. This will is superfluous. The spiritual content is the power in itself that unfolds from itself. On this point the author has not yet sufficiently freed himself from the Schopenhauerianism from which he evidently started. Only when he completely discards this crutch can he clearly recognize the original light of the absolute spirit based on its own content. He will then realize that the idea does not need the aid of the will in order to be, but that the phenomena of the will themselves lead back to the idea in their depths. On the whole, Schellwien shows himself to be a philosopher who wants to draw the content of his science from the essence of human individuality. However, it is not the ego as an individual, arbitrary entity that is his foundation, but the concrete-personal, which has the advantage over all other world entities that it contains the general, the abstract as something concrete and full of content. In this, he rises above Stirner and Nietzsche, of whom he gives an excellent characterization in the first two chapters of his book.

26. Max Stirner und Friedrich Nietzsche

Erscheinungen des modernen Geistes und das Wesen des Menschen. Von Robert Schellwien

Leipzig 1892, C. E. M. Pfeffer

Wenige Erscheinungen der gegenwärtigen philosophischen Literatur können sich an Tiefsinn, scharfgeprägter Begriffsgestaltung und wissenschaftlicher Gründlichkeit mit diesem Buche messen. Wir haben es mit einer sehr bedeutenden Publikation zu tun. Der Verfasser hat dasjenige, was heute so vielen fehlt: den Mut des Gedankens, der sich an die zentralen Weltprobleme heranwagt, und auch das notwendige Vertrauen in unsere menschliche Denkkraft, das zur Lösung der höchsten Aufgaben gehört. Schellwien ist Idealist. Er hält die erfahrungsmäßig gegebenen Erscheinungen für einen durch das «Ich» des Menschen aus dem dunklen Meere des Unbewussten in die Sphäre des Bewussten heraufgehobenen Inhalt. Das «Ich» ist zwar nur Nachschöpfer, aber insofern die in demselben lebende und wirkende Kraft identisch ist mit der Urkraft des Universums, ist es zugleich der Schöpfer des uns gegebenen Weltinhaltes. Den Letzteren als eine Geburt aus dem Unbewaussten, die durch das «Ich» zustande kommt, zu begreifen, ist für Schellwien die eigentliche Aufgabe der Philosophie. Die Gesetze, welche die Welt konstituieren, sind für Schellwien nur die Gesetze des eigenen «Ich», die uns als Objekt gegenübertreten. Treffend führt der Verfasser aus, wie die mechanische Naturerklärung daraus entspringt, dass der Mensch im Objekte wohl die Gesetzlichkeit wahrnimmt, aber sich dessen nicht bewusst ist, dass diese Gesetze im letzten Grunde die seines eigenen geistigen Organismus sind. Auf diese Weise kommt er zu der Ansicht, in jeder Erscheinung der Welt ein Zweifaches anzuerkennen: die gegebene, objektive Seite, und die subjektive, den Begriff oder die Idee der Sache. Beide zusammen sind ihm gleich wichtig für das Erfassen der vollen Wirklichkeit. Damit nähert er sich der Auffassung, die der Schreiber dieser Zeilen selbst vertritt und wiederholt ausgesprochen hat. Zuletzt in seiner Schrift: «Wahrheit und Wissenschaft» (Weimar, Herm. Weißbach, 1892) S. 34 mit den Worten: «Das Erkennen beruht also darauf, dass uns der Weltinhalt ursprünglich in einer Form gegeben ist, die ihn nicht ganz enthüllt, sondern die außer dem, was sie unmittelbar darbietet, noch eine zweite wesentliche Seite hat. Diese zweite, ursprünglich nicht gegebene Seite des Weltinhaltes wird durch die Erkenntnis enthüllt. Was uns im Denken abgesondert erscheint, sind also nicht leere Formen, sondern eine Summe von Bestimmungen (Kategorien), die aber für den Weltinhalt Form sind. Erst die durch die Erkenntnis gewonnene Gestalt des Weltinhalts, in der beide aufgezeigte Seiten desselben vereinigt sind, kann Wirklichkeit genannt werden.» Auch Schellwien glaubt nicht an die öde Philisteransicht, dass die Weltgesetzlichkeit nur in Raum und in der Zeit vorhanden sei, und dass der Menschengeist als ein leeres Gefäß in eine Ecke geworfen ist, um da zu stehen, bis ihm irgendein Tropfen erfahrungsmäßiger Erkenntnis zufällig hineinfällt. Er denkt sich den Geist nicht so weltvergessen, sondern inhaltvoll, sodass etwas herauskommt, wenn er die in seinen Tiefen liegenden Schätze an die Oberfläche schafft. Der Verfasser will der Erfahrung ihre Bedeutung durchaus nicht absprechen: aber er weiß, dass wir über das eigentliche Wesen der Welt uns nur dadurch aufklären können, dass wir die Lösung des eigentlichen Rätsels in dem wackeren Entrollen des eigenen «Ich» suchen. Schellwien schreibt diese Entwicklung unseres Geistesinhaltes diesem Willen zu. Hierin können wir ihm nicht zustimmen. Dieser Wille ist überflüssig. Der Geistesinhalt ist die Kraft in sich, die sich aus sich selbst entfaltet. Der Verfasser hat sich in diesem Punkte von dem Schopenhauerianismus, von dem er offenbar ausgegangen ist, noch nicht genügend freigemacht. Erst wenn er diese Krücke völlig ablegen wird, kann er das ursprüngliche Licht des absoluten, auf seinen eigenen Inhalt gestützten Geistes klar erkennen. Er wird dann einsehen, dass die Idee nicht die Beihilfe des Willens braucht, um zu sein, sondern dass die Willensphänomene selbst in ihren Tiefen auf die Idee zurückführen. Schellwien zeigt sich im Ganzen als ein Philosoph, der den Inhalt seiner Wissenschaft aus dem Wesen der menschlichen Individualität schöpfen will. Aber nicht das Ich als einzelnes, willkürliches ist sein Untergrund, sondern das Konkret-Persönliche, welches vor allen andern Weltwesenheiten den Vorzug hat, dass es das Allgemeine, Abstrakte als Konkretes, Inhaltvolles enthält. Er erhebt sich dadurch über Stirner und Nietzsche, von denen er in den beiden ersten Kapiteln seines Buches eine vortreffliche Charakteristik gibt.