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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Aufsätze uber die Dreigliederung des sozialen Organismus
GA 24

Ideen und Brot

Kann die Verbreitung einer Idee, wie sie die von der Dreigliederung des sozialen Organismus ist, heute gegenüber den wirtschaftlichen Nöten ein fruchtbares öffentliches Wollen bewirken? Diese Frage wird von vielen gestellt. Und nur allzu oft ist die Antwort: Zunächst hat man doch um das bloße Brot zu kämpfen; dann, wenn man zu diesem gekommen sein wird, kann man sich wieder Ideen zuwenden.

Gerade gegen diese Anschauung mußte in dieser Zeitschrift immer wieder gesprochen werden. Daß uns das Brot fehlt, daran trägt doch wahrlich nur die Schuld, daß die Ideen, durch die wir es bisher uns zu erarbeiten versuditen, sich als unfähig erwiesen haben, es uns weiter zu verschaffen. Es ist doch nicht das Brot, das sich uns entzogen hat und an das man appellieren kann; es ist die Arbeit, die man herbeirufen muß, um das Brot zutage zu bringen. Die Arbeit aber kann ohne die Idee, die ihr Richtung und Ziel gibt, nicht in fruchtbarer Art geleistet werden. Man möchte sich eine einfache Tatsache nicht eingestehen: Die bisher führenden Persönlichkeiten haben der Arbeit aus Ideen heraus Richtungen und Ziele gegeben, zu denen die Arbeitenden das Vertrauen verloren haben. Dadurch sind wir zusammengebrochen. Wenn wir zu diesem Geständnis nicht kommen wollen, wird der Niedergang weiter wüsten. Macht man sich dieses Geständnis rückhaltlos, dann muß man einsehen, daß eine Rettung vor dem Niedergange nur in dem Erfassen neuer Ideen liegen kann.

Heute liegen die Dinge so, daß man doch wahrlich keinen besonderen Grund hat, sich stark dafür zu interessieren, ob Erzberger dem Helfferich oder der Helfferich dem Erzberger die schlimmeren Dinge an den Kopf zu werfen hat. Die Hauptsache ist doch, daß alle beide aus Verhähnissen heraus erwachsen sind und im Sinne solcher Verhältnisse weiter denken, die den Zusammenbruch unseres öffentlichen Lebens herbeigeführt haben. Daß die Ideen, die in allen Köpfen Erzbergerischer und Helfferichscher Art spuken, durch andere abgelöst werden, darauf kommt es an. Heliferich hat den Kampfruf erhoben: Erzberger ist ein Schädling des öffentlichen deutschen Lebens; er muß aus demselben entfernt werden. Den Inhalt dieses Rufes zu bezweifeln, ist kein Grund. Seine Vertretung durch die Leute mit Helfferichschen Gedanken führt aber zu nichts. Weiter kommen wir erst, wenn wir Ideen von einer sozialen Ordnung pflegen können, die alle Helfferichsche und Erzbergerische Politik aus der Welt schaffen. Ob der eine oder der andere schuldiger ist, hat gewiß ein bedeutendes juristisches Interesse; daß die Ideen beider an dem Niedergange des öffentlichen Lebens schuld sind, darüber muß eine neue Einsicht keinen Zweifel lassen.

Was verhindert das Aufkeimen solch einer neuen Einsicht? Es könnte doch unschwer einleuchten dem, der aus den Tatsachen lernen wollte. Aber wie viele haben aus den Tatsachen des Krieges gelernt; wie viele sind geneigt, aus denen zu lernen, die sich zunächst nach dem Waffenkriege ergeben haben? Die «echt» marxistische und auch die abgeschwächt marxistische sozialistische Lehre sind tief durchdrungen, daß in der Wirtschaftsgrundlage der sozialen Ordnung das Heilmittel für einen gedeihlichen Fortgang in der Zukunft gesucht werden müsse. In dem weltgeschichtlichen Augenblicke, in dem die Träger des Sozialismus vorrücken in die Stellen, die früher von Leuten eingenommen worden sind, welche sie bekämpfen, wird an der Seite von Sozialisten die Leitung eines wesentlichen Teiles des Wirtschaftslebens von - Erzberger besorgt.

Über diese Dinge wird man nicht hinauskommen, solange man nicht das Vertrauen zu Ideen gewinnt, die sich nicht mehr ihre praktische Durchführung von den alten Routiniers besorgen lassen wollen, sondern die geeignet sind, selbst an diese Durchführung heranzutreten. Den Willen zur Lebenspraxis, die sich aus neuen Ideen ergibt, ihn möchten diejenigen pflegen, die von der Dreigliederung des sozialen Organismus reden. Sie fragt man oft: Ja, wie denkt ihr euch denn dieses oder jenes durchgeführt? Sie müssen antworten: Zur Durchführung ist vorerst notwendig, daß die Idee der Dreigliederung selbst als praktische Grundlage erfaßt und in ihreni Sinne gehandelt werde. Dann weisen sie darauf hin, welche Gestalt diese oder jene Einrichtung gewinnen müsse, wenn die Dreigliederung im öffentlichen Leben wirksam werden solle. Wenn sie so reden, dann rufen diejenigen, die nicht selbst nach dem Vorgebrachten urteilen mögen, die alten «Praktiker» auf irgendeinem Gebiete zu Hilfe. Diese haben «bisher keine Zeit gehabt», sich mit den neuen Ideen zu beschäftigen. Sie hören sich im Fluge an, was denn die Träger dieser Ideen eigentlich wollen, verstehen ganz selbstverstandlich aus einer herausgerissenen Einzelheit nicht das allergeringste und fällen das Urteil: - «Utopie», «gutgemeinter Idealismus», aber für die Praxis wesenlos.

Man muß diesen Tatsachen ganz vorurteilslos ins Auge schauen, wenn man die Grundbedingungen erkennen will, unter denen eine Idee wie die von der Dreigliederung des sozialen Organismus vorwärtskommen kann, und wenn man die Hindernisse werten will, welchen diese Idee begegnet. Die Träger der Dreigliederungsidee mögen noch so praktische Vorschläge im einzelnen machen: man wird sie bekämpfen auf der Seite derjenigen, die auf diese Idee selbst nicht eingehen. Deshalb ist gegenwärtig notwendig, daß das Verständnis für diese Idee moglichst verbrietet werde. Alle speziellen Einrichtungen, welche von Trägern dieser Idee getroffen werden, müssen dieser Verbreitung der Idee zunächst dienen.

Die wirkliche Erkenntnis fruchtbarer neuer Ideen kann allein die Wege finden lassen, auf denen wir wieder zu Brot kommen. Die Flucht vor diesen Ideen wird uns vollig brotlos machen. Helfen kann nur die Einsicht, daß dem Brotmangel der Ideenmangel vorangegangen ist, daß der letztere die Ursache des ersteren ist. Der Weg, den wir gemacht haben, ist: Ideenmangel, Brotlosigkeit. Der Weg den wir gehen müssen, ist: in den Ideen den Willen zur Arbeitsgestaltung finden. Auf diesem Wege wird - das Brot erzeugt werden.