Drafts, Fragments and Paralipomena to the Four Mystery Dramas
GA 44
Translated by Steiner Online Library
Draft II. Third Image: Johannes — Mary
JOHANNES:
The duality of life weighs heavily on my soul.
Since the days
When the gates of the supernatural realm
Opened to me,
Ever-new creative powers
Arising within me,
I feel the full power of the word:
I have found myself.
But this power of grace
Becomes powerless when I turn to you,
To whom I owe my transformation,
My gaze.
I see how a consuming element
Gnaws at your soul.
You do not speak of it,
But I see it and I feel
How it grows more powerful with each passing day.
And if you want me not to lose
What I have achieved, you must trust me,
Like the tree that unfolds magnificently,
Allowed to live in leaves and blossoms,
But which is gradually
Robbed of the earth from which
Its roots grow,
So feels my soul,
For the power of my life's roots
Rests entirely in your soul.
I need your words
And the gentle glow of your gaze,
If I am to unfold
What has been given to me as a gift of the spirit.
But I must see
How your words flow ever more rarely
From your lips,
Giving fire to my soul,
And the sparkle in your eyes fades
More and more with each passing day.
I do not want to be merely a recipient
Of the great soul before me,
I want to share its fate.
So speak to me, O demon
Who so terribly extinguishes the lights
That always revealed themselves from within you.
MARIA:
Comrade of my life,
The time seems to have come
When I may speak to you.
So know that on the level of my existence
A new being breathes all beings.
They become different from what they were before.
What only had natural being,
Receives moral inner being.
A natural event that previously only
occupied knowledge now becomes
Revealer of human guilt and
divine destiny. And a person
who previously only acted as this or
that character, only showed himself to be foolish or
wise, becomes the moral
power of one's own self. It transforms
one in such a way that we feel in him:
you must make him happy if you want to
remove this or that obstacle from your path
another imposes something else on us
.
So I have long had to feel
when Capesius
appears before me, yes, even when
the thought of him comes before my soul
I feel him as a reproach.
Just as I perceive seven colors in the rainbow
through the power of my outer eye, so
naturally, through the power of my
soul, the thought arises in me:
you have corrupted Capesius,
his fate is the consequence of your actions.
And his salvation is possible only through you alone.
JOHANNES:
And in what lies Capesius'
corruption?
MARY:
Just look at him.
He strives for the world
in which the power of the spirit
is revealed.
And instead of the mysteries of existence being revealed to him,
all his vitality is exhausted
in dark searching; he comes back
While pushing forward.
I still don't know why,
But it is clear to me:
I am the cause of his ruin.
The powers he lacks
Must have something to do
With my own striving.
How could I not recognize
That so much of what has become of me,
In my own soul's power
Cannot take root.
I see within myself constantly blossoming anew,
What with each passing day
I must see dying in Capesius.
It becomes easy for me to penetrate
The highest regions of the spirit's knowledge,
And what I call my own in physical life
As a tool,
Seems to work easily, as if it had no inhibitions.
But it seems to me
That the power I give myself
Cannot be given to me by another.
And when I stand before Capesius,
I feel a secret guilt.
I know one thing, feel another,
But how they are connected,
I am not given to know.
Yet a thought torments me,
Which from the teachings of the masters
Was always so clear to me.
It is often given to one,
What is taken from another.
JOHANNES:
It seems impossible to me
That Capesius' powers
In my idolized Maria
Live only in another form.
Despite everything I have learned,
Doubts about the harmony of the world
if I were to entertain such thoughts.
MARIA:
The harmony of the world would not be disturbed by this.
It is the course of life
that such things play out in the background,
and we must accept the great community
of human souls.
It could be a deep necessity
of existence,
that I receive such things,
as has been indicated.
But the necessity arose for me
to repay in another form
what I had received.
It could never dismay me
that I must take it.
But I have a strict duty
To repay what I have received.
And misfortune could only befall me
If I were unable to recognize
How I must repay my debt.
(She exits.)
JOHANNES:
As she says, so it is.
I feel it well.
But what a seed of unrest
is stirring in my soul.
A terrible thought
arises in my heart.
If it is as she says,
then she is simply
guilty, but I am doubly so.
For I owe her everything,
What I have become.
Third scene 1 First scene
If she is in Capesius' debt,
Then I am doubly so.
And even if I find the strength
To pay the debt,
It seems completely uncertain to me.
Entwürfe II. Drittes Bild: Johannes —Maria
JOHANNES:
Des Lebens Zwiegestalt lastet auf meiner Seele.
Ich fühle seit den Tagen,
Da sich des übersinnlichen Reiches Pforten
Mir sich geöffnet haben,
Stets neu sich bildende Schaffenskräfte
In meinem Innern erstehn,
Die ganze Macht fühl ich des Wortes:
Ich habe mich gefunden.
Doch dieser Gnade Kraft
Wird machtlos, wend ich auf Dich,
Der ich meine Wandlung ganz verdanke,
Die Blicke.
Ich sehe wie ein zehrend Element
An Deiner Seele nagt.
Du sprichst nicht davon,
Doch ich sehe es und ich fühle,
Wie es mit jedem Tage mächtiger wird.
Und willst Du, daß ich nicht verliere,
Was ich errungen, so mußt Du mir vertrauen,
Wie der Baum, der herrlich sich entfaltet,
In Blatt und Blüten leben darf,
dem man jedoch nach und nach
Die Erde raubt, aus welcher
Die Wurzeln ihm erwachsen,
So fühlt sich meine Seele,
Denn meiner Lebenswurzel Kraft
Sie ruht so ganz in Deiner Seele.
Ich brauche Deine Worte
Und Deiner Blicke mildes Leuchten,
Soll ich entfalten,
Was mir als Geistesgabe ward.
Doch sehen muß ich,
Wie Deine Worte immer seltner
Von Deinen Lippen fließen,
Ihr Feuer meiner Seele spendend,
Und Deiner Blicke Glanz erlöscht
Mit jedem Tage mehr.
Empfangend nicht nur will ich sein
Der großen Seele gegenüber,
Ich will teilen ihr Geschick.
So sprich zu mir, welcher Dämon
So furchtbar die Lichter löscht,
Die aus Deinem Innern stets sich offenbarten.
MARIA:
Genosse du meines Lebens,
Es scheint die Zeit gekommen,
Da ich zu dir sprechen darf.
So wisse, daß auf meines Daseins Stufe
Ein neues Wesen alle Wesen atmen.
Sie werden andres, als sie vordem waren.
Was natürlich Sein nur hatte,
Empfängt moralische Innenwesenheit.
Ein Naturgeschehn, das vorher nur
das Wissen beschäftigt, wird nun
Enthüller von Menschenschuld und
Götterschicksal. Und ein Mensch,
der vorher nur als dieser oder
jener Charakter wirkte, nur töricht oder
weise sich zeigte, wird zur moralischen
Macht des eignen Selbst. Es wandelt
der eine so, daß wir an ihm empfinden:
ihn mußt du beglücken, wenn Du dies
oder jenes Hemmnis dir aus dem Wege
räumen willst; ein andrer legt uns
andres auf. So muß ich seit lange
schon empfinden, wenn Capesius
vor mir erscheint, ja nur, wenn
der Gedanke an ihn vor meine Seele
tritt: ihn als Vorwurf empfinden.
Wie ich dem Regenbogen gegenüber
sieben Farben durch meines äußeren
Auges Kraft empfinde, so tritt
selbstverständlich durch meiner
Seele Kraft in mir auf der Gedanke:
du hast den Capesius verdorben,
sein Schicksal ist deiner Taten Folge.
Und seine Rettung ist durch dich
allein nur möglich.
JOHANNES:
Und worin liegt des Capesius
Verderbnis?
MARIA:
Sieh ihn doch nur an.
Er strebt nach der Welt,
In welcher des Geistes Kraft
Sich offenbart.
Und statt, daß sich ihm des
Daseins Rätsel erschließen, erschöpft
sich alle seine Lebenskraft in
dunklem Suchen; er kommt zurück,
Indem er vorwärts drängt.
Noch weiß ich nicht warum,
Doch es offenbart sich deutlich mir:
Ich bin die Schuld seines Verderbens.
Die Kräfte, die ihm fehlen,
Sie müssen etwas zu tun haben
Mit meinem eignen Streben.
Wie sollt ich nicht erkennen,
Daß so vieles, was mir geworden,
In meiner eignen Seele Kraft
Nicht wurzeln kann.
Ich sehe in mir stets neu erblühn,
Was ich mit jedem Tage mehr
In Capesius absterben sehen muß.
Es wird mir leicht zu dringen
In höchster Geistesregionen Wissen,
Und was ich im physischen Leben
Als Werkzeug mir zu eigen nenne,
Wirkt leicht, als ob es keine Hemmung hätte.
Es ist mir aber, als ob
Die Kraft, die ich selbst mir zu geben
Nicht vermag, mir ein andrer gäbe.
Und steh ich vor Capesius,
Empfind ich geheime Schuld.
Ich kenne das eine, fühl das andre,
Doch wie sie zusammenhängen,
Ist mir zu wissen nicht gegeben.
Doch quält mich ein Gedanke,
Der aus den Lehren der Meister
So einleuchtend stets mir war.
Es wird gar oft dem einen gegeben,
Was dem andern genommen wird.
JOHANNES:
Unmöglich scheint es mir
Daß Capesius' Kräfte
In meiner vergötterten Maria
In andrer Form nur leben.
Es könnte trotz allem, was ich erfahren,
In mir noch Zweifel an der Welten Harmonie
Mir bringen, müßt ich solchen Gedanken hegen.
MARIA:
Die Weltenharmonie wäre dadurch nicht gestört.
Es ist des Lebens Lauf,
Daß in Untergründen solche Dinge spielen,
Und wir müssen die große Gemeinschaft
Der Menschenseelen hinnehmen.
Es könnte einer tiefen Notwendigkeit
Entsprechen des Daseins,
Daß ich solches empfange,
Wie angedeutet ist.
Doch erwüchse mir die Notwendigkeit,
In andrer Form zurück zu erstatten
Das Empfangene.
Bestürzen könnt es mich nimmermehr,
Daß ich es nehmen muß.
Doch erwächst mir die strenge Pflicht,
Zurückzugeben das Empfangene.
Und Unglück könnte mir nur erwachsen,
Wenn ich zu erkennen unvermögend wäre,
Wie ich die Schuld zu tilgen habe.
(Sie geht ab.)
JOHANNES:
Wie sie es sagt, so ist es.
Das fühl ich wohl.
Doch welcher Unruhkeim
Erwühlt sich in meiner Seele.
Ein furchtbarer Gedanke
Entsteigt meinem Herzen.
Ist es so, wie sie es sagt,
Dann ist einfach sie,
Ich aber bin doppelt schuldig.
Denn ihr verdank ich alles,
Was ich geworden bin.
Drittes Bild 1 Erstes Bild
Ist sie in Capesius' Schuld,
So bin ich es zweifach.
Und ob auch ich die Kräfte finde,
Die Schuld zu zahlen,
Erscheint mir gänzlich ungewiß.
