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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Aufsätze uber die Dreigliederung des sozialen Organismus
GA 24

Die Dreigliederung und die Intellektuellen

Es ist zweifellos, daß unter den sogenannten Intellektuellen Europas eine genügend große Anzahl von Leuten vorhanden ist, die in dem Wege, der aus dem sozialen Chaos zu einer Neugestaltung durch die Dreigliederung des sozialen Organismus versucht werden soll, etwas Fruchtbares sehen würden, wenn sie sich nur erst darauf einließen, die Grundgedanken dieses Versuchs sich zu eigen zu machen. Es ist ja hier oft gesagt worden, daß bei den Trägern dieser Gedanken nicht der Glaube vorhanden sein kann, in dem, was bisher dargestellt worden ist, seien unumstößliche Wahrheiten bis ins einzelne gegeben. Gewiß wird sich manches als verbesserungsbedürftig erweisen, wenn einmal weitere Kreise fach- und sachtüchtiger Personen ernstlich und mit praktischem Sinn mitarbeiten. Aber die soziale Denkrichtung, die in der Forderung der Dreigliederung sich ausspricht, ist aus den unbefangen angesehenen Entwickelungsnotwendigkeiten der Menschheit in unserer Zeit herausgebildet, so daß in ihr lebt, was gegenwärtig not tut und durch dessen Vernachlässigung die Schrechnisse entstanden sind, in denen wir leben.

Wer als Intellektueller vergleicht, was vor dem Hereinbrechen der Weltkatastrophe war, mit dem, was zur Gesundung von der Idee der Dreigliederung verlangt wird, der müßte einsehen, wie diese Idee eine Wiedergabe dessen ist, was die Tatsachen selber aussprechen. Aber eben zu diesem vergleichen und zu einem auch nur wenig eingehenden Betrachten dieser Idee bringen es nur wenige.

Der Grund für diese Tatsache liegt in der Art, wie durch unsere Schulen diese Intellektuellen erzogen worden sind. Der Betrieb der Wissenschaften hat im Laufe der neuesten Zeit eine Form angenommen, durch die das selbständige zusammenfassende Denken geradezu untergraben worden ist. Wer nach einem Beruf drängte, zu dem eine höhere Schulbildung gehört, wurde eingespannt in das Aneignen von Spezialkenntnissen, die ihm nirgends Anregung gaben, sein «Fach» im Zusammenhange mit dem wirklichen Leben zu betrachten. Man kann als Empfänger der Erkenntnisse in einem Spezialgebiete sogar ein bedeutender Erlinder, ein Bahnbrecher werden, ohne daß man durch dieses Gebiet sich die Fähigkeit erwirbt, in tragfähigen Gedanken ein größeres Wirklichkeitsgebiet zu durchschauen. Wer an der Chemie denken lernt, der wird dazu geführt, die Bedeutung der Gedanken, die in diesem Fache leben, für das ganze menschliche Leben zu überschauen. Denn die Gedanken aller Wirklichkeitsgebiete hängen zusammen; und hat man diejenigen des einen Gebietes, so erwecken sie Verständnis für das Leben in seiner Gesamtheit. Ist man bloß Chemiker, ohne an der Chemie denken gelernt zu haben, so kann man so urteilsunfähig wie ein Kind gegenüber den Anforderungen des Lebens sein.

Das Verständnis der Grundgedanken der Dreigliederung hängt von der Fähigkeit ab, die sozialen Tatsachen denkend zu durchdringen. Man kann dieses gleichzeitig, ob man das zusammenfassende Denken an der Chemie, an der Biologie oder an der - Politik gelernt hat. Aber man gelangt nicht zu diesem Verständnis, wenn man Politik als Wähler oder auch als Staatsmann nur so getrieben hat, wie man in der neueren Zeit gewohnt geworden ist, an den Schulen Chemie oder Biologie zu treiben.

Wer diese Verhältnisse durchschaut, der wird erkennen, welchen Anteil an dem Niedergange der europäischen Zivilisation das verfehlte Geistesleben hat. Und er wird die Gesundung sich nur von einer Wandlung dieses Geisteslebens versprechen können.

Aber daran wird am wenigsten gedacht. Denn im Kreise der Intellektuellen müßte vor allem der vorliegende Mangel empfunden werden. Es müßte zum Beispiel der Drang entstehen, die Art des Denkens zu erfassen, durch welche die Dreigliederung zu ihrem Ideengebäude kommt, statt einfach oberflächlich diese Ideen mit der eigenen Meinung zu vergleichen, und wenn sie mit dieser nicht übereinstimmen, sie ablehnen. Hat man sich für das zusammenfassende Denken nicht geschult, so ist allerdings dies die einzige Stellung, die man zu einem Ideengebäude einnehmen kann, das einem solch zusammenfassenden Denken über echte Wirklichkeiten seinen Ursprung verdankt.

Es gibt wohl Leute, die sagen, diejenigen Intellektuellen, die heute im reifen Lebensalter stehen, werden sich zu der nötigen Selbsterkenntnis nicht mehr bereit finden. Sie sind zu stark an das gedankenfreie Spezialistentum gewöhnt. Man müsse auf die Jugend warten. Aber ein großer Teil dieser Jugend trägt in seiner Seelenverfassung die Früchte der verfehlten Geistigkeit. Dieser Teil der Jugend wird zur Umkehr erst bewogen werden, wenn er an dem völligen Zerfall des sozialen Lebens sehen wird, wie notwendig ein aus der Wirklichkeit schöpfendes zusammenfassendes Denken - früher gewesen wäre. Und der Teil der Jugend, der eines solchen Beweises nicht bedarf, ist klein.

Soll man deshalb die Arbeit ruhen lassen? Nein, man muß sie in der Not der Gegenwart als eiserne Pflicht betrachten. Hinausrufen kraftvoll in die Welt diejenigen Ideen, von denen man Gesundung erwartet. Es werden vielleicht zunächst doch nur wenige sein, die ihnen verständnisvoll entgegenkommen. Aber diese wenigen muß es geben. Sie werden tauben Ohren predigen, solange der völlige Zerfall noch nicht da ist. Aber je mehr er sich naht, desto mehr von den andern werden ihre Hilflosigkeit offenbaren; desto mehr wird auch der Tag herankommen, an dem man sehen wird, daß man die wenigen braucht. Bis dahin werden noch viele Politiker mit den alten Parteischlagworten in führende Stellen geschoben werden; viele alte «Praktiker» werden in den ausgetretenen Geleisen durch das zerfahrene Wirtschaftsleben stolpern; viele Leitartikler werden von der Uneinigkeit des Auslands schwärmen, die das Inland ausnützen sollte, oder auch davon, daß der Krieg nicht entstanden wäre, wenn man das Verhältnis zu diesem oder jenem Lande so hergestellt hätte, wie es ihnen - nach dem Kriege eingefallen ist.

Unbeirrt durch alles dieses muß derjenige, welcher die Fruchtbarkeit der Dreigliederungsidee einzusehen vermag, an deren Verbreitung arbeiten. Denn allein durch diese Arbeit wird erreicht werden, daß im rechten Augenblicke genug geistig aufgeklärte Menschen vorhanden sein können. Geistige Aufklärung auf allen Gebieten, die zum zusammenfassenden Denken führt, die zur Einsicht in die Wirklichkeitsmacht dieses Denkens leitet: die ist nötig. Auf sie allein kann gebaut werden; aber auf sie darf auch gebaut werden.