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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Vom Menschenrätsel
GA 20

Eine vergessene Strömung im deutschen Gedankenleben

Fichte, Schelling und Hegel erscheinen in ihrer vollen Bedeutung ganz besonders dem, der auf die weittragenden Anregungen blickt, die sie für Persönlichkeiten hatten, denen eine weit geringere geistige Spannkraft als ihnen selbst eigen war. Es treibt und wirkt etwas in den Seelen dieser Denkerdreiheit, das in ihnen selbst nicht voll zum Ausdruck kommen konnte. Und, was so treibt als Grundton in den Seelen dieser Denker: es wirkt in Nachfolgern lebendig weiter und bringt diese zu geistgemäßen Weltanschauungen, die von den großen Vorgängern selbst nicht erreicht werden konnten, weil diese gewissermaßen ihre seelische Spannkraft in ersten Anläufen erschöpfen mußten.

So tritt in Johann Gottlieb Fichtes Sohn, Immanuel Hermann Fichte, ein Denker auf, der in das Geistige tiefer einzudringen versucht als sein Vater, und als Schelling und Hegel. Wer einen solchen Versuch wagt, der wird nicht nur von außen her den Widerspruch aller Ängstlichen in Weltanschauungsfragen außer ihm hören; er wird diesen Widerspruch, wenn er besonnener Denker ist, auch aus der eigenen Seele heraus deutlich wahrnehmen. Gibt es denn wirklich eine Möglichkeit, in der Menschenseele Erkenntniskräfte zu entbinden, die in Gebiete führen, aus denen die Sinne keine Anschauung geben? Was kann die Wirklichkeit solcher Gebiete verbürgen, was den Unterschied solcher Wirklichkeit von den Erzeugnissen der Phantasie und Träumerei kennzeichnen? Wer den Geist dieses Widerspruches nicht gewissermaßen wie den treuen Begleiter seiner Besonnenheit stets an seiner Seite hat, der wird mit seinen geisteswissenschaftlichen Versuchen leicht straucheln; wer ihn hat, wird in ihm einen hohen Lebenswert erkennen. - Wer sich in die Ausführungen Immanuel Hermann Fichtes einläßt, wird finden können, daß von seinen großen Vorgängern in ihn eine Geistesart übergegangen ist, die ebenso seine Schritte in das Geistgebiet kräftig macht, wie sie ihm Besonnenheit in dem angedeuteten Sinne verleiht.

Der Gesichtspunkt Hegelscher Weltanschauung, der die Geistwesenheit der Ideenwelt zur Grundüberzeugung macht, konnte auch für Immanuel Hermann Fichte Ausgangspunkt seiner Gedankenentwickelung sein. Doch empfand er es als Schwäche dieser Weltanschauung, daß sie von ihrem übersinnlichen Gesichtspunkte aus doch nur das schaut, was in der Sinnenwelt offenbar ist. Wer Immanuel Hermann Fichtes Anschauungen nachlebt, der kann etwa das folgende als deren Grundtöne empfinden. Die Seele erlebt sich selbst auf eine übersinnliche Art, wenn sie sich über die Sinnesanschauung zum Weben im Ideenreiche erhebt. Sie hat sich damit nicht nur befähigt, die Sinneswelt anders anzusehen, als die Sinne sie ansehen - was der Hegelschen Weltanschauung entsprechen würde -; sie hat vielmehr dadurch ein Selbsterlebnis, das sie durch nichts haben kann, was in der Sinneswelt zu finden ist. Sie weiß nunmehr von etwas, was selbst übersinnlich an ihr ist. Dieses «Etwas» kann nicht bloß «die Idee» ihres sinnlichen Leibes sein. Es muß vielmehr ein lebendig Wesenhaftes sein, das dem sinnlichen Leib so zugrunde liegt, daß dieser im Sinne seiner Idee gebildet ist. So wird Immanuel Hermann Fichte über den sinnlichen Leib hinaus zu einem übersinnlichen Leib geführt, der aus seinem Leben heraus den ersteren bildet. Hegel schreitet von der Sinnesanschauung zum Denken über die Sinnesanschauung fort. Fichte sucht im Menschen das Wesen, welches das Denken als ein übersinnliches erleben kann. Hegel müßte, wenn er im Denken etwas Übersinnliches sehen will, diesem Denken selber die Fähigkeit des Denkens zuschreiben. Fichte kann das nicht mitmachen. Er muß sich sagen: Soll man nicht den sinnlichen Leib selbst als den Erzeuger der Gedanken ansehen, so ist man gezwungen, über ihn hinaus ein Übersinnliches anzunehmen. Getrieben von einer solchen Anschauung betrachtet Fichte den menschlichen Sinnenleib naturwissenschaftlich (physiologisch), und er findet, daß eine solche Betrachtung, wenn sie nur unbefangen genug ist, genötigt ist, dem sinnlichen Leibe einen übersinnlichen zugrunde zu legen. Im 118. und 119. Paragraph seiner «Anthropologie» (2. Auflage 1860) sagt er darüber: «In den Stoffelementen daher kann das wahrhaft Beharrende, jenes einende Formprinzip des Leibes nicht gefunden werden, welches sich während unseres ganzen Lebens wirksam erweist». - «So werden wir auf eine zweite, wesentlich andere Ursache im Leibe hingewiesen.» - «Indem» dieses «das eigentlich im Stoffwechsel Beharrliche enthält, ist es der wahre, innere, unsichtbare, aber in aller sichtbaren Stofflichkeit gegenwärtige Leib. Das andere, die äußere Erscheinung desselben, aus unablässigem Stoffwechsel gebildet, möge fortan <Körper> heißen, der wahrhaft nicht beharrlich und nicht eins, der bloße Effekt oder das Nachbild jener inneren Leiblichkeit ist, welche ihn in die wechselnde Stoffwelt hineinwirft, gleichwie etwa die magnetische Kraft aus den Teilen des Eisenfeilstaubes sich einen scheinbar dichten Körper bereitet, der aber nach allen Seiten zerstäubt, wenn die bindende Gewalt ihm entzogen ist.»

Für Fichte ist damit die Aussicht eröffnet, herauszukommen aus der Sinnenwelt, in welcher der Mensch zwischen Geburt und Tod wirkt, in eine übersinnliche Welt, der er durch den unsichtbaren Leib so verknüpft ist, wie der sinnlichen durch den sichtbaren. Denn die Erkenntnis dieses unsichtbaren Leibes bringt ihn zu der Ansicht, die er mit den Worten ausspricht: «Denn kaum braucht hier noch gefragt zu werden, wie der Mensch an sich selbst sich verhalte - in diesem Todesvorgange? Dieser bleibt auch nach dem letzten, uns unsichtbaren Akte des Lebensprozesses in seinem Wesen ganz derselbe nach Geist und Organisationskraft, welcher er vorher war. Seine Integrität ist bewahrt; denn er hat durchaus nichts verloren von dem, was sein war und zu seiner Substanz gehörte während des sichtbaren Lebens. Er kehrt nur im Tode in die unsichtbare Welt zurück, oder vielmehr, da er dieselbe nie verlassen hatte, da sie das eigentlich Beharrende in allem Sichtbaren ist, - er hat nur eine bestimmte Form der Sichtbarkeit abgestreift. <Totsein> bedeutet lediglich, der gewöhnlichen Sinnesauffassung nicht mehr perceptibel (wahrnehmbar) bleiben, ganz auf gleiche Weise, wie auch das eigentlich Reale, die letzten Gründe der Körpererscheinungen den Sinnen impereeptibel (unwahrnehmbar) sind.» Und so sicher fühlt sich Fichte mit einem solchen Gedanken in der übersinnlichen Welt stehend, daß er sagen kann: «Mit diesem Begriffe der Seelenfortdauer überspringen wir daher nicht nur die Erfahrung und greifen in ein unbekanntes Gebiet bloß illusorischer Existenzen hinüber, sondern wir befinden uns mit ihm gerade mitten in der begreiflichen, dem Denken zugänglichen Wirklichkeit. Das Gegenteil davon, ein Aufhören der Seele zu behaupten, wäre das Naturwidrige, aller Erfahrungsanalogie Widersprechende. Die <gestorbene>, d.h. sinnlich unsichtbar gewordene Seele existiert um nichts weniger, unentrückt ihren ursprünglichen Lebensbedingungen fort. ... Ihrer Organisationskraft muß nur ein anderes Verleiblichungsmittel sich darbieten, um auch in neuer leiblicher Wirksamkeit dazustehen....» (S 133 und S 134 von Fichtes «Anthropologie».)

Von solchen Anschauungen aus eröffnet sich für Immanuel Hermann Fichte die Möglichkeit einer Selbsterkenntnis des Menschen, die dieser erlangt, wenn er von dem Gesichtspunkt aus sich betrachtet, welchen er gewinnt durch das Erleben in seiner übersinnlichen Wesenheit. Seine sinnliche Wesenheit bringt den Menschen bis zum Denken. Doch im Denken ergreift er sich als übersinnliches Wesen. Erhebt er das bloße Denken zum inneren Erleben, wodurch es nicht mehr bloß Denken ist, sondern übersinnliches Anschauen, so gewinnt er eine Wissensart, durch die er nicht mehr nur auf Sinnliches, sondern Übersinnliches hinschaut. Ist Anthropologie die Wissenschaft vom Menschen, wenn dieser sein in der Sinneswelt befindliches Teil betrachtet, so kommt durch die Anschauung des Übersinnlichen eine andere Wissenschaft zum Vorschein, über die sich Immanuel Hermann Fichte so ausspricht (S 270): «... die Anthropologie endet in dem von den mannigfaltigsten Seiten her begründeten Ergebnisse, daß der Mensch nach der wahren Eigenschaft seines Wesens, wie in der eigentlichen Quelle seines Bewußtseins, einer übersinnlichen Welt angehöre. Das Sinnenbewußtsein dagegen und die auf seinem Augpunkte entstehende phänomenale Welt (Erscheinungswelt) mit dem gesamten, auch menschlichen Sinnenleben, haben keine andere Bedeutung, als nur die Stätte zu sein, in welcher jenes übersinnliche Leben des Geistes sich vollzieht, indem er durch frei bewußte eigene Tat den jenseitigen Geistesgehalt der Ideen in die Sinnenwelt einführt. ...» Diese gründliche Erfassung des Menschenwesens erhebt nunmehr die «Anthropologie» in ihrem Endresultate zur «Anthroposophie».

Durch Immanuel Hermann Fichte ist der Erkenntnistrieb, der im deutschen Weltanschauungs-Idealismus sich kundgibt, dazu gebracht worden, die ersten derjenigen Schritte zu unternehmen, welche die menschliche Einsicht zu einer Wissenschaft der geistigen Welt führen können. In ähnlicher Art wie Immanuel Hermann Fichte die Ideen seiner Vorgänger: Johann Gottlieb Fichte, Schelling und Hegel weiterzuführen sucht, strebten dasselbe noch viele andere Geister an. Denn dieser deutsche Idealismus deutet auf die Keimkraft zu einer wirklichen Entwickelung derjenigen Erkenntniskräfte des Menschen, die Übersinnlich-Geistiges so schauen wie die Sinne Sinnlich-Stoffliches schauen. Hier soll nur auf einige dieser Geister der Blick gewendet werden. Wie fruchtbar sich die deutsche idealistische Geistesströmung nach dieser Richtung hin erweist, sieht man, wenn man nicht bloß auf diejenigen Geister deutet, die in den gebräuchlichen Handbüchern über Philosophie-Geschichte behandelt werden, sondern auch auf solche, deren geistiges Wirken in engere Grenzen eingeschlossen war. Es gibt zum Beispiel «Kleine Schriften» von dem am 16. August 1867 in Bromberg als Gymnasialdirektor verstorbenen Johann Heinrich Deinhardt (Hermann Schmidt hat diese Schriften 1869 in Leipzig, bei B.G. Teubner, herausgegeben). Man findet darin Aufsätze über «den Gegensatz des Pantheismus und des Deismus in den vorchristlichen Religionen», über «den Begriff der Religion», über «Kepler, Leben und Charakter» usw. Der Grundton dieser Abhandlungen ist durchaus ein solcher, der zeigt, wie ihres Verfassers Gedankenleben im deutschen Weltanschauungs-Idealismus wurzelt. Einer der Aufsitze spricht über die «Vernunftgründe für die Unsterblichkeit der menschlichen Seele». Dieser Aufsatz verteidigt die Unsterblichkeit zunächst nur mit den Gründen, die sich dem gewöhnlichen Denken ergeben. Allein am Schlusse findet sich die folgende bedeutungsvolle Anmerkung des Herausgebers: «Der Verfasser hatte nach einem Briefe an den Herausgeber vom 14. August 1866 die Absicht, diese Abhandlung bei der Gesamtausgabe seiner gesammelten kleinen Schriften durch eine Bemerkung über den neuen Leib, den sich die Seele schon in diesem Leben ausarbeitete, zu erweitern. Sein im Jahr darauf erfolgender Tod verhinderte die Ausführung dieses Plans.» Wie wirft eine solche Bemerkung ein Streiflicht auf die Anregungen, die vom deutschen Weltanschauungs-Idealismus aus die Geister trieben, in wissenschaftlicher Art in das Geistgebiet einzudringen! Wie viele derartige Versuche würde gegenwärtig jemand auffinden, der nur allein denjenigen nachginge, die in der Literatur noch zu finden sind! Wie viele lassen sie vermuten, die nicht für die Literatur, wohl aber für das Leben ihre Früchte getragen haben! Man blickt da auf eine in dem gegenwärtig herrschenden wissenschaftlichen Zeitbewußtsein wirklich mehr oder weniger vergessene Strömung des deutschen Geisteslebens.

Einer derjenigen Geister, von denen heute kaum gesprochen wird, ist Ignaz Paul Vitalis Troxler. Aus der Reihe seiner zahlreichen Schriften seien hier nur genannt seine 1835 erschienenen «Vorlesungen über Philosophie». Durch sie spricht sich eine Persönlichkeit aus, die durchaus ein Bewußtsein davon hat, wie der Mensch, der sich bloß seiner Sinne und des mit den Beobachtungen der Sinne rechnenden Verstandes bedient, nur einen Teil der Welt erkennen kann. Auch Troxler fühlt sich wie Immanuel Hermann Fichte mit dem Denken in einer übersinnlichen Welt drinnenstehend. Aber er empfindet auch, wie der Mensch, wenn er sich der Kraft entrückt, die ihn an die Sinne bindet, nicht nur sich vor eine Welt stellen kann, die im Hegelschen Sinne erdacht ist, sondern wie er durch diese Entrückung in seinem inneren Wesen das Aufblühen von rein geistigen Erkenntnismitteln erlebt, durch die er eine geistige Welt geistig schaut, wie die Sinne die Sinnenwelt sinnlich schauen. Von einem «übergeistigen Sinn» spricht Troxler. Und man kann sich auf folgende Art eine Vorstellung von dem bilden, was er damit meint. Der Mensch beobachtet die Dinge der Welt durch seine Sinne. Dadurch erhält er sinnliche Bilder von den Dingen. Er denkt dann über diese Bilder nach. Dadurch erschließen sich ihm Gedanken, die nicht mehr das Sinnlich-Bildhafte in sich tragen. Der Mensch fügt also durch die Kraft seines Geistes zu den Sinnesbildern die übersinnlichen Gedanken hinzu. Erlebt er sich nun in der Wesenheit, die in ihm denkt, so daß er über das bloße Denken zu geistigem Erleben aufsteigt, dann ergreift ihn von diesem Erleben aus eine innere rein geistige Kraft des Verbildlichens. Er schaut dann eine Welt in Bildern, die übersinnlich erlebter Wirklichkeit als Offenbarung dienen kann. Diese Bilder sind nicht von den Sinnen empfangen; aber sie sind lebensvoll wie die Sinnesbilder; sie sind nicht Ergebnisse einer Träumerei, sondern die von der Seele bildhaft festgehaltenen Erlebnisse in der übersinnlichen Welt. Im gewöhnlichen Erkennen liegt zuerst das Sinnbild vor, und der Gedanke kommt hinzu im Erkenntnisvorgange - der Gedanke, der nicht sinnlich-bildhaft ist. Im geistigen Erkenntnisvorgange liegt das übersinnliche Erlebnis vor; dieses könnte als solches nicht angeschaut werden, wenn es sich nicht durch eine dem Geist naturgemäße Kraft in das Bild ergösse, das sie zur geistig-anschaulichen Versinnlichung bringt. Ein solches Erkennen ist für Trox1er das des «übergeistigen Sinnes». Und die Bilder dieses übergeistigen Sinnes werden durch den «übersinnlichen Geist» des Menschen so ergriffen, wie in der Sinneserkenntnis die sinnlichen Bilder durch die Vernunft. In dem Zusammenwirken von übersinnlichem Geist mit übergeistigem Sinn entwickelt sich, nach Troxlers Anschauung, das Geisterkennen (vergleiche dazu die sechste der «Vorlesungen über Philosophie» von Troxler).

Von solchen Voraussetzungen ausgehend, erahnt Troxler in dem Menschen, der in der Sinneswelt sich erlebt, einen «höheren Menschen», der diesem zugrunde liegt, und der der übersinnlichen Welt angehört; und er fühlt sich in dieser Meinung im Einklange mit dem, was Friedrich Schlegel ausgesprochen hat. Und so werden ihm wie schon früher Friedrich Schlegel die höchsten in der Sinneswelt sich offenbarenden Eigenschaften und Betätigungen des Menschen zum Ausdrucke von Fähigkeiten des übersinnlichen Menschen. Indem der Mensch in der Sinneswelt steht, eignet seiner Seele die Glaubenskraft. Doch ist diese eben nur die Offenbarung der übersinnlichen Seele durch den sinnlichen Leib. Im Übersinnlichen liegt der Glaubenskraft eine Fähigkeit der Seele zugrunde, die man - will man sie übersinnlich-bildhaft ausdrücken - ein Gehör des übersinnlichen Menschen nennen muß. Und so ist es mit der Kraft des Hoffens. Ihr liegt ein Sehen des übersinnlichen Menschen zugrunde; der Betätigung in Liebe entspricht im «höheren Menschen» die Fähigkeit, im Geiste zu «tasten», zu berühren, wie der Gefühlssinn in der sinnlichen Welt die Fähigkeit des Tastens ist. Troxler spricht sich darüber (auf Seite 107 seiner «Vorlesungen über Philosophie», Bern 1835) in folgender Art aus: «Sehr schön und wahr» hat das Verhältnis des Sinnes- zum Geistesmenschen «unser verewigter Freund, Friedrich Schlegel» ins Licht gesetzt. In seinen Vorlesungen über die Philosophie der Sprache und des Wortes sagt er: «Will man in jenem Alphabet des Bewußtseins, welches die einzelnen Elemente zu den einzelnen Silben und ganzen Worten hergibt, wieder die ersten Anfänge unserer höheren Erkenntnis finden, nachdem Gott selbst den Schlußstein des höchsten Bewußtseins bildet, so muß das Gefühl des Geistes, als der lebendige Mittelpunkt des gesamten Bewußtseins, und als Vereinigungspunkt mit dem höheren angenommen werden. ... Man pflegt diese Grundgefühle des Ewigen sehr häufig als Glauben, Hoffnung und Liebe zu bezeichnen. ... Sind jene drei Grundgefühle, oder Eigenschaften, oder Zustände im Bewußtsein, als ebenso viele Erkenntnis- und Wahrnehmungs- oder wenn man lieber will, wenigstens Ahnungsorgane des Göttlichen zu betrachten, so darf man sie in dieser Hinsicht, und in Beziehung auf die einem jeden derselben eigentümliche Auffassungsform wohl mit den äußeren Sinnen und Sinneswerkzeugen vergleichen. Da entspricht denn die Liebe in der ersten erregenden Seelenberührung, in der fortwährenden Anziehung, und endlich vollkommenen Vereinigung auffallend dem äußeren Gefühlssinn; der Glaube ist das innere Gehör des Geistes, welches das gegebene Wort einer höheren Mitteilung vereint, auffaßt und in sich bewahrt; die Hoffnung aber ist das Auge, dessen Licht die mit tiefem Verlangen ersehnten Gegenstände schon aus der weiten Ferne erblickt.» Daß nun Troxler über den Sinn, den Schlegel diesen Sätzen gegeben, hinausgeht und durchaus sie in dem Sinne denkt, wie oben angedeutet ist, das zeigen schon die Worte, die er hinzusetzt: «Weit über Verstand und Wille, wie deren Wechselwirkung, weit über Vernunft und Freiheit, und ihre Einheit sind diese in einem Bewußtsein von Geist und Herz sich einenden Gemütsideen erhaben, und wie Verstand und Wille, Vernunft und Freiheit, und alle unter ihnen liegenden seelischen Fähigkeiten und Vermögen eine erdwärts gewandte Reflexion darstellen, sind diese drei ein himmelwärts gerichtetes Bewußtsein, das von einem wahrhaft göttlichen Lichte erleuchtet wird.» Ein gleiches zeigt sich dadurch, daß auch Troxler sich über den übersinnlichen Seelenleib ganz in der Art ausspricht, die bei Immanuel Hermann Fichte anzutreffen ist: «Schon früher haben die Philosophen einen feinen, hehren Seelleib unterschieden von dem gröberen Körper ... eine Seele, die ein Bild des Leibes an sich habe, das sie Schema nannten, und das ihnen der innere höhere Mensch war.... In der neuesten Zeit selbst Kant in den Träumen eines Geistersehers träumt ernsthaft im Scherze einen ganzen inwendigen seelischen Menschen, der alle Gliedmaßen des auswendigen an seinem Geisterleib trage; Lavater dichtet und denkt ebenso; und selbst, wenn Jean Paul humoristisch über das Bonetsche Unterziehröckchen und das Platnersche Seelenschnürleibchen scherzt, die im gröberen Körperüberrock und Marterkittel stecken sollen, so hören wir ihn doch auch wieder fragen, <wozu und woher wurden diese außerordentlichen Anlagen und Wünsche in uns gelegt, die bloß wie verschluckte Diamanten unsere erdige Hülle langsam zerschneiden? ... In den steinernen Gliedern (des Menschen) wachsen und reifen seine lebendigen nach einer uns unbekannten Lebensweise>. Wir könnten» - sagt Troxler weiter - «noch eine Unzahl ähnlicher Denk- und Dichtweisen anführen, welche am Ende nur verschiedene Anschauungen und Vorstellungen sind, in welchen ... die wahre, einzige Lehre von der Individualität und Unsterblichkeit des Menschen enthalten» ist.

Auch Troxler spricht davon, daß auf dem von ihm gesuchten Erkenntniswege eine Wissenschaft vom Menschen möglich ist, durch die - um seine eigenen Ausdrücke zu gebrauchen - der «übergeistige Sinn» im Verein mit dem «übersinnlichen Geist» die übersinnliche Wesenheit des Menschen in einer «Anthroposophie» erfassen. Auf 5.101 seiner «Vorlesungen» findet sich der Satz: «Wenn es nun höchst erfreulich ist, daß die neueste Philosophie, welche ... in jeder Anthroposophie ... sich offenbaren muß, emporwindet, so ist doch nicht zu übersehen, daß diese Idee nicht eine Frucht der Spekulation sein kann, und die wahrhafte Individualität des Menschen weder mit dem, was sie als subjektiven Geist oder endliches Ich aufstellt, noch mit dem, was sie als absoluten Geist oder absolute Persönlichkeit diesem gegenüberstellt, verwechselt werden darf.»

Es ist kein Zweifel, daß Troxler mehr in einem dunklen Gefühle als in einer klaren Anschauung den Weg über Hegels Gedankenwelt hinaus gesucht hat. Dennoch kann man in seinem Erkenntnisleben beobachten, wie die Anregungen des deutschen Weltanschauungsidealismus Fichtes, Schellings, Hegels bei einer Persönlichkeit wirken, die nicht die Ansichten dieser Denker-Dreiheit zu den ihrigen machen kann; die aber ihre eigenen Wege dadurch findet, daß sie diese Anregungen empfängt.

Zu den vergessenen, ja schon während ihres Lebens unbeachteten Persönlichkeiten der deutschen Geistesentwickelung gehört Karl Christian Planck. Geboren ist er 1819 in Stuttgart, gestorben 1880; er war Professor am Gymnasium in Ulm, später am Seminar in Blaubeuren. Noch 1877 hoffte er, daß man ihm den damals frei gewordenen philosophischen Lehrstuhl in Tübingen übertragen werde. Es geschah nicht. In einer Reihe von Schriften sucht er sich einer Weltanschauung zu nähern, welche ihm als der Ausdruck der geistigen Art des deutschen Volkes erschien. In seinem Buche «Grundlinien einer Wissenschaft der Natur» (1864) spricht er aus, wie er mit den eigenen Gedanken die Gedanken der forschenden deutschen Volksseele darstellen will: «Welche Macht tiefgewurzelter Vorurteile von der bisherigen Anschauung aus seiner - des Verfassers - Schrift entgegensteht, dessen ist er sich vollkommen bewußt; allein, wie schon die Arbeit selbst, trotz aller Ungunst der Umstände, die zufolge der ganzen Lage und Berufsstellung des Verfassers einem Werk dieser Art sich entgegenstellte, doch ihre Durchführung und ihren Weg in die Öffentlichkeit sich erkämpft hat, so ist er auch gewiß, daß das, was sich jetzt erst seine Anerkennung erkämpfen muß, einst als die einfachste und selbstverständlichste Wahrheit erscheinen wird, und daß darin nicht bloß seine Sache, sondern die wahrhaft deutsche Anschauung der Dinge über alle noch unwürdig äußerliche und undeutsche Auffassung der Natur und des Geistes siegen wird. - Was in unbewußter tiefsinniger Ahnung schon unsere mittelalterliche Dichtung vorgebildet hat, das wird endlich in der Reife der Zeiten an unserer Nation sich erfüllen. Die unpraktische, mit Schaden und Spott heimgesuchte Innerlichkeit deutschen Geistes (wie Wolfram sie in seinem Parzival schildert) erringt endlich in der Kraft ihres unablässigen Strebens das Höchste; sie schaut den letzten einfachen Gesetzen der Dinge und des menschlichen Daseins selbst auf den Grund; und was die Dichtung phantastisch mittelalterlich in den Wundern des Grals versinnbildlicht hat, dessen Herrschaft ihr Held erringt, das erhält umgekehrt seine rein natürliche Erfüllung und Wirklichkeit in der bleibenden Erkenntnis der Natur und des Geistes selbst.» - In der letzten Zeit seines Lebens faßte Karl Christian Planck sein Gedankenwerk zusammen in einem Buche, das 1881 der Philosoph Karl Köstlin als das «Testament eines Deutschen» herausgegeben hat.

Es ist durchaus eine ähnliche Art von Empfindung des Erkenntnisrätsels in Plancks Seele wahrzunehmen, wie sie bei den andern in dieser Schrift charakterisierten Denkerpersönlichkeiten sich offenbart. Dies Erkenntnisrätsel in seiner ursprünglichen Gestalt wird für Planck Ausgangspunkt seines Forschens. Ist im Umkreis der menschlichen Gedankenwelt die Kraft zu finden, durch die der Mensch die wahre Wirklichkeit erfassen kann, die Wirklichkeit, die seinem Dasein Sinn und Bedeutung im Weltendasein gibt? In die Natur sieht sich der Mensch hinein- und ihr gegenübergestellt. Er kann sich über das, was in deren Tiefen als wahre Wesenkräfte waltet, wohl Gedanken machen; allein wo ist, was ihm dafür bürgt, daß seine Gedanken irgend eine andere Bedeutung haben, als daß sie Geschöpfe seiner eigenen Seele, ohne Verwandtschaft mit jenen Tiefen sind? Wären sie dieses, so müßte dem Menschen ja unbekannt bleiben, was er selbst ist und wie er in der wahren Welt wurzelt. Durch irgendeine andre Seelenkraft als durch das Denken sich den Weltentiefen nahen zu wollen, lag Planck so fern wie Hegel. Er konnte keine andere Ansicht haben als die, dem Denken müsse sich die echte Wirklichkeit irgendwie ergeben. Aber wie weit man auch ausgreift mit dem Denken, wie man auch die innere Kraft desselben zu erstarken sucht: man bleibt ja doch immer nur im Denken; man stößt in den Weiten und Tiefen des Denkens auf kein Sein. Durch seine eigene Wesenheit scheint sich das Denken von jeder Gemeinschaft mit dem Sein auszuschließen. Doch der Einblick in diese Seinsfremdheit des Denkens wird für Planck nun eben der Lichtstrahl, der ihm lösend auf das Welträtsel fällt. Wenn das Denken gar nicht Anspruch darauf macht, selbst irgendwie etwas von der Wirklichkeit in sich zu tragen, wenn es wahrheitsgemäß sich als das Unwirkliche offenbart, dann erweist es sich doch gerade dadurch als das Werkzeug, um die Wirklichkeit auszudrücken. Wäre es selbst ein Wirkliches, dann könnte die Seele nur in seiner Wirklichkeit weben, und käme aus ihr nicht heraus; ist es selbst unwirklich, dann stört es die Seele durch seine eigene Wirklichkeit nicht; der Mensch ist, indem er denkt, gar nicht in einer Gedankenwirklichkeit, sondern in der Gedankenunwirklichkeit, die eben deshalb dem Menschen sich nicht aufdrängt mit ihrer eigenen Wirklichkeit, sondern die Wirklichkeit ausdrückt, von der sie spricht. Wer im Denken selbst etwas Wirkliches sieht, der muß, nach Plancks Ansicht, auf ein Herankommen an die Wirklichkeit verzichten; denn ihm muß sich das Denken zwischen die Seele und die Wirklichkeit stellen. Ist das Denken selbst nichts, kann es also auch dem Erkennen die Wirklichkeit nicht verbergen, so muß diese im Denken sich offenbaren können.

Mit dieser Ansicht hat Planck zunächst nur den Ausgangspunkt für seine Weltanschauung gewonnen. Denn in dem Gedankenweben, das die Seele im Leben unmittelbar hat, ist keineswegs das reine, sich selbst verleugnende, ja sich verneinende Denken wirksam. Da hinein spielt, was im Vorstellen, Fühlen, Wollen, Wünschen der Seele lebt. Weil dies so ist, entstehen die Trübungen der Weltanschauung. Und Plancks Streben ist, eine solche Weltanschauung zu erringen, in der alles, was sie enthält, Ergebnis des Denkens ist, aber nichts aus dem Denken selbst stammt. In allem, was zu einem Gedanken über die wirkliche Welt gemacht wird, muß auf das geschaut werden, was im Denken lebt, ohne selbst erdacht zu sein. Planck malt sein Weltbild mit einem Denken, das sich selbst aufgibt, um die Welt aus sich leuchten zu lassen.

Als Beispiel wie Planck in solchem Streben zu einem Weltbild gelangen will, sei mit einigen Strichen gekennzeichnet, wie er über das Wesen der Erde denkt. - Wenn jemand die Erde so vorstellt, wie die rein physische Geologie das mit sich bringt, so ist in dieser Vorstellung für Plancks Weltanschauung keine Wahrheit. So die Erde vorzustellen, wäre wie wenn man von einem Baum sprechen wollte und nur den Holzstamm ohne Blätter, Blüten und Früchte im Auge hätte. Ein solcher Stamm kann für den Anblick der physischen Augen Wirklichkeit genannt werden. Im höheren Sinne ist er keine Wirklichkeit. Denn er kann, so wie er ist, im Weltenzusammenhang für sich nicht vorkommen. Er kann das nur sein, was er ist, indem zugleich die Triebkräfte in ihm entstehen, die Blätter, Blüten und Früchte entfalten. Man muß in der Wirklichkeit des Stammes diese Triebkräfte mitdenken und muß sich bewußt sein, daß der bloße Stamm nur ein über sich selbst täuschendes Wirklichkeitsbild gibt. Daß irgend etwas vor den Sinnen da ist, das ist noch kein Beweis, daß es so auch eine Wirklichkeit ist. Die Erde als die Gesamtheit dessen vorgestellt, was sie an mineralischen Gebilden und innerhalb dieser Gebilde vorkommenden Tatsachen zeigt, ist keine Wirklichkeit. Wer Wirkliches über die Erde vorstellen will, der muß sie so vorstellen, daß ihr Mineralreich schon in sich enthält das Pflanzenreich, wie das Stammgebilde des Baumes die Blätter und Blüten; ja daß in der «wahren Erde» schon das Tierreich und der Mensch mit drinnen sind. Man sage nicht, das sei doch eine Selbstverständlichkeit, und im Grunde täusche sich Planck doch nur darüber, daß dies doch jeder ebenso halte wie er. Planck müßte darauf erwidern: wo ist der, der dies tut? Gewiß stellen alle die Erde als den Weltkörper vor mit seinen Pflanzen, Tieren und Menschen. Aber sie stellen eben die mineralische Erde vor, aus ihren geologischen Schichten bestehend, aus ihrer Oberfläche heraus die Pflanzen wachsend, auf ihr die Tiere und Menschen herumwandelnd. Aber diese Summenerde, aus Mineralien, Pflanzen, Tieren und Menschen addiert, gibt es gar nicht. Die ist bloß ein Trugbild der Sinne. Dafür gibt es eine wahre Erde, die ist ein ganz übersinnliches Gebilde, ein unsichtbares Wesen, das aus sich heraus den mineralischen Untergrund sich gibt; sich aber nicht in diesem erschöpft, sondern in dem Pflanzenreiche weiter sich offenbart, dann im Tierreiche, dann im Menschenreiche. Für das Mineralreich, das Pflanzen-, das Tier-, das Menschenreich hat nur derjenige den richtigen Blick, der das Ganze der Erde in seiner Übersinnlichkeit schaut, und der fühlt, wie zum Beispiel die Vorstellung des stofflichen Mineralreiches für sich, ohne die Vorstellung der Seelenentwickelung der Menschheit ein Truggebilde ist. Gewiß, man kann ein stoffliches Mineralreich vorstellen; aber man lebt in der Weltenlüge und nicht in der Weltenwahrheit, wenn man dabei nicht das Gefühl hat, mit einer solchen Vorstellung webt man in dem gleichen Wahn, wie wenn man sich denken wollte, ein Mensch, dem der Kopf abgeschlagen ist, werde weiter ruhig durchs Leben wandeln.

Es könnte gesagt werden: Wenn wahrhafte Erkenntnis das hier Angedeutete notwendig mache, dann könnte diese doch niemals erreicht werden; denn wer behauptet, die mineralische Erde sei keine Wirklichkeit, weil sie im Ganzen der Erde geschaut werden müsse, der sollte auch sagen, das Ganze der Erde müsse wieder im Pflanzensystem und so weiter geschaut werden. Wer solchen Einwand macht, hat den Sinn dessen aber nicht erfaßt, das einer geistgemäßen Weltanschauung zugrunde liegt. Es handelt sich nämlich bei allem Erkennen nicht bloß darum, daß man richtig, sondern das man auch wirklichkeitsgemäß denke. Wer von einem Gemälde spricht, kann wohl sagen, man denke nicht wirklichkeitsgemäß, wenn man nur auf eine Person blicke, während drei auf dem Gemälde sind; aber es kann diese Behauptung innerhalb ihrer Tragweite nicht damit widerlegt werden, daß man sagt: niemand verstehe dies Gemälde, der nicht auch alle vorhergehenden desselben Malers kenne. Zum Erkennen der Wirklichkeit ist eben richtiges und wirklichkeitsgemäßes Denken nötig. Das Mineral als Mineral, die Pflanze als Pflanze und so weiter für sich betrachten, kann wirklichkeitsgemäß sein; die mineralische Erde ist kein wirkliches, sondern ein Phantasiegebilde; auch wenn man sich bewußt ist, daß sie nur ein Teil alles Irdischen ist.

Das ist das Bedeutsame bei einer solchen Persönlichkeit wie Planck, daß sie sich in eine Stimmung bringt, durch die sie die Wahrheit eines Gedankens nicht ersinnt, sondern erlebt. Daß sie in der eigenen Seele eine Kraft für sich entfaltet, durch die sie erlebt, wann ein Gedanke nicht gedacht werden darf, weil er sich durch seine eigene Wesenheit ertötet. Das Dasein einer Wirklichkeit zu ergreifen, die ihr eigenes Leben und ihren eigenen Tod in sich trägt, gehört zu solcher Seelenverfassung, die nicht sich auf die Sinneswelt verläßt, daß die ihr sage: dies ist, oder dies ist nicht.

Von diesem Gesichtspunkte aus hat Planck denkend zu begreifen gesucht, was in den Naturerscheinungen, was im Menschendasein lebt, im geschichtlichen, im künstlerischen, im Rechtsleben. Er hat in einem geistvollen Buche über die «Wahrheit und Flachheit des Darwinismus» geschrieben. Dieses Werk nennt er einen «Denkstein zur Geschichte heutiger (1872) deutscher Wissenschaft». Es gibt Menschen, die einer Persönlichkeit wie Planck gegenüber die Empfindung haben, eine solche schwebe in weltfremden Begriffshöhen und habe keinen Sinn für das praktische Leben. Dieses erfordere Menschen, die sich am «wirklichen» Leben  - wie man es nennt - ihr gesundes Urteil bilden. Nun, man kann solcher Empfindung gegenüber auch die Meinung haben: vieles stünde anders im wirklichen Leben, wenn diese behäbige Ansicht vom Leben und der Lebenspraxis in der Wirklichkeit sich weniger breit machte. Wenn dagegen die Meinung sich etwas mehr verbreiten könnte, daß Denker wie Planck, weil sie sich eine Seelenverfassung erwerben, durch die sie mit der wahren Wirklichkeit sich verbinden, auch über die Verhältnisse des Lebens ein wahreres Urteil haben als diejenigen, welche sie Begriffsschwärmer und unpraktische Philosophen nennen. Die Meinung ist auch möglich, daß die solcher angeblichen «Begriffsschwärmerei» abholden, sich so recht lebenspraktisch dünkenden Stumpflinge die Witterung für die wahren Verhältnisse des Lebens verlieren, während sie bei den unpraktischen Philosophen gerade zur Treffsicherheit herangezogen wird. Man kann zu einer solchen Meinung kommen, wenn man Planck betrachtet und bei ihm mit der Höhe philosophischer Ideenbildung verbunden sieht ein weitschauendes, treffendes Urteil für die Bedürfnisse echter Lebenspraxis und für die Geschehnisse des äußeren Lebens. Auch wenn man über manches, was Planck an Ideen über äußere Lebensgestaltung entwickelt hat, anderer Ansicht ist als er - was auch bei dem Verfasser dieser Schrift zutrifft -, so kann man doch zugestehen, daß seine Anschauungen gerade auf diesem Gebiete einen lebenstüchtigen Ausgangspunkt für praktische Fragen abgeben können, von dem weitergeschritten werden kann; selbst wenn das Weiterschreiten zu ganz anderem führt, als wovon ausgegangen wird. Und man sollte meinen: Menschen, die in solcher Art «Begriffsschwärmer» sind und eben dadurch durchschauen, welche Kräfte in dem wirklichen Leben tätig sind, taugten für die Bedürfnisse dieses wirklichen Lebens doch besser als mancher, der sich mit Lebenspraxis gerade deshalb gesättigt glaubt, weil er, nach seiner Ansicht, sich durch die Berührung mit irgend einer Ideenwelt nicht hat «dumm machen lassen». –

(Über die Stellung Karl Christian Plancks in der Weltanschauungsentwickelung der neueren Zeit hat sich der Verfasser dieser Schrift in seinem 1900 erschienenen Buche «Welt- und Lebensanschauungen im neunzehnten Jahrhundert» ausgesprochen, das unter dem Titel «Die Rätsel der Philosophie» 1914 in neuer Auflage erschienen ist.)

Es könnte jemand meinen, es sei ungerechtfertigt, Plancks Gedanken als bedeutsam anzusehen für die Triebkräfte der deutschen Volkheit, da diese Gedanken doch wenig Verbreitung gefunden haben. Eine solche Meinung verkennt, worauf es ankommt, wenn von Wirkung der Volkswesenheit in den Anschauungen der Denker eines Volkes die Rede ist. Was da wirkt, sind die unpersönlichen (oft unterbewußten) Kräfte der Volkheit, die in den Betätigungen des Volkes auf den mannigfaltigsten Gebieten des Daseins leben und die auch in einem solchen Denker die Ideen gestalten. Diese Kräfte waren vor seinem Auftreten da, sind nach demselben wirksam; sie leben, auch wenn nicht von ihnen gesprochen wird; sie leben auch, wenn sie verkannt werden. Und es kann sein, daß sie in einem solchen volksbodenständigen Denker in besonders starker Art wirken, von dem nicht gesprochen wird, weil bis in die Meinungen, die man sich über ihn bildet, weniger hineinstrahlt, was solche Kräfte bergen, als in seine Gedanken. Ein solcher Denker kann oftmals einsam stehen nicht nur während seines Lebens, und auch seine Gedanken können einsam stehen in den Meinungen der Nachwelt. Hat man aber die Eigenart seiner Gedanken erfaßt, dann hat man einen Wesenszug der Volksseele erkannt, einen Zug, der in ihm Gedanke geworden ist, und der unverwüstlich bleibt in der Volkheit; bereit in immer neuen Trieben sich zu offenbaren. Unabhängig von der Frage: was ihm gegönnt war, zu wirken, ist die andere: was in ihm gewirkt hat? Und was immer wieder zu gleich gerichteten Leistungen führen wird? Das «Testament eines Deutschen» von Karl Christian Planck ist 1912 in zweiter Auflage neu herausgegeben worden. Es ist schade, daß manches schreibselige Philosophengemüt damals mehr Begeisterung aufbrachte für die leichtgewobenen und für anspruchslose Seelen deshalb auch leichter verständlichen Weltanschauungsgedanken Henri Bergsons als für die streng gefügten, weitausgreifenden Ideen Plancks. Was ist doch alles geschrieben worden über die «Neugestaltung» der Weltanschauung durch Bergson, namentlich von solchen, die die Neuheit einer Weltanschauung so leicht entdecken, weil ihnen das Verständnis, manchmal sogar die Kenntnis dessen fehlt, was längst dagewesen ist. Bezüglich der «Neuheit» einer der Hauptideen Bergsons hat der Verfasser dieser Schrift ebenfalls in seinem Buche «Rätsel der Philosophie» auf den folgenden wichtigen Tatbestand hingewiesen. (Nebenbei nur sei bemerkt, daß dieser Hinweis vor dem gegenwärtigen Kriege geschrieben ist. Vergleiche das Vorwort des zweiten Bandes des genannten Buches.) –

 

Bergson wird durch seine Gedanken zu einem Umgestalten der verbreiteten Entwickelungsidee für organische Wesen geführt. Er setzt nicht an den Anfang dieser Entwickelung das einfachste Lebewesen, um dann durch äußerliche Kräfte aus diesem die komplizierteren bis herauf zum Menschen hervorgehend zu denken, sondern er stellt sich vor, daß im Ausgangspunkte der Entwickelung ein Wesen stehe, das in irgend einer Form den Antrieb schon enthält, Mensch zu werden. Es kann aber diesen Antrieb nur dadurch zur Verwirklichung bringen, daß es andere Antriebe, die auch in ihm liegen, zuerst aus sich abscheidet. Es gewinnt in der Abscheidung der niederen Lebenswesen die Kraft zur Verwirklichung der höheren. So ist der Mensch seiner Wesenheit nach nicht das zuletzt Entstandene, sondern das zuerst, vor allem anderen Wirksame. Er scheidet aus seinen Bildekräften zuerst die anderen Wesen ab, um in dieser Vorarbeit die Kraft zu seinem Hervortreten in die äußere sinnliche Wirklichkeit zu gewinnen. Selbstverständlich wird da mancher einwenden: nun, daß in der Entwickelung der Lebewesen ein innerer Entwickelungstrieb wirkt, haben doch schon Viele gedacht. Und man wird anführen können den längst vorhandenen Gedanken der Zielstrebigkeit; oder Anschauungen, die Naturforscher wie Nägeli und andere gehabt haben. Solche Einwände treffen aber in einem Falle, wie der hier in Frage kommende ist, nicht das Ziel. Denn bei dem Bergsonschen Gedanken handelt es sich nicht darum, von einer allgemeinen Idee einer inneren Entwickelungskraft auszugehen, sondern von einer bestimmten Vorstellung von dem, was der Mensch in seinem vollen Umfange ist; und aus dieser Vorstellung zu ersehen, daß dieser übersinnlich gedachte Mensch in sich die Antriebe hat, die anderen Naturwesen zuerst in die sinnliche Wirklichkeit zu setzen und dann auch sich in diese hineinzustellen.

Nun liegt das Folgende vor. Was bei Bergson in schillernder, leichtgeschürzter Ideenentwickelung zu lesen ist, das hat vorher in gedankenstarker, kraftvoller Art der deutsche Denker Wilhelm Heinrich Preuß zum Ausdrucke gebracht. Preuß ist nun auch eine derjenigen Persönlichkeiten, die der hier geschilderten mehr oder weniger vergessenen Strömung einer geistgemäßen deutschen Weltanschauungsentwickelung angehören. Mit machtvollem Wirklichkeitssinn verbindet Preuß Natur- und Weltanschauung - zum Beispiel in seinem Buche «Geist und Stoff» (1882). Den angeführten Bergsonschen Gedanken findet man bei ihm so ausgedrückt: «Es dürfte ... an der Zeit sein, eine ... Lehre von der Entstehung der organischen Arten aufzustellen, welche sich nicht allein auf einseitig aufgestellte Sätze aus der beschreibenden Naturwissenschaft gründet, sondern auch mit den übrigen Naturgesetzen, welche zugleich auch die Gesetze des menschlichen Denkens sind, in voller Übereinstimmung ist. Eine Lehre zugleich, die alles Hypothesierens bar ist und nur auf strengen Schlüssen aus naturwissenschaftlichen Beobachtungen im weitesten Sinne beruht; eine Lehre, die den Artbegriff nach tatsächlicher Möglichkeit rettet, aber zugleich den von Darwin aufgestellten Begriff der Entwickelung hinübernimmt auf ihr Gebiet und fruchtbar zu machen sucht.

- Der Mittelpunkt dieser neuen Lehre nun ist der Mensch, die nur einmal auf unserem Planeten wiederkehrende Spezies: Homo sapiens. Merkwürdig, daß die älteren Beobachter bei den Naturgegenständen anfingen und sich dann dermaßen verirrten, daß sie den Weg zum Menschen nicht fanden, was ja auch Darwin nur in kümmerlichster und durchaus unbefriedigender Weise gelang, indem er den Stammvater des Herrn der Schöpfung unter den Tieren suchte - während der Naturforscher bei sich als Menschen anfangen müßte, um so fortschreitend durch das ganze Gebiet des Seins und Denkens zur Menschheit zurückzukehren ... Es war nicht Zufall, daß die menschliche Natur aus der irdischen hervorging, sondern Notwendigkeit. Der Mensch ist das Ziel der tellurischen Vorgänge, und jede andere neben ihm auftauchende Form hat aus der seinigen ihre Züge entlehnt. Der Mensch ist das erstgeborene Wesen des ganzen Kosmos ... Als seine Keime entstanden waren, hatte der gebliebene organische Rückstand nicht die nötige Kraft mehr, um weitere menschliche Keime zu erzeugen. Was noch entstand, wurde Tier oder Pflanze ...»

Die Idee, wie sie vom Wesen des Menschen in der Philosophie des deutschen Idealismus lebt, leuchtet auch aus diesen Vorstellungen des wenig gekannten Denkers von Elsfleth, Wilhelm Heinrich Preuß. Mit dieser Anschauung weiß er den Darwinismus, sofern dieser nur auf die in der Sinneswelt sich abspielende Entwickelung blickt, zum Gliede einer geistgemäßen Weltanschauung zu machen. Einer Weltanschauung, die die Menschenwesenheit in ihrer Entfaltung aus den Tiefen des Weltalls erkennen will. Wie Bergson zu dem bei ihm glitzernden, aus Preuß' Darstellung aber so kraftvoll leuchtenden Gedanken gekommen ist: darauf soll in diesem Zusammenhange weniger Wert gelegt werden als vielmehr darauf, daß in den Schriften des wenig gekannten Preuß fruchtbarste Keime zu erblicken sind, die manchem eine stärkere Anregung geben könnten als die glitzernde Gestalt vermag, in der man sie bei Bergson wiederfindet. Allerdings muß man auch für Preuß mehr Anlage zur Gedankenvertiefung mitbringen, als sich bei denjenigen zeigte, die so viel Begeisterung für die Bergsonsche «Neubelebung» der Weltanschauung aufbrachten. Was hier gesagt worden ist, hat mit nationaler Zu- oder Abneigung gar nichts zu tun. In der letzten Zeit ist H. Bönke der «originellen philosophischen Neuschöpfung» Bergsons nachgegangen, weil dieser doch solch haßgetragene, verachtungsprühende Worte gegen das deutsche Geistesleben in dieser schicksaltragenden Zeit auszusprechen für nötig befunden hat. (Vergleiche die Schrift: Plagiator Bergson, Membre de l'Institut. Zur Antwort auf die Herabsetzung der deutschen Wissenschaft durch Edmond Perrier, Président de l'Academie des Sciences. Charlottenburg, Huth 1915.) In Anbetracht alles dessen, was Bönke nachweist über die Art, wie Bergson wiedergibt, was er dem deutschen Gedankenleben verdankt, ist wohl kaum übertrieben, was der Philosoph Wundt im Literarischen Centralblatt für Deutschland Nr.46 vom 13. November 1915 sagt: ... Bönke läßt es ... an belastendem Beweismaterial nicht fehlen. Seine Schrift besteht zum größten Teil aus Stellen, die den Werken Bergsons und Schopenhauers entnommen sind, und in denen der jüngere Autor die Gedanken des älteren entweder wörtlich oder mit geringer Variation wiederholt. Immerhin ist dies nicht allein entscheidend. Es wird darum zweckmäßig sein, die Beispiele, die Bönke ins Feld führt, einigermaßen nach kritischen Gesichtspunkten zu ordnen. Dann lassen sie sich wohl in drei Kategorien bringen. Eine erste enthält Sätze, die, abgesehen von unwesentlichen Unterschieden, bei beiden Schriftstellern genau übereinstimmen ...» In anderen Kategorien liegt die Übereinstimmung mehr in der Formung des Gedankens. Nun, es ist vielleicht wirklich weniger wichtig, inwieweit der deutsches Geistesleben so wütend verurteilende Bergson sich als ein recht williger Verarbeiter dieses deutschen Geisteslebens zeigt; wichtiger kann es aber scheinen, daß bei Bergson die Verarbeitung in leichtgewobenem, leicht erringbarem Nachdenken auftritt, und daß gar mancher Beurteiler besser getan hätte, mit der begeisterten Erhebung dieses «Neubelebers» der Weltanschauung zu warten, bis er durch besseres Verständnis derjenigen Denker, denen Bergson seine Anregungen verdankt, diese Erhebung - vielleicht unterlassen hätte. - Daß ein Nachfolger sich von seinen Vorgängern anregen läßt, ist eine übrigens naturgemäße Sache im Entwickelungsgange der Menschheit; es kommt aber darauf an, ob die Anregung zu einem Fortbildungsvorgang führt, oder - das geht auch aus Bönkes Darstellung klar hervor - wie bei Bergson zu einem Rückbildungsvorgang.

 

Ein Seitenblick

Im Jahre 1912 ist erschienen «Das Hohe Ziel der Erkenntnis» von Omar al Raschid Bey (München, Verlag R. Piper). (Zu bemerken ist, daß der Verfasser kein Türke, sondern ein Deutscher ist, und daß die Ansicht, die er vertritt, nichts mit dem Mohammedanismus zu tun hat, sondern eine im modernen Gewande auftretende altindische Weltanschauung ist.) Das Buch ist nach dem Tode des Verfassers erschienen. Ein solches Buch würde in unserer Zeit nicht erscheinen, und sein Verfasser würde nicht glauben, sich und anderen mit dem darin Ausgesprochenen einen der Gegenwart entsprechenden Erkenntnisweg zeigen zu sollen, wenn er in seiner Seele die Bedingungen herstellen wollte, durch die ein Verständnis der Denkerreihe möglich ist, die in dieser Schrift geschildert wird. So wie für ihn die Dinge sich darstellen, könnte der Verfasser des «Hohen Zieles» für die hier ausgesprochene Behauptung nur ein mitleidiges Lächeln haben. Er würde nicht einsehen, daß alles, was er in seinem Schlußkapitel «Erwachen aus der Erscheinung» auf Grund des diesem Kapitel Vorangegangenen - und mit diesem - dem Seelenerleben darbietet, zwar ein rechter Erkenntnisweg war für das alte Indien, für den man als einen der Vergangenheit angehörigen volles Verständnis haben kann; daß aber dieser Erkenntnisweg in einen andern einmündet, wenn man nicht vorzeitig auf ihm stehen bleibt, sondern den geistgemäßen Wirklichkeitsweg wandelt, der von dem neueren Idealismus beschritten worden ist.

Er hätte erkennen müssen, wie sein «Erwachen aus der Erscheinung» nur ein Schein des Erwachens ist; in Wirklichkeit ist es ein von dem eigenen seelischen Erleben bewirktes Sich-Zurückziehen von der Erscheinung - gleichsam ein Erbeben vor der Erscheinung - und dadurch nicht ein «Erwachen aus der Erscheinung», sondern ein Einschlafen im Wahn; ein Selbstwahn, der seine Wahnwelt für Wirklichkeit hält, weil er nicht dazu gelangt, den Weg in die geistgemäße Wirklichkeit zu gehen. Plancks sich selbstverleugnendes Denken ist ein Seelenerlebnis, zu dem al Raschids Wahndenken nicht dringen mag. Da findet man im «Hohen Ziel» die Sätze: «Wer sein Heil in dieser Welt sucht, der bleibt dieser Welt verfallen; dem ist kein Entrinnen aus ungestilltem Verlangen; dem ist kein Entrinnen aus nichtigem Spiel; dem ist kein Entrinnen aus den engen Fesseln des <Ich>. Wer sich aus dieser Welt nicht erhebt, der lebt und vergeht mit seiner Welt.» Vor diesen Sätzen stehen diese: «Wer sein Heil im <Ich> sucht, dem ist Selbstsucht Gebot, dem ist Selbstsucht Gottheit.» Wer aber die treibenden Seelenkräfte, die in Denkern der Reihe von Fichte bis Planck walten, lebensvoll erkennt, der durchschaut den Trug, der in diesen Sätzen des «Hohen Zieles» sich ausspricht. Denn er erkennt, wie die Sucht nach dem Selbst - die Selbstsucht - vor dem Erleben des «Ich» im Fichteschen Sinn liegt, und wie das Fliehen der Ich-Anerkennung - im altindischen Sinn - das hochmütige Erkenntuisstreben scheinbar weiter in die Geistwelt hineinführt, in Wirklichkeit aber zurückwirft in die Sucht nach dem Ich. Denn erst das Finden des Ich läßt das Ich entrinnen den Fesseln der Sucht nach dem Ich, der Selbstsucht. Es kommt eben durchaus darauf an, ob man im «Erwachen aus der Erscheinung» die vom Rückfall in die Ich-Sucht verursachten Erlebnisse des «Hohen Zieles» hat, oder ob man Erlebnisse hat, auf die folgende Worte deuten können. Wer sein Heil im Fliehen des «Ich» sucht, der verfällt der Sucht nach dem «Ich»; wer das «Ich» findet, befreit sich von der Sucht nach dem Ich; denn Sucht nach dem Ich schafft das Ich zu seinem eigenen Götzen; Finden des «Ich» gibt das Ich der Welt. Wer sein Heil im Fliehen der Welt sucht, der wird von der Welt in seinen eigenen Wahn zurückgeworfen; den täuscht hochmütiger Erkenntniswahn und läßt ihm nicht'ges Ideen-Spiel als Weltenwahrheit erscheinen; der löst von vorne die Fesseln des Ich und sieht nicht, wie der Feind der Erkenntnis sie von hinten ihm nur fester anlegt. Wer sich, die Weltoffenbarung verschmähend, über die Welt erheben will, der führt sich in den Wahn, der ihn um so sicherer hält, als er ihm sich als Weisheit offenbart. - In den Wahn, mit dem man sich und andere vor dem schwierigen Erwachen in dem neueren Weltanschauungs-Idealismus zurückhält, und in ein «Erwachen aus der Erscheinung» hineinträumt. Ein vermeintliches Erwachen, wie es das «Hohe Ziel» weisen will, ist zwar ein Quell zu jenem Erlebnis, das immer erneut dem «Erwachten» von der Erhabenheit seiner Erkenntnis sprechen läßt, aber auch ein Hindernis für das Erleben dieses Weltanschauungs-Idealismus. Man nehme diese Bemerkungen nicht so, als ob der Verfasser dieser Schrift das Erkenntnisstreben al Raschid Beys in seiner Art irgendwie herabsetzen wollte; was er hier sagt, ist nur der ihm notwendig erscheinende Einwand gegen eine Weltanschauung, die ihm in dem ärgsten Selbstwahn zu leben scheint. Solchen Einwand kann man wohl auch machen, wenn man eine geistige Erscheinung von einem gewissen Gesichtspunkte aus schätzt; vielleicht kann es einem gerade dann am notwendigsten erscheinen, weil der Ernst dazu zwingt, der in der Behandlung von Erkenntnisfragen walten muß.