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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Aufsätze uber die Dreigliederung des sozialen Organismus
GA 24

Dreigliederung und soziales Vertrauen (Kapital und Kredit)

Es ist von verschiedenen Seiten, zum Beispiel von dem englischen Finanztheoretiker Hartley Withers (in seinen Ausführungen über « Money and Credit »), gesagt worden, daß alle Fragen, die das Geld betreffen, so verwickelt seien, daß ihre scharfe Fassung in bestimmte Gedanken außerordentlichen Schwierigkeiten begegne.

Man wird diese Ansicht für viele Fragen des sozialen Lebens geltend machen können. Aber man sollte auch bedenken, welche Folgen in diesem sozialen Leben es haben muß, wenn die Menschen ihr Zusammenwirken nach Antrieben gestalten, die in unbestimmbaren, oder wenigstens schwer bestimmbaren Gedanken wurzeln. Solche Gedanken sind doch nicht bloß Mängel der Einsicht, die die Erkenntnis verwirren; sie sind wirksame Kräfte im Leben. Ihre Unbestimmtheit lebt in den Einrichtungen weiter, die unter ihrem Einflusse entstehen. Und aus solchen Einrichtungen entspringen lebensunmögliche soziale Verhältnisse.

Auf der Anerkennung, daß die zivilisierte Menschheit der Gegenwart in Verhältnissen lebe, die aus solchen verwirrenden Gedankentrieben hervorgehen, wird eine gesunde Einsicht in die « soziale Frage » beruhen müssen. Diese Frage erfließt ja zunächst aus der Wahrnehmung der Nöte, in denen sich Menschen befinden. Und man ist wenig geneigt, in wirklich sachgemäßer Art den Weg zu verfolgen, der von der Wahrnehmung dieser Nöte zu den Menschengedanken führt, in denen sie ihre Quelle haben. Man sieht nur allzuleicht in dem Verfolgen dieses Weges - vom Brot zu den Gedanken - einen unpraktischen Idealismus. Man erkennt nicht das Unpraktische einer Lebenspraxis, an die man gewöhnt ist, die aber doch auf lebensunmöglichen Gedanken ruht.

Solche lebensunmöglichen Gedanken sind im gegenwärtigen sozialen Dasein enthalten. Bemüht man sich, der « sozialen Frage » wirklich auf den Grund zu kommen, so wird man sehen müssen, wie heute die Forderungen des allermateriellsten Lebens praktisch nur angefaßt werden können, wenn man zu den Gedanken fortschreitet, aus denen das Zusammenarbeiten der Menschen einer sozialen Gemeinschaft hervorgeht.

Es fehlt allerdings nicht an Hinweisen auf solche Gedanken aus einzelnen Lebenskreisen heraus. Menschen, deren Betätigung an das Wesen des Grundes und Bodens gebunden ist, sprechen davon, daß unter dem Einflusse neuerer volkswirtschaftlicher Antriebe Grund und Boden in bezug auf Kauf und Verkauf wie « Waren » behandelt werden. Und sie sind der Ansicht, daß dies dem sozialen Leben schädlich ist. Solche Ansichten führen nicht zu praktischen Folgen, weil die Menschen anderer Lebenskreise aus ihren Interessen heraus die Berechtigung nicht zugeben.

Die wirklichkeitsgemäße Beobachtung einer solchen Tatsache sollte zur Richtkraft für Lösungsversuche der « sozialen Frage » führen. Denn eine solche Beobachtung kann zeigen, wie derjenige, der berechtigten Forderungen des sozialen Lebens widerstrebt, weil er aus seinem Lebenskreise heraus Gedanken zustimmt, die mit ihnen nicht im Einklang stehen, letzten Endes auch die Grundlagen untergräbt, auf denen seine Interessen aufgebaut sind.

An der sozialen Bedeutung des Grundes und Bodens kann eine solche Beobachtung gemacht werden. Man wird sie machen, wenn man ins Auge faßt, wie die bloß kapitalistische Orientierung der Volkswirtschaft auf die Wertbemessung des Grundes und Bodens wirkt. Diese Orientierung hat im Gefolge, daß das Kapital sich Gesetze für seine Vermehrung schafft, die in gewissen Lebensgebieten nicht mehr den Bedingungen entsprechen, welche in gesunder Weise eine Vermehrung des Kapitals bewirken dürfen.

An Grund und Boden wird das besonders anschaulich. Daß ein bestimmtes Landgebiet in einer gewissen Art fruchtbar gemacht wird, kann aus Lebensbedingungen heraus durchaus notwendig sein. Solche Bedingungen können moralischer Art sein. Sie können in geistigen Kulturverhältnissen liegen. Es kann aber durchaus sein, daß die Erfüllung dieser Bedingungen ein geringeres Kapitalerträgnis liefert als die Anlage des Kapitales in einer anderen Unternehmung. Die bloß kapitalistische Orientierung führt dann dazu, von der Ausnutzung des Bodens nach den gekennzeichneten nicht rein kapitalistischen Gesichtspunkten abzulassen und ihn so zu verwerten, daß sein kapitalistisches Erträgnis dem anderer Unternehmungen sich gleichstelle. Die Hervorbringung von Werten, die der wahren Zivilisation sehr notwendig sein können, wird dadurch unterdrückt. Und es entsteht unter den Einflüssen dieser Orientierung eine Wertbemessung der Lebensgüter, die nicht mehr wurzeln kann in dem naturgemäßen Zusammenhang, den die Menschen mit der Natur und dem geistigen Leben haben müssen, wenn diese sie leiblich und seelisch befriedigen sollen.

Es ist nun naheliegend, zu der Schlußfolgerung zu kommen: die kapitalistische Orientierung der Volkswirtschaft hat die gekennzeichneten Wirkungen; also muß sie beseitigt werden. Es fragt sich nur, ob man mit dieser Beseitigung nicht auch die Grundlagen beseitigen würde, ohne welche die neuere Zivilisation nicht bestehen kann.

Wer die kapitalistische Orientierung als einen bloßen Eindringling in das moderne Wirtschaftsleben ansieht, der wird deren Beseitigung verlangen. Wer aber erkennt, wie das Leben der neueren Zeit durch Arbeitsteilung und Gliederung im sozialen Organismus wirkt, der kann nur daran denken, die als Nebenerscheinung auftretenden Schattenseiten dieser Orientierung aus dem Gemeinschaftsleben auszuschließen. Denn für ihn ist es klar, daß die kapitalistische Arbeitsmethode eine Folge dieses Lebens ist, und daß die Schattenseiten nur so lange auftreten können, als in der Bewertung der Lebensgüter ausschließlich der Kapitalgesichtspunkt geltend gemacht wird.

Es kommt darauf an, nach einer solchen Struktur des sozialen Organismus hinzuarbeiten, durch die die Beurteilung nach der Kapitalvermehrung nicht die alleinige Macht ist, unter welche die Produktionszweige des Wirtschaftslebens gezwungen werden, sondern in der die Kapitalvermehrung der Ausdruck für eine Gestaltung dieses Lebens ist, die allen Anforderungen der menschlichen Leiblichkeit und Geistigkeit Rechnung trägt.

Wer seine Denkungsart nach dem einseitigen Standpunkt der Kapitalvermehrung oder, was eine notwendige Folge davon ist, nach dem der Lohnerhöhung einrichtet, dem entzieht sich der unmittelbare Anblick der Wirkungen einzelner Produktionsgebiete auf den Wirtschafskreislauf. Handelt es sich darum, Kapital zu vermehren oder Lohn zu erhöhen, so wird es gleichgültig, in welchem Produktionszweig dieses geschieht. Das naturgemäße Verhältnis der Menschen zu dem, was sie hervorbringen, wird untergraben. Die Höhe einer Kapital- oder Lohnsumme bleibt dieselbe, wenn man statt einer Warengattung für sie eine andere erwirbt, oder wenn man für eine Art der Arbeit eine andere eintauscht. Dadurch aber werden die Lebensgüter erst « Waren », daß man sie durch die Kapitalmenge, in der ihre besondere Eigenart keinen Ausdruck findet, erwerben oder verkaufen kann.

Diesen Warencharakter vertragen aber nur diejenigen Lebensgüter, die vom Menschen unmittelbar verbraucht werden. Denn für deren Wert hat der Mensch einen unmittelbaren Maßstab in seinen leiblichen oder seelischen Bedürfnissen. Ein solcher Maßstab liegt weder für Grund und Boden noch für die künstlich hergestellten Produktionsmittel vor. Deren Wertbemessung ist von vielen Faktoren abhängig, die nur anschaulich werden, wenn man die ganze soziale Struktur des Menschenlebens ins Auge faßt.

Ist es aus Kulturinteressen heraus notwendig, daß ein Landgebiet in einer Art behandelt wird, die das Erträgnis vom Kapitalgesichtspunkt aus geringer erscheinen läßt als dasjenige einer andern Unternehmung, so wird dieses geringere Erträgnis auf die Dauer der Gemeinschaft nicht Schaden bringen können. Denn das geringere Erträgnis des einen Produktionszweiges muß nach einiger Zeit auf andere so wirken, daß auch bei ihnen die Preise ihrer Erzeugnisse sich erniedrigen. Nur dem Augenblicksstandpunkt, der nicht anders kann als den Egoismuswert in Rechnung zu stellen, entzieht sich dieser Zusammenhang. Bei dem bloßen Marktverhältnis, auf dem Angebot und Nachfrage alleinherrschend sind, ist nur das Rechnen mit diesem Egoismuswert möglich. Dieses Verhältnis ist nur zu überwinden, wenn Assoziationen den Austausch und die Produktion der Verbrauchsgüter aus der vernunftgemäßen Beobachtung der menschlichen Bedürfnisse heraus regeln. Solche Assoziationen können an Stelle des bloßen Angebotes und der bloßen Nachfrage die Ergebnisse vertragsmäßiger Unterhandlungen zwischen Konsumenten- und Produzentenkreisen einerseits und zwischen den einzelnen Produzentenkreisen andererseits setzen. Wenn bei diesen Beobachtungen ausgeschlossen wird, daß sich der eine Mensch zum Richter darüber aufwerfen kann, was ein anderer an Bedürfnissen haben darf, so wird in den Grundlagen solcher Unterhandlungen nur das mitsprechen, was aus den Naturbedingungen der Wirtschaft und aus der menschlichen Arbeitsmöglichkeit heraus zustande kommen kann.

Die Beherrschung des Wirtschaftskreislaufes durch die bloße kapitalistische und lohnmäßige Orientierung macht das Leben auf solchen Grundlagen unmöglich. Durch diese Orientierung wird im Leben ausgetauscht, wofür es einen gemeinsamen Vergleichungsmaßstab in Wahrheit nicht gibt: Grund und Boden, Produktionsmittel und Güter, die dem unmittelbaren Verbrauch dienen. Ja, es werden auch die menschliche Arbeitskraft und die Verwertung der geistigen Fähigkeiten der Menschen in Abhängigkeit gebracht von einem abstrakten, dem Kapital- und Lohnmaßstab, der im menschlichen Urteil und in der menschlichen Betätigung die naturgemäßen Beziehungen des Menschen zu seinem Betätigungsfelde verschwinden läßt.

Nun ist in dem neueren Leben der Menschheit die Beziehung des Menschen zu den Lebensgütern nicht herzustellen, die unter der Herrschaft der Naturalwirtschaft oder auch nur beim Walten noch einfacherer Geldwirtschaft möglich war. Die Arbeits- und soziale Gliederung, die in der Neuzeit notwendig geworden sind, trennen den Menschen von dem Abnehmer seines Arbeitsproduktes. Dieser Tatsache und ihrer Folge, dem Erlahmen des unmittelbaren Interesses an der Leistung, kann ohne Untergrabung des modernen Zivilisationslebens nicht entgegengearbeitet werden. Das Schwinden einer gewissen Art von Interessen an der Arbeit muß als ein Ergebnis dieses Lebens hingenommen werden. Aber diese Interessen dürfen nicht hinschwinden, ohne daß andere an ihre Stelle treten. Denn der Mensch muß mit Anteil innerhalb der sozialen Gemeinschaft arbeiten und in ihr leben.

Aus dem selbständig werdenden Geistes- und Rechtsleben werden die notwendigen neuen Interessen entspringen. Aus diesen beiden verselbständigten Gebieten werden die Antriebe kommen, welche anderen Gesichtspunkten entsprechen als denen der bloßen Kapitalvermehrung und Lohnhöhe.

Ein freies Geistesleben schafft aus den Tiefen der Menschenwesenheit heraus Interessen, welche die Arbeit und alles Wirken in die Gemeinschaft ziel- und inhaltbegabt hineinstellen. Ein solches Geistesleben erzeugt in den Menschen das Bewußtsein, daß sie mit ihren Fähigkeiten sinnvoll im Dasein stehen, weil es diese Fähigkeiten um ihrer selbst willen pflegt. Die Gemeinschaft wird unter dem Einfluß so gepflegter Fähigkeiten stets den Charakter annehmen, in dem sich diese auch auswirken können. Das Rechts- und Wirtschaftsleben werden ein Gepräge annehmen, welches den entwickelten Fähigkeiten entsprechend ist. In einem Geistesleben, das seine Regelung aus dem politisch-rechtlichen Gebiet empfängt, oder das die menschlichen Fähigkeiten nach ihrer Wirtschaftswirkung pflegt und in Anspruch nimmt, werden Eigen-Interessen nicht in voller Entwickelung aufkommen können.

Ein solches Geistesleben wird in Kunst- und Erkenntnisbestrebungen « idealistische » Lebenszugaben oder im Weltanschauungsinhalt Befriedigungen für Sorgen liefern, die über das soziale Leben hinaus in ein mehr oder weniger lebensfremdes Gebiet münden. Lebendurchdringend kann nur ein freies Geistesleben sein, weil ihm die Möglichkeit gegeben ist, das Leben von sich aus zu gestalten. In meinen « Kernpunkten der sozialen Frage » habe ich versucht, zu zeigen, wie in einem solchen Geistesleben die Antriebe gefunden werden können, welche die Kapitalverwaltung auf einen gesunden sozialen Boden stellen. Fruchtbar können eine Kapitalmasse nur Personen oder Personengruppen verwalten, welchen die menschlichen Fähigkeiten eigen sind, diejenigen Leistungen im Dienste der menschlichen Gemeinschaft zu verrichten, für die das Kapital in Anspruch genommen wird. Nötig ist daher, daß eine solche Person oder Personengruppe eine Kapitalmasse nur so lange verwalten, als sie aus ihren Fähigkeiten heraus selbst es tun können. Ist dieses nicht mehr der Fall, dann soll die Kapitalmasse auf andere Personen übergehen, welche diese Fähigkeiten besitzen. Da nun bei freiem Geistesleben die Entwickelung der menschlichen Fähigkeiten restlos aus den Antrieben dieses Geisteslebens selbst entspringt, so wird die Kapitalverwaltung im Wirtschaftskreislauf zu einem Ergebnis der geistigen Kraftentfaltung. Und diese trägt in das Wirtschaftsleben alle diejenigen Interessen hinein, die auf ihrem Boden ersprießen.

Ein unabhängiges Rechtsleben schafft Beziehungen zwischen den in einer sozialen Gemeinschaft lebenden Menschen, welche diese füreinander arbeiten lassen, auch wenn der einzelne an der Herstellung seines Arbeitsproduktes das unmittelbare Interesse nicht haben kann. Dieses Interesse verwandelt sich in dasjenige, das er haben kann am Arbeiten für die Menschengemeinschaft, an deren Rechtsaufbau er beteiligt ist. Der Anteil an dem selbständigen Rechtsleben kann neben den wirtschaftlichen und geistigen Interessen die Grundlage für einen besonderen Lebens- und Leistungsantrieb werden. Der Mensch kann den Blick von seinen Leistungen hinweg auf die Menschengemeinschaft richten, in der er lebendig drinnensteht mit allem, was aus seinem Menschentum fließt bloß dadurch, daß er ein mündig gewordener Mensch ist, ohne Rücksicht auf seine geistigen Fähigkeiten, und ohne daß der wirtschaftliche Platz, an dem er sich befindet, eine Wirkung auf dieses Verhältnis hat. Das Arbeitsprodukt wird seinen Wert auf die Arbeit ausstrahlen, wenn man die Art überschaut, wie es der Menschengemeinschaft dient, in die man so unmittelbar menschlich verwoben ist. Nichts anderes aber kann diese Verwobenheit so bewirken wie ein selbständiges Rechtsleben, weil nur dieses ein Gebiet ist, auf dem jeder Mensch jedem Menschen mit dem gleichen ungeteilten Interesse begegnen kann. Jedes andere Gebiet muß, seiner Natur nach, Abtrennungen nach individuellen Fähigkeiten oder nach Arbeitsinhalten bewirken; dieses überbrückt alle Trennungen.

Für die Kapitalverwaltung wird aus der Selbständigkeit des Geisteslebens heraus bewirkt, daß die Kapitalvermehrung nicht ein unmittelbarer Antrieb ist, sondern nur auftreten kann als naturgemäße Folge anderer Antriebe, die sich aus dem sachgemäßen Zusammenhange der menschlichen Fähigkeiten mit den Leistungsgebieten ergeben.

Nur aus solchen Gesichtspunkten, die nicht innerhalb der kapitalistischen Orientierung liegen, kann der soziale Organismus eine Struktur erhalten, in der menschliche Leistung und Gegenleistung einen befriedigenden Ausgleich finden. Und wie auf dem Gebiete der kapitalistischen Orientierung kann es auf anderen Gebieten ergehen, auf denen das moderne Leben den Menschen von dem naturgemäßen Zusammenhang mit den Lebensbedingungen abgebracht hat.

Durch die Verselbständigung des Geistes- und des Rechtslebens werden künstliche Produktionsmittel und wird Grund und Boden sowie auch die menschliche Arbeitskraft des Warencharakters entkleidet. (Die Wege, auf denen dies geschieht, findet man genauer, als es hier geschehen kann, in meinem Buche « Die Kernpunkte der sozialen Frage » geschildert.) Im selbständigen Rechts- und Geistesgebiet werden die Antriebe wurzeln, aus denen heraus Produktionsmittel, aus denen Grund und Boden ohne Kaufverhältnis übertragen werden und aus denen heraus menschliche Arbeit geleistet wird.

Damit aber werden die dem gegenwärtigen Zivilisationsleben angemessenen Formen des sozialen Zusammenwirkens von menschlichen Kräften geschaffen. Und nur aus solchen Formen kann die bestmögliche Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse erstehen. In einer bloß kapitalistisch und lohnmäßig organisierten Gemeinschaft kann der einzelne seine Fähigkeiten und Kräfte nur in dem Maße geltend machen, als sie im Kapitalerwerb ihren Gegenwert finden. Vertrauen, durch das einer seine Kräfte für die Leistungen des andern zur Verfügung stellt, wird sich da nur begründen auf die Aussicht, daß dieser andere in Bedingungen lebt, die einer kapitalistischen Denkungsart Vertrauen einflößen können. Im sozialen Leben ist Arbeiten im Vertrauen auf die Leistungen anderer Kreditgewährung. Die Kompliziertheit des modernen Lebens hat immer mehr dazu geführt, daß wie für ältere Kulturen ein Übergang stattfand von der Natural- zur Geldwirtschaft, so für jüngere ein solcher zu einem Arbeiten auf der Grundlage von Kreditgewährung. Wir stehen in einem Zeitalter, in dem das Leben notwendig macht, daß der eine mit den Mitteln arbeitet, die ihm ein anderer oder eine Gemeinschaft im Vertrauen auf seine Leistungsfähigkeit überantworten. Für das kapitalistische Wirken geht aber der menschlich befriedigende Zusammenhang mit den Lebensbedingungen durch die Kreditwirtschaft völlig verloren. Kreditgewährung mit der Aussicht auf entsprechend erscheinende Kapitalvermehrung und Arbeiten unter dem Gesichtspunkte, daß das in Anspruch genommene Vertrauen kapitalmäßig gerechtfertigt erscheint, werden die Antriebe des Kreditverkehrs. Das aber liefert Ergebnisse im sozialen Organismus, durch welche die Menschen unter die Macht lebensfremder Kapitalumlagerungen gebracht werden, die sie in dem Augenblicke als menschenunwürdig empfinden, in dem sie sich ihrer in vollem Maße bewußt werden.

Wird auf Grund und Boden Kredit gewährt, so kann im gesunden sozialen Leben dies nur von dem Gesichtspunkte aus geschehen, daß einem mit den notwendigen Fähigkeiten ausgestatteten Menschen oder einer Menschengruppe die Möglichkeit gegeben werde, einen Produktionsbetrieb zu entfalten, der aus allen in Betracht kommenden Kulturbedingungen heraus gerechtfertigt erscheint. Wird aus der rein kapitalistischen Orientierung heraus Kredit auf Grund und Boden gewährt, so kann es geschehen, daß dieser seiner sonst wünschenswerten Bestimmung entzogen werden muß, damit er einen Warenwert erhalte, welcher der Kreditgewährung entspricht.

Ein gesundes Kreditgewähren setzt eine soziale Struktur voraus, durch welche die Lebensgüter eine Bewertung finden, die in ihrer Beziehung zur leiblichen und geistigen Bedürfnisbefriedigung der Menschen wurzelt. Ein selbständiges Geistes- und Rechtsleben führt die Menschen zu einem lebensvollen Erkennen und Geltendmachen dieser Beziehung. Dadurch wird der Wirtschaftskreislauf so gestaltet, daß er die Beurteilung der Produktion in Abhängigkeit bringt von dem, was die Menschen bedürfen, und sie nicht beherrscht sein läßt von Mächten, bei denen die konkreten menschlichen Bedürfnisse in der abstrakten Kapital- und Lohnskala ausgelöscht erscheinen.

Das Wirtschaftsleben im dreigliedrigen sozialen Organismus kommt durch das Zusammenwirken der aus den Produktionserfordernissen und Konsumtionsinteressen sich bildenden Assoziationen zustande. Diese werden die Entscheidungen haben über die Kreditgewährung und Kreditentgegennahme. In den Verhandlungen solcher Assoziationen werden die Antriebe eine entscheidende Rolle spielen, die aus dem geistigen und dem Rechtsgebiet heraus in das Wirtschaftsleben hineinwirken. Die Notwendigkeit einer bloß kapitalistischen Orientierung ist für diese Assoziationen nicht vorhanden. Denn die eine Assoziation wird mit der andern im Wechselverkehr stehen. Dadurch werden die einseitigen Interessen des einen Produktionszweiges durch diejenigen des anderen geregelt.

Die Verantwortung für Kreditgewährung und Kreditentgegennahme wird den Assoziationen zufallen. Dadurch wird die Bedeutung der individuellen Fähigkeiten der Einzelpersönlichkeiten nicht beeinträchtigt, sondern erst zur vollen Geltung gebracht. Der einzelne ist seiner Assoziation gegenüber verantwortlich für die bestmögliche Leistung; und die Assoziation ist anderen Assoziationen gegenüber verantwortlich für die zielgemäße Verwendung der Leistungen. In solcher Teilung der Verantwortlichkeit liegt die Gewähr dafür, daß die Produktionsbetätigung aus einander in ihrer Einseitigkeit korrigierenden Gesichtspunkten vor sich geht. Es wird nicht aus den Erwerbsantrieben der einzelnen in das Gemeinschaftsleben hinein produziert, sondern aus den sachgemäß wirkenden Bedürfnissen der Gemeinschaft heraus. In dem Bedarf, den eine Assoziation feststellt, wird die Veranlassung zur Kreditgewährung für eine andere liegen können.

Wer nur an gewohnten Gedankengängen hängt, der wird sagen: das sind « schöne » Gedanken; aber wie soll man aus dem gegenwärtigen Leben in ein solches hineinkommen, das auf dergleichen Ideen ruht? Es handelt sich darum, einzusehen, daß das hier Vorgeschlagene tatsächlich unmittelbar in die Wirklichkeit umgesetzt werden kann. Man hat nur nötig, den Anfang mit den gekennzeichneten Assoziationsbildungen zu machen. Daß dies ohne weiteres möglich ist, sollte eigentlich niemand bezweifeln, der einigen gesunden Sinn für die Wirklichkeiten des Lebens hat. Solche Assoziationen, die auf der Grundlage der Dreigliederungsidee ruhen, sind doch wahrlich ebensogut zu bilden wie Konsortien, Gesellschaften und so weiter im Sinne der alten Einrichtungen. Es ist aber auch jede Art von Wirtschaftsverkehr der neuen Assoziationen mit den alten Einrichtungen möglich. Man braucht durchaus nicht daran zu denken, daß das Alte zerstört und künstlich durch das Neue ersetzt werden müsse. Das Neue stellt sich neben das Alte hin. Jenes hat sich dann durch seine innere Kraft und Berechtigung zu bewähren; dieses bröckelt aus der sozialen Organisation heraus. Die Dreigliederungsidee ist nicht ein Programm für das Ganze des sozialen Organismus, das fordert, daß das ganze Alte aufhöre und alle Dinge neu « eingerichtet » werden. Diese Idee kann von der Bildung sozialer Einzeleinrichtungen ihren Ausgang nehmen. Die Umbildung eines Ganzen wird dann durch das sich verbreitende Leben der einzelnen sozialen Gebilde erfolgen. Weil diese Idee in einer solchen Richtung wirken kann, ist sie keine Utopie, sondern eine der Wirklichkeit angemessene Kraft.

Das Wesentliche ist, daß durch die Dreigliederungsidee sachgemäßes soziales Verständnis an die im sozialen Organismus vereinigten Menschen herangebracht wird. Durch die Antriebe, die aus dem selbständigen Geistes- und Rechtsleben kommen, werden die wirtschaftlichen Gesichtspunkte in sachgemäßer Weise befruchtet. Der einzelne wird in einem gewissen Sinne zu einem Mitarbeiter an den Leistungen der Gesamtheit. Durch seinen Anteil an dem freien Geistesleben, durch die auf dem Rechtsboden erzeugten Interessen, durch die Wechselbeziehungen der wirtschaftlichen Assoziationen wird diese Mitarbeiterschaft vermittelt.

Die Wirksamkeit des sozialen Organismus wird unter dem Einfluß der Dreigliederungsidee gewissermaßen umgestellt. Gegenwärtig muß der Mensch in der Kapitalvermehrung und in der Lohnhöhe die Kennzeichen sehen, durch die er sich in den sozialen Organismus entsprechend hineingestellt findet. Im dreigliedrigen sozialen Organismus werden die individuellen Fähigkeiten der Einzelmenschen im Zusammenklang mit den aus dem Rechtsboden stammenden menschlichen Beziehungen und der auf der Assoziationstätigkeit ruhenden wirtschaftlichen Produktion, der Zirkulation und Konsumtion die bestmögliche Fruchtbarkeit des Gemeinschaftsarbeitens ergeben. Und Kapitalvermehrung beziehungsweise Leistungsausgleich mit entsprechender Gegenleistung werden wie die Konsequenz der sozialen Betätigungen und Einrichtungen zutage treten.

Von dem Reformieren im Gebiete, in dem nur die sozialen Wirkungen spielen, hinweg will die Dreigliederungsidee die umwandelnde und aufbauende Tätigkeit auf das Gebiet der Ursachen lenken. Bei Annahme oder Ablehnung dieser Idee kommt in Frage, ob man den Willen aufbringt, bis zu diesem Gebiet der Ursachen sich hindurchzuarbeiten. Und dieser Wille muß von der Betrachtung der äußeren Einrichtungen hinweg zu den die Einrichtungen bewirkenden Menschen führen. Das Leben der neueren Zeit hat die Arbeitsteilung auf vielen Gebieten gebracht. Diese ist ein Erfordernis der äußeren Einrichtungen. Was durch die geteilten Arbeitsgebiete bewirkt wird, muß in den lebensvollen menschlichen Wechselverhältnissen seinen Ausgleich finden. Die Arbeitsteilung trennt die Menschen; die Kräfte, die ihnen kommen werden aus den selbständig gewordenen drei Gliedern des sozialen Organismus, werden sie wieder zusammenschließen. Unser soziales Leben hat sein Gepräge davon, daß die Trennung der Menschen den Höhepunkt ihrer Entwickelung erreicht hat. Das muß durch Lebenserfahrung erkannt werden. Wer es erkennt, für den wird es zur notwendigen Zeitforderung, an das Betreten der Wege zu denken, die zum Zusammenschluß führen.

Solche konkrete Erscheinungen des Wirtschaftslebens wie der intensiver werdende Kreditverkehr beleuchten diese notwendige Zeitforderung. Je stärker die Hinneigung zur kapitalistischen Orientierung, je entwickelter die Geldwirtschaft, je tätiger der Unternehmungsgeist geworden sind, desto mehr entfaltet sich der Kreditverkehr. Der aber müßte für ein gesundes Denken das Bedürfnis hervorrufen, ihn mit einem wirklichen Verständnis der realen Gütererzeugung und des menschlichen Bedarfes nach bestimmten Gütern zu durchdringen. Er wird letzten Endes nur gesund wirken können, wenn der Kreditgewährer sich verantwortlich fühlt für dasjenige, was durch seine Kreditgewährung geschieht; und wenn der Kreditnehmer durch die wirtschaftlichen Zusammenhänge - durch die Assoziationen -, in denen er drinnensteht, dem Kreditgewährer Unterlagen für diese Verantwortlichkeit liefert. Es kann sich für eine gesunde Volkswirtschaft nicht bloß darum handeln, daß der Kredit den Unternehmungsgeist als solchen fördere, sondern darum, daß Einrichtungen vorhanden seien, durch die der Unternehmungsgeist sich in sozial günstiger Art auswirkt.

Theoretisch wird es kaum jemand bezweifeln wollen, daß eine Erhöhung des Verantwortlichkeitsgefühls in dem gegenwärtigen Wirtschaftsverkehr notwendig ist. Diese Erhöhung hängt aber davon ab, daß Assoziationen entstehen, durch deren Tätigkeit dem einzelnen Menschen wirklich vor Augen gestellt wird, was in der sozialen Gemeinschaft durch seine Handlungsweise geschieht.

Es wird von Persönlichkeiten, deren Lebensaufgabe mit der Bodenbewirtschaftung zusammenhängt und die daher Erfahrung auf diesem Gebiete haben, mit Recht behauptet, daß, wer Grund und Boden zu verwalten hat, diesen nicht wie eine beliebige Ware betrachten dürfe, und daß auch der Landkredit auf andere Art gewährt werden müsse als der Warenkredit. Aber es ist unmöglich, daß im gegenwärtigen Wirtschaftskreislauf solche Erkenntnisse eine praktische Bedeutung gewinnen, wenn nicht hinter dem einzelnen die Assoziationen stehen, die aus den Beziehungen der einzelnen Wirtschaftsgebiete heraus der Bodenwirtschaft ein anderes Gepräge geben als einem anderen Produktionszweige.

Es ist durchaus begreiflich, daß manche Menschen zu solchen Ausführungen sagen: wozu das alles, da doch schließlich der menschliche Bedarf der Herr aller Produktion ist und zum Beispiel niemand zur Kreditgewährung oder Kreditentgegennahme kommen kann, wenn nicht aus irgendeiner Ecke heraus ein Bedarf die Sache rechtfertigt. Man könnte sogar sagen: schließlich ist doch alles, was da über soziale Einrichtungen erdacht wird, nichts weiter als ein bewußtes Gestalten dessen, was sicher auch automatisch « Angebot und Nachfrage » regeln. Wer aber genauer zusieht, dem wird durchsichtig werden, daß es bei den Auseinandersetzungen über die soziale Frage, die von der Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus ausgehen, nicht darauf ankommt, an die Stelle des freien Verkehrs im Zeichen von Angebot und Nachfrage eine Zwangswirtschaft zu setzen, sondern darauf, die gegenseitigen Werte der Lebensgüter so zu gestalten, daß im wesentlichen der Wert eines Menschenerzeugnisses dem Werte der anderen Güter entspricht, für welche der Erzeuger in der Zeit Bedarf hat, die er auf die Erzeugung verwendet. Ob man bei kapitalistischer Orientierung ein Gut erzeugen will, darüber mag die Nachfrage entscheiden; ob ein Gut erzeugt werden kann zu einem Preise, der seinem Werte im gekennzeichneten Sinne entspricht, darüber kann nicht die Nachfrage allein entscheiden. Diese Entscheidung kann nur durch Einrichtungen bewirkt werden, durch die aus dem ganzen sozialen Organismus heraus die Bewertung der einzelnen Lebensgüter zustande kommt. Wer bezweifeln will, daß solche Einrichtungen erstrebenswert seien, der hat kein Auge dafür, daß bei dem bloßen Walten von Angebot und Nachfrage menschliche Bedürfnisse verkümmern, deren Befriedigung die Zivilisation eines sozialen Organismus erhöht; und ihm fehlt der Sinn für ein Streben, das die Befriedigung solcher Bedürfnisse in die Antriebe des sozialen Organismus einfügen will. In dem Schaffen des Ausgleichs zwischen den menschlichen Bedürfnissen und dem Werte der menschlichen Leistungen sieht das Streben nach der Dreigliederung des sozialen Organismus seinen Inhalt.